Freitag, 29. März 2024

Archiv


Politologe: Die politische Kultur in Tschechien muss sich ändern

Die Übergangsregierung von Ministerpräsident Jiri Rusnok hat in Tschechien die Vertrauensabstimmung im Parlament verloren. Der Politologe Lukas Novotny ist überzeugt, dass es zu mehr Kooperation zwischen den Parteien, der Regierung und dem Staatspräsidenten kommen müsse.

Lukáš Novotný im Gespräch mit | 08.08.2013
    Silvia Engels: Tschechien steckt seit Neuestem in einer Art Verfassungskrise. Die von Präsident Zeman eingesetzte Expertenregierung hat gestern Abend eine Vertrauensabstimmung im tschechischen Parlament verloren. Über den Rückhalt einer Abgeordnetenmehrheit verfügt Ministerpräsident Rusnok also nicht. Dennoch will er offenbar nicht zurücktreten und er hat dafür den Rückhalt des Präsidenten.
    Wir bleiben in Tschechien, denn gestern Abend sprach mein Kollege Mario Dobovisek über die mögliche Verfassungskrise dort mit Lukáš Novotný. Er ist Politologe in der tschechischen Stadt Usti Nad Labem und an ihn ging die Frage, warum die Parlamentarier Jirzi Rusnok das Vertrauen entziehen.

    Lukáš Novotný: Das ist eine klare Frage. Ich denke, klare Antwort ist, dass einfach die liberalen, konservativen Parteien einfach im Moment die Mehrheit im Parlament haben, und das hat einfach der Staatspräsident Zeman nicht akzeptiert, und daher ist es zu diesem Ergebnis gekommen.

    Mario Dobovisek: Aber die Kabinettsmitglieder, die Expertenregierung, die gehören doch keiner Partei an?

    Novotný: Das ist klar. Aber wir müssen bedenken, wenn schon eine Beamtenregierung ins Spiel gebracht wird – bisher war das zumindest so -, dass es immer eine Art Notlösung war und dass sich an der Bildung von dieser Regierung vor allem die Parteien selbst einigen müssen. Aber in diesem Fall wurde praktisch die Beamtenregierung den Parteien vom Staatspräsidenten angezwungen, und daher kann man sich natürlich nicht wundern, dass sie gegen praktisch die Regierung, an sich auch gegen den Staatspräsidenten abgestimmt haben.

    Dobovisek: "Ich versichere, dass ich innerhalb der nächsten Wochen keinen zweiten Regierungsauftrag vergeben werde", sagte Präsident Zeman heute im Parlament, "selbst wenn sie mich in der Luft zerreißen." Wie klingt das für Sie, Herr Novotný?

    Novotný: Das klingt ziemlich klar. Sie müssen eine Sache sehen, und zwar, dass natürlich die Regierung, die sogenannte Experten-, Beamtenregierung, egal wie man sie nennt, die ist gebildet vor allem aus Menschen von einer Partei, die Miloš Zeman mit begründet hat, die allerdings auch den Namen von Miloš Zeman direkt im Titel dieser Partei trägt, und daher will er, diese Menschen, die sollen auch eine Art neue Elite von dieser Partei sein und dass sie so lange wie nur möglich an der Macht bleiben. Das zum einen, und zum anderen, denke ich, dass auch die Einstellung vom Staatspräsidenten insofern richtig ist, dass er sagt, erst wenn die ganze polizeiliche Untersuchung zu Ende ist, dann wende ich mich auch an die Parteien, die halt auch diese Krise verursacht haben.

    Dobovisek: Aber was bedeutet das für die Demokratie in Tschechien, wenn sich der Staatspräsident über den Willen des Parlaments hinwegsetzt?

    Novotný: Ich denke, für die Demokratie bedeutet das natürlich eine neue Prüfung. Ich würde das aber nicht übertreiben, denn wir haben einfach zum ersten Mal einen Staatspräsidenten gewählt und der will natürlich seine Kompetenzen so weit wie möglich ausweiten.

    Dobovisek: Darf er das denn? Darf das Zeman als Präsident, sich über das Parlament hinwegsetzen?

    Novotný: Er darf das, weil es ist immer sehr kompliziert, die tschechische Verfassung zu interpretieren. Ich denke nicht, dass die falsch geschrieben ist, aber die war einfach vor diese Prüfung noch nie gestellt, noch nie so richtig gestellt. Und Sie müssen auch bedenken, dass auch die Vorgänger von Staatspräsident Zeman, also sowohl Vaclav Klaus wie vorher auch Václav Havel, auch an sich die Kompetenzen, die in der Verfassung verankert sind, immer einfach überschritten haben. Überschritten insofern, dass sie sich nicht daran gehalten haben, was die politischen Parteien, anders ausgedrückt, für normal gehalten haben. Aber ich denke, dieses Zusammenspiel, dieses Gegenspiel auch zum Teil, ist aber normal und das gehört einfach zur Demokratie. Das geht nicht gegen die Demokratie.

    Dobovisek: Dann fragen wir mal ein bisschen rhetorisch oder ketzerisch. Wer muss sich dann ändern in Tschechien, die Verfassung oder die Politiker?

    Novotný: Ich denke, es muss sich an sich die politische Kultur etwas ändern. Ich denke, das, was jetzt der damaligen Regierung passiert ist, die ganzen Korruptionsskandale und so weiter, die sind einfach nicht normal. Das, was normal ist, ist die Verfassung. Also die anderen müssen sich schon etwas ändern. Und natürlich denke ich auch, dass es mehr und mehr einfach zu einer Kooperation, zu regelmäßigen Gesprächen zwischen den Parteien, zwischen der Regierung und zwischen auch dem Staatspräsidenten kommen soll. Übrigens hat das auch der Staatspräsident Zeman deklariert, dass er wirklich um die Erweiterung des Dialogs mit der Regierung wirbt.

    Dobovisek: Wie wird es jetzt weitergehen?

    Novotný: Vor allem die tschechische Verfassung, die schreibt nicht vor, wann es zu dieser zweiten Ernennung des Ministerpräsidenten und damit auch der neuen Regierung kommen muss. Die bisherige Beamten-, Expertenregierung, die kann meines Erachtens auch bis zu dem regulären Wahltermin an der Macht bleiben.

    Dobovisek: Das wäre im Mai 2014, im Mai nächsten Jahres.

    Novotný: Das wäre im Mai 2014 und ich denke, Rusnok wird noch ziemlich viele Monate Ministerpräsident bleiben.

    Engels: Der tschechische Politikwissenschaftler Lukáš Novotný im Gespräch mit Mario Dobovisek.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.