Donnerstag, 02. Mai 2024

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"Politisches Showbusiness"

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, hat seine Vorbehalte gegen die von der UNO angefragte EU-Mission im Kongo bekräftigt. Der Einsatz habe politisch keinen Sinn, sagte Gertz. Mit der Stationierung von 1500 Soldaten in der Hauptstadt Kinshasa könne man die Wahlen im Juni nicht absichern. Gertz verwies mit Nachdruck auf das hohe Risiko für die Soldaten.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 20.03.2006
    Dirk-Oliver Heckmann: Nach vorne gedrängelt hatte sich niemand innerhalb der EU, als die UNO um Hilfe bat bei der Absicherung der ersten freien Wahlen in der demokratischen Republik Kongo Mitte Juni. Alles schien sich darauf zu verlassen, dass schon ein anderes Land die Führung übernehmen würde. Auch Bundesverteidigungsminister Jung machte da keine Ausnahme. Zwar stellte er eine Beteiligung der Bundeswehr in Aussicht; die Führung aber müssten andere übernehmen. Das war der Stand noch vor wenigen Tagen. Nun sieht die Sache allerdings anders aus. In Berlin kommen heute Vertreter derjenigen Länder zusammen, die sich bereit erklärt haben, Truppen zu entsenden. Sollte eine ausreichende Zahl an Soldaten zusammen kommen, dürfte das Bundeskabinett auch dem Einsatz von 500 deutschen Soldaten zustimmen, Führungsrolle inklusive. Allerdings mehren sich in den Fraktionen die skeptischen Stimmen. – Am Telefon begrüße ich nun Bernhard Gertz, den Vorsitzenden des deutschen Bundeswehrverbandes. Guten Morgen!

    Bernhard Gertz: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Gertz, Sie haben sich gegen den Einsatz ausgesprochen. Weshalb?

    Gertz: Im Wesentlichen deshalb, weil mir die politische Sinnhaftigkeit, der politische Zweck des Einsatzes wirklich fehlt. Es wird geltend gemacht, es gehe darum, die freien Wahlen im Kongo zu unterstützen, die ersten freien Wahlen, aber wenn man hinschaut und sich genau vor Augen hält was passiert, dann sollen etwa 1500 Soldaten beschränkt auf den Raum Kinshasa, auf den Raum der Hauptstadt, stationiert werden. Das Land aber, das sechsmal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland und in dem ohnehin schon 17.000 MONUC-Soldaten stehen unter UN-Mandat, wird im Grunde sich selbst überlassen bleiben. Das heißt eine wirkliche Absicherung von freien Wahlen kann das gar nicht sein.

    Heckmann: Das heißt Sie plädieren dafür, mehr Soldaten zu schicken?

    Gertz: Nein, ganz und gar nicht! Ich plädiere dafür, dass wir uns als Europäer darüber im Klaren werden, was wir eigentlich in Afrika zu tun haben. Wir haben ganz sicher eine gemeinschaftliche Verpflichtung, für Stabilität in Afrika zu sorgen, denn wenn wir das nicht tun, dann gibt es Migrationsströme ohne Ende. Dann gibt es auch staatsfreie Räume, in denen Terrorismus gedeihen kann. Deswegen liegt es in unserem gemeinsamen Sicherheitsinteresse, in Afrika zur Stabilisierung beizutragen.

    Nur die Art und Weise, wie man das macht, ist nicht die richtige, wenn man hier und da sektoral in einer Art militärisch-politischem Aktionismus Soldaten stationiert, sondern man muss endlich die europäische Afrika-Strategie, die es angeblich gibt, auch tatsächlich umsetzen, und muss auf europäischer Ebene wirksam die europäischen Kräfte bündeln, muss koordinieren, muss die Unterstützungsleistung für die afrikanischen Staaten, die in der Lage sind, selber mittelfristig wesentliche Beiträge zur Befriedung Afrikas zu bringen, dann wirklich konzentriert gemeinsam fördern im Wege von Hilfe zur Selbsthilfe. All das fehlt heute. Bislang operieren die Europäer unabhängig voneinander unkoordiniert, folgen ihren eigentlichen vermeintlichen oder tatsächlichen Interessen. Es fehlt insgesamt eine wirklich nachhaltige Förderung afrikanischer Stabilisierung. Da verdeckt eine solche Aktion wie die im Kongo eigentlich das, was zu tun ist, statt weiterzuhelfen.

    Heckmann: Aber auch wenn eine solche langfristige Strategie auf dem Tisch liegt, die müsste ja nun ebenfalls militärische Intervention mit einschließen oder?

    Gertz: Das lässt sich im Einzelfall nicht ausschließen. Das kann Teil eines solchen Konzepts sein und dagegen lässt sich im Ergebnis gar nichts sagen. Nur wenn man wie hier einen Präsidenten hat wie Kabila, der einer der klassischen Diktatoren ist und der zurzeit den Anschein erweckt, als sei ihm an freien Wahlen gelegen, bei denen er voraussichtlich als Sieger hervorgehen wird, dann muss man sich mit der Frage beschäftigen, wie geht es dann eigentlich weiter im Kongo. Ist diese Aktion, ich unterstütze freie Wahlen, indem ich auf Kinshasa beschränkt 1500 Soldaten stationiere, wirklich ein Beitrag zur demokratischen Entwicklung des Kongo, oder gehen wir nach vier Monaten wieder raus, wie das geplant ist, und überlassen den Kongo wieder Herrn Kabila und sich selbst? Ist das wirklich nachhaltige europäische Afrika-Politik? – Ich glaube nicht!

    Heckmann: Was kann denn aus Ihrer Sicht eine Truppe von 1500 Mann leisten, außer vielleicht die Evakuierung von Ausländern?

    Gertz: Ja, ziemlich wenig, solange sie auf Kinshasa selbst beschränkt ist und dort eigentlich mehr politisches Showbusiness macht, ist sie nicht sehr wirksam. Sie kann zur Evakuierung beitragen. Allerdings, ich wiederhole das noch mal, das Land ist sechsmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland und die Verkehrsverhältnisse sind nicht vergleichbar mit europäischen Verhältnissen. Wenn man wirklich in einer Situation Wahlbeobachter oder andere evakuieren müsste aus dem Land heraus, dann wird das eine sehr kritische Unternehmung sein. Dann kann es zu Kampfhandlungen kommen, in die auch deutsche Soldaten verwickelt werden würden, und dann kann das ganze ziemlich schnell sehr blutig und sehr unangenehm für alle Beteiligten werden.

    Heckmann: Das heißt Sie würden sagen, dass sich Bundesverteidigungsminister Jung auf ein Abenteuer einlässt?

    Gertz: Ja, vielleicht ist das Wort Abenteuer ein bisschen zu dick aufgetragen, aber es ist doch ein ganz beträchtliches Risiko. Ich zweifele sehr, ob der politische Zweck, so wie er geltend gemacht wird und so kritisch wie ich ihn sehe, wirklich trägt, dass man dafür das Leben deutscher und europäischer Soldaten aufs Spiel setzt.

    Heckmann: Gäbe es denn Bedingungen oder eine Situation, die vorstellbar wäre, Voraussetzungen, die erfüllt sein müssten, damit Sie dem Einsatz dennoch zustimmen könnten?

    Gertz: Ich war von Anfang an niemand, der gesagt hat, niemals oder nie. Ich unterstreiche noch mal: Es gibt eine gemeinschaftliche Verpflichtung aller Europäer, zur Stabilität beizutragen. Wenn das im Sinne einer gemeinsamen Anstrengung auch getan wird, dann kann ich mir durchaus vorstellen, dass auch deutsche Soldaten an Einsätzen teilnehmen. Zurzeit und auch in der jüngeren Vergangenheit wird aber immer wieder nur sektoral gearbeitet. Zum Beispiel gibt es ja die sehr dringend vorgetragene Forderung unserer amerikanischen Freunde, in Darfur im West-Sudan die afrikanische Mission abzulösen, die dort ist und die angeblich nicht in der Lage ist, Bürgerkrieg zu beseitigen. Auch das wäre sicherlich für die Menschen vor Ort hilfreich, aber wieder nur ein Stück politischer Aktionismus. Ich glaube, wir müssen insgesamt dazu kommen, dass wir uns fragen, wie können wir wirksam Hilfe zur Selbsthilfe leisten und welcher militärische Beitrag gehört dazu. Der ist aber nur ein Teil, denn im Vorfeld gehören politische Beiträge, gehören wirtschaftliche Beiträge, gehören Entwicklungsmaßnahmen, die wirklich miteinander koordiniert sind, dazu, und wenn die der Absicherung bedürfen auch durch Soldaten, dann wäre ich der letzte, der da nein sagen würde.

    Heckmann: Bernhard Gertz war das, der Vorsitzende des deutschen Bundeswehrverbandes. Herr Gertz, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Gertz: Auf Wiederhören!