Philipp Krohn: Die Schwierigkeiten im europäischen Verfassungsprozess sind jetzt auch Thema eines Gesprächs mit Professor Wichard Woyke von der Universität Münster. Ich grüße Sie, Herr Woyke!
Wichard Woyke: Guten Tag, Herr Krohn!
Krohn: Außenminister Steinmeier, Herr Woyke, hat kürzlich mit der Aussage überrascht, er sehe einen Lösungskorridor. Sieht er etwas, das keiner sonst sieht?
Woyke: Herr Steinmeier ist natürlich wesentlich besser im Geschäft drin als wir alle. Von daher hat er vielleicht tatsächlich aufgrund von Kanälen, denn es wird ja durch die deutsche Präsidentschaft seit einem halben Jahr intensiv verhandelt über einen Ausweg aus dieser Verfassungskrise, dass er vielleicht Licht am Ende des Tunnels sieht. Nur der Bericht Ihres Korrespondenten hat ja gerade gezeigt, dass es insbesondere noch Schwierigkeiten mit Polen geben wird, und die werden meines Erachtens auch nicht heute durch den Besuch des französischen Präsidenten Sarkozy bereinigt werden, sondern da wird es eine ganz harte Auseinandersetzung in der nächsten Woche in Brüssel geben.
Krohn: Beschäftigen wir uns zu intensiv mit den Polen und zu wenig mit den anderen Staaten?
Woyke: Das kann durchaus sein, aber man muss das natürlich auch aus deutscher Sicht sehen. Polen ist neben Frankreich unser größter Nachbar und bedeutendster Nachbar, und das Verhältnis von Polen und Deutschland ist ein durch die Geschichte sehr stark geprägtes Verhältnis, was auf beiden Seiten tiefe Spuren hinterlassen hat. Von daher werden Äußerungen des einen im anderen Land wie auch des anderen in diesem Land mit Argusohren, wenn man das so sagen darf, gehört, gewogen und betrachtet und nicht immer zum Guten gewendet.
Krohn: Auch Tschechen und Briten lehnen den Vertrag ab. Warum und wie nachvollziehbar sind diese Bedenken?
Woyke: Bei den Tschechen ist es ja mehr die Regierung, bei den Polen übrigens auch. Wir hörten ja gerade von Herrn Rautenberg, dass zwei Drittel der polnischen Gesellschaft für den EU-Verfassungsvertrag sind. Einen ähnlichen Wert finden sie in der Tschechischen Republik. Dort ist es aber Präsident und Regierung. Die Regierung ist außerordentlich labil und schwach. Das hängt genau wie bei Großbritannien damit zusammen, dass beide Regierungen eigentlich stärker in Europa auf eine wirtschaftliche Einigung hinzielen und mehr eine Wirtschaftsunion haben wollten als eine politische Union. Von daher ist es ja auch ganz interessant, dass zum Beispiel Großbritannien einer der intensivsten Befürworter weiterer Erweiterung der Europäischen Union ist, weil dadurch natürlich die Kohärenz der EU aufgeweicht würde und man dem Ziel einer Wirtschaftsunion näher käme.
Krohn: Ich hatte es eingangs erwähnt: Das Nein der Franzosen und der Niederländer war ausschlaggebend für das Stocken im Verfassungsprozess. Wie vergleichbar sind denn ihre Bedenken mit denen von den Tschechen und den Briten?
Woyke: Bei den Niederländern wie auch bei den Franzosen werden sie im Augenblick wiederum demoskopische Mehrheiten für den Verfassungsvertrag finden. Das heißt, und das haben die Untersuchungen auch ergeben, dass in beiden Ländern bei der Entscheidung überwiegend innenpolitische Gründe ein großer Anlass waren, um den Verfassungsentwurf abzulehnen. Ich erinnere beispielsweise nur daran: Die Franzosen waren so unglücklich, die französische Regierung, dass sie eine Woche vorher, bevor über die Verfassung abgestimmt wurde, noch ein Gesetz verabschiedet hatten, was den Pfingstmontag als Feiertag abschaffte. Darauf waren natürlich sehr viele Wähler verärgert und haben das unter anderem auch mit ihrem Wahlkreuz die Regierung spüren lassen.
Diese Gründe zählen also nicht mehr. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch in beiden Gesellschaften, sowohl in Frankreich als auch in den Niederlanden, ganz generelle Probleme haben in Bezug auf den europäischen Integrationsprozess insbesondere auf die viel benannte Finalität, also den endgültigen Zustand: Wie viele Kompetenzen soll Europa haben und wer soll dort noch hineinkommen? Das sind Fragen, die die Niederländer und die Franzosen ganz besonders beschäftigen.
Krohn: Und auch eine Angst, zumindest sagt das der niederländische Ministerpräsident Balkenende, vor dem europäischen Superstaat. Er hat ein Vetorecht der nationalen Parlamente angeregt. Für wie realistisch halten Sie diese Option?
Woyke: Der Begriff Superstaat wird ja immer dann gebraucht, um Unterstützung im eigenen Land zu kriegen. Ich sehe nirgendwo in der Europäischen Union irgendeinen verantwortungsbewussten Politiker, der einen europäischen Superstaat fordert. Ich sehe aber überall auch Mehrheiten in den Gesellschaften - beispielsweise für die Außen- und Verteidigungspolitik finden sie Werte in der EU mit 75 bis 80 Prozent -, die für eine Gemeinschaftung sind, aber die Politik kann das dann nicht umsetzen. Es ist auch nicht immer sehr sinnvoll, unbedingt immer die demoskopischen Mehrheiten in politisches Handeln umzusetzen. Also das Superstaatsargument wird meines Erachtens sehr oft von Politikern für innenpolitische Schachzüge eingesetzt.
Krohn: Wenn wir auf die kommende Woche blicken, dann könnte die Grundrechtscharta am Ende nicht mehr Teil des Vertrages sein. Die europäische Flagge und die europäische Hymne könnten aus dem Vertrag wegdiskutiert worden sein. Und möglicherweise gibt es auch keinen EU-Außenminister. Was bleibt noch, wofür es sich zu kämpfen lohnt?
Woyke: Ich glaube, die Europäische Union könnte ohne Hymne, ohne offizielle Verfassung und ohne dieses offizielle Brimborium ganz gut leben. Entscheidend ist, dass die Europäische Union Verträge hat, in denen Kompetenzen klar geklärt werden und in denen das Verhältnis der Organe zueinander wie aber auch der Staaten zur Europäischen Union geklärt werden und in denen dann eben das Europäische Parlament stärkere, ich sage noch stärkere, Mitwirkungsmöglichkeiten bekommen soll, als das vorgesehen ist. Wenn wir das erreichen, dass zumindest ein Fahrplan darüber verabschiedet wird, dass man solch einen Vertrag in den nächsten beiden Präsidentschaften, der portugiesischen und der slowenischen, aushandeln soll, dann wird man das meines Erachtens auch erreichen können und dann wären wir auf einem guten Wege, um mit so einem neu gestalteten Vertrag auch 2009 in den Wahlkampf zum Europäischen Parlament ziehen zu können.
Krohn: Professor Wichard Woyke von der Universität Münster war das. Vielen Dank für das Gespräch.
Woyke: Gerne.
Wichard Woyke: Guten Tag, Herr Krohn!
Krohn: Außenminister Steinmeier, Herr Woyke, hat kürzlich mit der Aussage überrascht, er sehe einen Lösungskorridor. Sieht er etwas, das keiner sonst sieht?
Woyke: Herr Steinmeier ist natürlich wesentlich besser im Geschäft drin als wir alle. Von daher hat er vielleicht tatsächlich aufgrund von Kanälen, denn es wird ja durch die deutsche Präsidentschaft seit einem halben Jahr intensiv verhandelt über einen Ausweg aus dieser Verfassungskrise, dass er vielleicht Licht am Ende des Tunnels sieht. Nur der Bericht Ihres Korrespondenten hat ja gerade gezeigt, dass es insbesondere noch Schwierigkeiten mit Polen geben wird, und die werden meines Erachtens auch nicht heute durch den Besuch des französischen Präsidenten Sarkozy bereinigt werden, sondern da wird es eine ganz harte Auseinandersetzung in der nächsten Woche in Brüssel geben.
Krohn: Beschäftigen wir uns zu intensiv mit den Polen und zu wenig mit den anderen Staaten?
Woyke: Das kann durchaus sein, aber man muss das natürlich auch aus deutscher Sicht sehen. Polen ist neben Frankreich unser größter Nachbar und bedeutendster Nachbar, und das Verhältnis von Polen und Deutschland ist ein durch die Geschichte sehr stark geprägtes Verhältnis, was auf beiden Seiten tiefe Spuren hinterlassen hat. Von daher werden Äußerungen des einen im anderen Land wie auch des anderen in diesem Land mit Argusohren, wenn man das so sagen darf, gehört, gewogen und betrachtet und nicht immer zum Guten gewendet.
Krohn: Auch Tschechen und Briten lehnen den Vertrag ab. Warum und wie nachvollziehbar sind diese Bedenken?
Woyke: Bei den Tschechen ist es ja mehr die Regierung, bei den Polen übrigens auch. Wir hörten ja gerade von Herrn Rautenberg, dass zwei Drittel der polnischen Gesellschaft für den EU-Verfassungsvertrag sind. Einen ähnlichen Wert finden sie in der Tschechischen Republik. Dort ist es aber Präsident und Regierung. Die Regierung ist außerordentlich labil und schwach. Das hängt genau wie bei Großbritannien damit zusammen, dass beide Regierungen eigentlich stärker in Europa auf eine wirtschaftliche Einigung hinzielen und mehr eine Wirtschaftsunion haben wollten als eine politische Union. Von daher ist es ja auch ganz interessant, dass zum Beispiel Großbritannien einer der intensivsten Befürworter weiterer Erweiterung der Europäischen Union ist, weil dadurch natürlich die Kohärenz der EU aufgeweicht würde und man dem Ziel einer Wirtschaftsunion näher käme.
Krohn: Ich hatte es eingangs erwähnt: Das Nein der Franzosen und der Niederländer war ausschlaggebend für das Stocken im Verfassungsprozess. Wie vergleichbar sind denn ihre Bedenken mit denen von den Tschechen und den Briten?
Woyke: Bei den Niederländern wie auch bei den Franzosen werden sie im Augenblick wiederum demoskopische Mehrheiten für den Verfassungsvertrag finden. Das heißt, und das haben die Untersuchungen auch ergeben, dass in beiden Ländern bei der Entscheidung überwiegend innenpolitische Gründe ein großer Anlass waren, um den Verfassungsentwurf abzulehnen. Ich erinnere beispielsweise nur daran: Die Franzosen waren so unglücklich, die französische Regierung, dass sie eine Woche vorher, bevor über die Verfassung abgestimmt wurde, noch ein Gesetz verabschiedet hatten, was den Pfingstmontag als Feiertag abschaffte. Darauf waren natürlich sehr viele Wähler verärgert und haben das unter anderem auch mit ihrem Wahlkreuz die Regierung spüren lassen.
Diese Gründe zählen also nicht mehr. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch in beiden Gesellschaften, sowohl in Frankreich als auch in den Niederlanden, ganz generelle Probleme haben in Bezug auf den europäischen Integrationsprozess insbesondere auf die viel benannte Finalität, also den endgültigen Zustand: Wie viele Kompetenzen soll Europa haben und wer soll dort noch hineinkommen? Das sind Fragen, die die Niederländer und die Franzosen ganz besonders beschäftigen.
Krohn: Und auch eine Angst, zumindest sagt das der niederländische Ministerpräsident Balkenende, vor dem europäischen Superstaat. Er hat ein Vetorecht der nationalen Parlamente angeregt. Für wie realistisch halten Sie diese Option?
Woyke: Der Begriff Superstaat wird ja immer dann gebraucht, um Unterstützung im eigenen Land zu kriegen. Ich sehe nirgendwo in der Europäischen Union irgendeinen verantwortungsbewussten Politiker, der einen europäischen Superstaat fordert. Ich sehe aber überall auch Mehrheiten in den Gesellschaften - beispielsweise für die Außen- und Verteidigungspolitik finden sie Werte in der EU mit 75 bis 80 Prozent -, die für eine Gemeinschaftung sind, aber die Politik kann das dann nicht umsetzen. Es ist auch nicht immer sehr sinnvoll, unbedingt immer die demoskopischen Mehrheiten in politisches Handeln umzusetzen. Also das Superstaatsargument wird meines Erachtens sehr oft von Politikern für innenpolitische Schachzüge eingesetzt.
Krohn: Wenn wir auf die kommende Woche blicken, dann könnte die Grundrechtscharta am Ende nicht mehr Teil des Vertrages sein. Die europäische Flagge und die europäische Hymne könnten aus dem Vertrag wegdiskutiert worden sein. Und möglicherweise gibt es auch keinen EU-Außenminister. Was bleibt noch, wofür es sich zu kämpfen lohnt?
Woyke: Ich glaube, die Europäische Union könnte ohne Hymne, ohne offizielle Verfassung und ohne dieses offizielle Brimborium ganz gut leben. Entscheidend ist, dass die Europäische Union Verträge hat, in denen Kompetenzen klar geklärt werden und in denen das Verhältnis der Organe zueinander wie aber auch der Staaten zur Europäischen Union geklärt werden und in denen dann eben das Europäische Parlament stärkere, ich sage noch stärkere, Mitwirkungsmöglichkeiten bekommen soll, als das vorgesehen ist. Wenn wir das erreichen, dass zumindest ein Fahrplan darüber verabschiedet wird, dass man solch einen Vertrag in den nächsten beiden Präsidentschaften, der portugiesischen und der slowenischen, aushandeln soll, dann wird man das meines Erachtens auch erreichen können und dann wären wir auf einem guten Wege, um mit so einem neu gestalteten Vertrag auch 2009 in den Wahlkampf zum Europäischen Parlament ziehen zu können.
Krohn: Professor Wichard Woyke von der Universität Münster war das. Vielen Dank für das Gespräch.
Woyke: Gerne.