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"Politisch und moralisch war dieser Rücktritt unausweichlich"

Bei Politikern sei das Private oft auch politisch, so die Einschätzung von Peter Höver vom "Flensburger Tageblatt" zum Fall des zurückgetretenen Kieler CDU-Vorsitzenden Christian von Boetticher. Wer ein öffentliches Amt bekleide, werde in der Regel mit anderen moralischen Maßstäben gemessen.

Peter Höver im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Die CDU sucht jetzt also einen neuen Spitzenkandidaten. Christian von Boetticher ist wegen dieser Liebesbeziehung mit einer 16-Jährigen gestern zurückgetreten. Top-Thema natürlich für die Tageszeitungen vor Ort und am Telefon begrüße ich Peter Höver, er ist Landtagskorrespondent in Kiel unter anderem für das "Flensburger Tageblatt". Guten Tag, Herr Höver!

    Peter Höver: Hallo, Herr Meurer!

    Meurer: War der Rücktritt unausweichlich?

    Höver: Der war unumgänglich. Herr von Boetticher mag noch so lange davon reden, dass er rechtlich unangreifbar, dass diese Beziehung rechtlich unangreifbar gewesen wäre – politisch und moralisch war dieser Rücktritt unausweichlich. Weder seine Partei, noch breite Teile der Öffentlichkeit, so meine Einschätzung, hätten ihm dies nachgesehen. Wer ein solches öffentliches Amt bekleidet, der muss sich halt andere Maßstäbe gefallen lassen und muss sich an anderen Maßstäben messen lassen.

    Meurer: Ist das gnadenlos von der Politik, wenn man sieht, da steht ein Mann, 40 Jahre alt, weint in einer Pressekonferenz und sagt, ich habe einen Fehler gemacht, ich muss jetzt zurücktreten?

    Höver: Ein Stück gnadenlos ist es schon. Ich selber als Journalist habe auch zuweilen Skrupel, das Private … Wir wissen natürlich eine Menge mehr über Politiker, als in der Zeitung steht, und Privatleben, denke ich, ist eine Sphäre, die respektiert werden sollte, aber das Private bei Politikern ist häufig eben auch politisch. Und diese Dimension hat von Boetticher offensichtlich selber übersehen.

    Meurer: Die Affäre liegt anderthalb Jahre zurück. Wann, Herr Höver, haben Sie denn davon erfahren?

    Höver: Also, eigentlich erst in der vergangenen Woche haben sich diese Gerüchte verdichtet. Zum Wochenende hin wurden diese Gerüchte immer härter. Und die Sonntagszeitungen, nicht nur die "Bild am Sonntag", auch die Sonntagszeitung, für die ich schreibe, "Schleswig-Holstein am Sonntag" und andere Blätter hier oben im Norden haben darüber bereits berichtet in ihren Sonntagszeitungen.

    Meurer: Sie sagen eigentlich, Herr Höver, waberte da schon vorher was in den letzten Monaten durch die Flure?

    Höver: Also, an meine Ohren – ich bin da ehrlich – ist da nichts gedrungen, aber in der vergangenen Woche haben sich diese Gerüchte durchaus erhärtet.

    Meurer: Haben Sie dann sofort zur Feder gegriffen oder gezögert?

    Höver: Ich habe mit Herrn von Boetticher am Freitag ausführlich telefoniert. Er hat es nicht bestritten, nicht wirklich – wobei, ich muss auch sagen, die Informationslage, die wirkliche Informationslage war noch relativ dünn, deshalb war die Berichterstattung auch in den Sonntagszeitungen noch relativ vorsichtig. Da muss man natürlich sehr vorsichtig sein als Journalist, wie man mit solchen Informationen umgeht.

    Meurer: Wer hat die Sache an die Öffentlichkeit gebracht, wissen Sie das? Wie ist das aufgekommen?

    Höver: Ich habe nur eine Ahnung, ich denke, das war eine Geschichte, die durchaus, wenn ich die Interessenlage, durchaus aus der CDU herausgespielt worden sein könnte. Von Boetticher war nie ein völlig unumstrittener Spitzenkandidat, nie ein völlig unumstrittener Landesvorsitzender. Er ist in beide Ämter, in diese Rolle als Spitzenkandidat reingeraten, weil es zunächst keine personelle Alternative gab, die sich öffentlich an die Front gestellt hat, er war ein Ziehsohn von Peter Harry Carstensen. Aber er hat in den ganzen Jahren oder anderthalb Jahren, die er jetzt Landesvorsitzender ist, im Grunde nie etwas mit dieser Macht und mit diesem Amt anfangen können. Er ist profillos geblieben, das war das einhellige Urteil auch der Landespresse hier oben im Norden.

    Meurer: Was unterscheidet ihn vom Typus her vom Amtsinhaber Peter Harry Carstensen?

    Höver: Also, Carstensen ist ein bodenständiger, wirklicher Landesvater, der – ich glaube, das ist ein Begriff, der passt ganz gut zu ihm – ein Kümmerer ist. Allerdings kümmert sich Carstensen eher um die kleinen Dinge, um die einzelnen Menschen. In den großen politischen Linien ist Carstensen in den ganzen Jahren als Ministerpräsident eher blass geblieben. Ja, von Boetticher … Ich habe ihn eher wahrgenommen als einen großen Jungen, der Politik auch ein Stück als Spiel gesehen hat. Also, wenn ich an seine Facebook-Einträge denke, Promi-Tourniere mit Polo auf Sylt und dann über den leckeren Champagner zu reden, das kommt irgendwie nicht gut, jedenfalls nicht in der Rolle eines Landesvaters.

    Meurer: Was wird das jetzt, Herr Höver, bedeuten für die Aussichten der CDU, auch den nächsten Ministerpräsidenten in Kiel zu stellen?

    Höver: Also, es wird mit Sicherheit nicht einfach werden. Wenn man den Status jetzt sieht, neun Monate vor der Landtagswahl, dann würde ich sagen, die CDU wird, gemessen an den letzten Umfragen, die vom Mai stammen, wo die CDU bei 33 Prozent gestanden hat, eher noch weiter bergab gegangen sein. Neun Monate sind allerdings noch eine ganze Zeit. Ob diese Wechselstimmung, die ich vermute, sich so lange halten wird, das muss man abwarten.

    Meurer: Gibt es die aktuell, die Wechselstimmung?

    Höver: Ich denke schon, dass es diese Wechselstimmung gibt. Die großen Sprünge hat diese Regierung – weder die Vorgängerregierung, die große Koalition, das war eine grausliche Koalition, die sich mehr gezofft hat, als dass sie Substanzielles an politischer Arbeit abgeliefert hätte –, und auch bei dieser schwarz-gelben Koalition, die hier jetzt seit 2009 regiert … Also, politische Stillstand ist noch eine milde Bezeichnung für das, was wir hier erleben.

    Meurer: 33 Prozent für die CDU, vielleicht weniger. Die FDP hatte bei der Wahl, helfen Sie mir, 14, 15 Prozent gehabt?

    Höver: Ja, in der Größenordnung war das, auf die Kommastelle will ich mich da nicht festlegen, aber …

    Meurer: Das wird ja nicht wiederkommen, also wie könn…

    Höver: … so stark war sie nie, die FDP rangiert in Umfragen unter fünf Prozent oder hart an der Fünf-Prozent-Hürde, und ob Wolfgang Kubicki, der vermutlich als Spitzenkandidat wieder ins Rennen gehen wird, die FDP da rausreißen wird, auch das bleibt abzuwarten, im Moment stehen die Zeichen eher schlecht.

    Meurer: Wer wäre da ein möglicher Koalitionspartner für die CDU?

    Höver: Gut, alles ist möglich hier, außer Schwarz-Gelb, vermute ich mal. Eine große Koalition wird sicherlich ein Grausen sein für die Union, zumal Ralf Stegner weiter als Landesvorsitzender da ist, derjenige, der in der Union jedenfalls als der Dauerquerulant wahrgenommen worden ist. Schwarz-Grün ist auch nicht ausgeschlossen, aber genau so wenig wie eine Koalition aus SPD und Grünen hier.

    Meurer: Komplizierte Machtsituation in Kiel. Herr Höver, wer wird der nächste Unionskandidat werden? Jemand, der mit Facebook nichts am Hut hat?

    Höver: Ich glaube, das wird nicht das einzige Kriterium sein. Der heimliche Star hier in der Union – Star ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber ein solider Arbeiter, ein exzellenter Kopf, ein wirklich, so schildern ihn Mitarbeiter, stressresistenter Politiker –, das ist der Wirtschaftsminister hier oben in Schleswig-Holstein Jost de Jager, der hat ein Stück was von Bodenständigkeit, auch nicht diese emotionale Nähe zum Land, aber er ist ein wirklich exzellenter Wirtschaftsminister. Und so wird er auch von politischen Gegnern, in der politischen Konkurrenz wahrgenommen.

    Meurer: Die CDU in Schleswig-Holstein sucht einen neuen Landesvorsitzenden und einen neuen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Das war Peter Höver, Landtagskorrespondent unter anderem des "Flensburger Tageblatts", bei uns im Deutschlandfunk. Danke und auf Wiederhören nach Kiel!

    Höver: Tschüss!


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