Archiv


Politologe sieht Steinbrück auf Augenhöhe mit Merkel

Kanzlerkandidat Peer Steinbrück wird das Verhältnis zu seiner SPD versachlichen müssen, um die Partei auf eine wahlkampffähige Basis zu stellen, rät der Politologe Everhard Holtmann. Im direkten Vergleich räumt Holtmann Steinbrück gute Chancen ein, der Kanzlerin gefährlich zu werden.

Das Gespräch führte Dirk Müller |
    Dirk Müller: Immerhin: Peer Steinbrück geht inhaltlich in die Offensive. Seine Vorschläge, die Banken stärker und auch strenger an die Kandare zu nehmen, sind in aller Munde. Er, der Gegner von Angela Merkel, entweder er oder sie. Eine nochmalige Zusammenarbeit in einer großen Koalition schließt der frühere Finanzminister definitiv aus. Peer Steinbrück ab heute auch offiziell der Herausforderer der Kanzlerin.
    Wir bleiben im Deutschlandfunk beim Thema Peer Steinbrück. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Politikwissenschaftler Professor Everhard Holtmann von der Universität Halle-Wittenberg. Guten Tag.

    Everhard Holtmann: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Holtmann, normalerweise fragt man, kann er Kanzler. Fragen wir mal, kann er Sozialdemokrat?

    Holtmann: Ich denke, er wird alles daran tun müssen und auch alles daran tun, das Verhältnis zur Partei zu versachlichen, auf eine wahlkampffähige Basis zu stellen, und die Metapher von der Beinfreiheit ist ja mehr als eine, sagen wir mal, verspielte Schnörkel, sondern dahinter steht schon die Überlegung, dass das Ganze nicht in einen Spagat ausarten darf, der die Partei beziehungsweise Kandidaten und Partei bis zum Zerreißen anspannt. Und die sachlichen bisherigen Kontroversen sind im vorherigen Beitrag genannt worden. Es geht darum, die Rentenreform in einer Art und Weise zu verabschieden innerhalb der Partei, die auf der einen Seite die Seele der Partei nicht zu stark beschädigt und auf der anderen Seite aber auch das Gesicht von Peer Steinbrück wahren wird.

    Müller: Wird die SPD und vor allen Dingen die Basis der SPD klug genug sein, das alles auszuhalten?

    Holtmann: Nun, ich denke, Wahlkämpfe und Vorwahlzeiten haben in aller Regel eine eigene Dynamik und allen, und zwar flügelübergreifend allen ist im Grunde klar, dass man mit einem Kandidaten nur bestehen kann, der über die eigene Kernwählerschaft der Partei hinaus greift, und ich denke, das wirkt disziplinierend im Vorfeld, und ich gehe auch davon aus, dass die möglichen Dissenspunkte, Stichwort noch mal Rentenreform, auch bei Zeiten bereinigt werden. Ein wichtiger Schritt hierzu ist übrigens, soweit ich das sehe, schon getan: Die Gewerkschaften haben signalisiert, dass sie dem sich abzeichnenden Kompromiss in der Rentenfrage wohl zustimmen können, und damit ist das Gespenst einer abermaligen Zerreißprobe zwischen Gewerkschaften einerseits und SPD andererseits, welche ja die Agenda-2010-Zeit in einer für die Partei unheilvollen Weise geprägt hat, möglicherweise vom Tisch.

    Müller: Kann nur ein rechter Sozialdemokrat Kanzler werden?

    Holtmann: Ein rechter Sozialdemokrat hätte wahrscheinlich große Probleme, die gesamte Partei mitzunehmen, und ich denke mal, dass auch die Rechts-Links-Zuordnung auch im Falle Steinbrücks zu einfach ist. Ich denke auch, dass seine Versuche, Themen mit auch offensiv zu besetzen, die auch die Mitte und die Linke der Partei mit einbeziehen, also neben der Rentenreform auch Fragen des Mindestlohns, oder in einem umfassenderen grundsätzlichen Sinne auch die Frage der Gerechtigkeit, die ja durch die faktische Umverteilung von unten nach oben im Zuge der Konsolidierung der Eurokrise abermals ins Rutschen gekommen ist, alles das wird ja thematisiert und ich denke, da kann Steinbrück und können Steinbrück und seine Partei auch wiederum gemeinsam gehen.

    Müller: Ist er eine ernsthafte Gefahr für Angela Merkel?

    Holtmann: Er ist sicherlich nach Einschätzung auch neutraler Beobachter derjenige der möglichen Kandidaten, wenn wir noch mal die Troika wiederauferstehen lassen, der Merkel am gefährlichsten werden dürfte, und zwar auf der einen Seite deshalb, weil er mit einer besonderen Kompetenz in Fragen der Finanzpolitik, der Währungspolitik verbunden wird, und das wird ja ein Thema bleiben, was im Zuge der anhaltenden Finanz- und Währungskrise (Stichwort: Euro-Krise) auch noch die Agenda weiter beschäftigen wird, und er ist auf der anderen Seite auch jemand, der Tacheles reden kann, dem also auch nicht der SPD nahestehende Bürgerinnen und Bürger durchaus abnehmen, dass er Klartext redet, und das hebt sich in den Augen vieler von dem sogenannten Politsprech vieler der politischen Schicht dann auch wohltuend ab.

    Müller: Bleiben wir, Herr Holtmann, beim Politsprech. Ist er politischer als die Kanzlerin?

    Holtmann: Nein, das würde ich so nicht sagen, denn man kann der Kanzlerin ja auf gar keine Weise politisches Gespür und auch einen professionellen Umgang mit Politik – und zwar sowohl was Programme, was Sachen, was Institutionen, aber auch das Verhältnis zur eigenen Partei und zu den Bürgerinnen betrifft – absprechen. So gesehen begegnen sie sich, was das Verständnis und das Selbstverständnis des Politischen betrifft, in einer auch demokratietheoretisch und demokratiepraktisch durchaus erkennbaren Augenhöhe.

    Müller: Dennoch will ich da noch mal nachfragen, nachbohren ein bisschen. Ist er prinzipientreuer, ist er prinzipienfester?

    Holtmann: Nun, die Prinzipienfestigkeit ist ja im Wahlkampf ein Stück weit überlagert durch pragmatische Erwägungen, was die Mehrheitsfähigkeit betrifft, und da ist er, glaube ich, Angela Merkel durchaus ähnlich. Man hat Angela Merkel ja in der Vergangenheit häufig vorgeworfen, dass sie den Pragmatismus allzu weit getrieben habe, dass sie sich sozusagen ihre eigenen Profilecken und Kanten abgeschliffen habe, um die Mehrheit in Koalition und Regierung zu behaupten. Ich denke aber, wenn wir mal die Regierungspolitik uns anschauen: Es sind ja zum Teil atemberaubende Reformschritte gemacht oder in Aussicht gestellt worden, die die Partei, also die Unionsparteien in diesem Fall, auch immer wieder gehörig durchschütteln, und da wird man nicht sagen können, dass die Spitze der CDU und zumal die Kanzlerin in eine Art prinzipienlose Untiefe abgedriftet ist, und ähnlich vergleichbar dürfte auch das Verhältnis von Steinbrück zu Prinzipien und zum Parteiprogramm sein.

    Müller: Also Sie meinen mit Pragmatismus durchaus auch Opportunismus?

    Holtmann: Nein. Opportunismus würde ich als eine wertende Kategorie hier nicht von vornherein anbringen. Wir sehen ja bisher gar nicht, wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Kanzlerin oder ihr Herausforderer in irgendeiner Weise an irgendeine Wählerschicht anbiedert, und ich muss sagen, das ist auch gut so. Das ist für die politische Kultur einer lebendigen und auch eben der Wahrhaftigkeit verpflichteten Demokratie durchaus angemessen.

    Müller: Über Ampel oder Ampeln wurde ganz viel diskutiert in den vergangenen zwei, drei Tagen. Ampelkoalition, ist das wieder eine Option?

    Holtmann: Ja, das kommt möglicherweise am Horizont wieder ins Blickfeld, weil ja auch FDP-Politiker durchaus strategisch im Blick haben und auch haben müssen, dass je nachdem, wie die nächsten Bundestagswahlen ausfallen, bestimmte Konstellationen oder bestimmte Optionen der Koalitionsbildung vom Tisch fallen, oder eben auch ermöglicht werden. Die Piratenpartei beispielsweise, der man ja noch vor einigen Monaten fast selbstverständlich den Einzug in den nächsten Bundestag vorausgesagt hatte, die bewegt sich im Moment wieder in demoskopischen Höhen, die das durchaus fraglich erscheinen lassen, und auch Die Linke hat ihre ursprüngliche Stärke ja doch in einem erkennbaren Maße eingebüßt, ist abgeschmolzen. Also wenn es denn unter den unwägbaren Konstellationen für Rot-Grün alleine nicht reichen würde – und das ist ja durchaus nicht auszuschließen -, dann kommen andere Optionen mit ins Spiel. Steinbrück hat selbst gesagt, er schließt Koalitionen oder koalitionsähnliche Bündnisse sowohl mit den Piraten als auch der Linken aus. Und dann bliebe ja neben dem ungeliebten Format der Großen Koalition eigentlich nur noch die Ampel.

    Müller: Wir haben drei Namen noch mal notiert, damit wir das nicht verwechseln: Steinbrück, Trittin, Lindner. Wäre das was?

    Holtmann: Das würde sich dann wahrscheinlich, falls die Ampel als eine realistische Perspektive sich abzeichnen würde, auch auf der personalpolitischen Ebene entsprechend darstellen, und die genannten Personen sind sicherlich professionell genug, wenn dann auch die entsprechenden Parteibasen mitziehen, das dann auch entsprechend unter sich angemessen zu verteilen.

    Müller: Jetzt haben wir nicht mehr viel Zeit, Sie müssen dennoch die Prognose abgeben. Ich weiß, dass Sie das nicht so gerne machen, bitte Sie trotzdem darum. Wird Peer Steinbrück Kanzler?

    Holtmann: Nach der jetzigen Konstellation und auch nach der Differenz, was die sogenannte Kanzlerfrage betrifft, ist das kein Selbstläufer, aber in den kommenden Monaten kann sehr viel geschehen, auch die Parteienlandschaft insgesamt noch mal erheblich durcheinanderschütteln. Wir sprechen von einem fluiden Parteiensystem. Und das bedeutet auch – und das ist auch gut so -, dass die Wählerinnen und Wähler letztendlich dann den Ausschlag geben und nicht die Prognosen der Politikwissenschaftler.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler Professor Everhard Holtmann von der Universität Halle-Wittenberg. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Holtmann: Bitte schön! Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.