Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Polizei und Schutz von Journalisten
"Wir können nicht an jeder Stelle überall sein"

Seit Beginn der Demonstrationen gegen die Corona-Regeln werden Journalisten vermehrt angefeindet und bedrängt. Vertreter der Polizei betonen immer wieder den Wert der Pressefreiheit. Aber tun sie auch genug, um dieses Grundrecht zu schützen?

Thilo Cablitz im Gespräch mit Stefan Fries / Text: Michael Borgers | 11.08.2020
Polizisten stehen bei einer Kundgebung gegen die Corona-Beschränkungen auf der Straße des 17. Juni zwischen Teilnehmern vor einer Bühne.
Am 1. August haben in Berlin Tausende Menschen gegen die Corona-Regeln der Politik demonstriert - am Ende wurde die Veranstaltung von der Polizei aufgelöst. (picture alliance/Christoph Soeder/dpa)
Thilo Cablitz musste in den vergangenen Monaten viele Fragen von Journalistinnen beantworten. Es ist Teil seines Jobs, seit zwei Jahren ist Cablitz Pressesprecher der Polizei in Berlin. Dabei ging es oft um mehr oder weniger Alltägliches, um einen versuchten Banküberfall oder den Kampf gegen Drogen. Aber seit einigen Wochen gab es immer mehr Fragen rund um die Demonstrationen gegen die Corona-Regeln.
Gegen die von der Politik beschlossenen Maßnahmen gehen seit Mai regelmäßig Menschen auf die Straße. In Stuttgart, Dortmund oder eben Berlin. Die Demonstration in der Bundeshauptstadt Anfang August sollte die bislang größte werden, Menschen aus ganz Deutschland hatten sich angekündigt. Was am Ende blieb, war ein Abbruch der Veranstaltung durch die Polizei, in der Folge eine Debatte über die tatsächliche Teilnehmerzahl und der Eindruck einer aggressiven Stimmung – auch gegen die Reporter vor Ort.
Ihm lägen keine genauen Zahlen vor, sagte Thilo Cablitz im Deutschlandfunk. Aber "gefühlt" gebe es auf diesen Veranstaltungen, das sei seine Wahrnehmung, inzwischen mehr Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten.
"Neue Dimension"
Schlagzeilen machten vor allem die Einsätze von zwei TV-Teams: Die ZDF-Journalistin Dunja Hayali und die RTL/n-tv-Reporterin Doro Steitz wollten von den Protesten berichten. Beide brachen ihre Drehs aus Sicherheitsgründen ab. Videos zeigen Gruppen von Menschen, die die Reporterinnen teils persönlich angehen und versuchen, sie mit Rufen wie "Lügenpresse" zu übertönen.
Journalistenverbände kritisierten danach, es müsse mehr für die Sicherheit von Medienvertreterinnen getan werden. Die Berliner Polizei sei nicht in der Lage gewesen, die Pressefreiheit zu schützen und geltendes Recht auf freien Zugang der Presse durchzusetzen, erklärte die Gewerkschaft dju in Verdi.
Für den Berliner "Tagesspiegel" vor Ort – auch schon auf ähnlichen Demonstrationen zuvor – war Julius Geiler. Anfeindungen sei er deshalb bereits gewohnt gewesen, sagte er gegenüber dem Deutschlandfunk. Aber die Dimension der Beleidigungen sei dieses Mal neu gewesen. "Und was mich tatsächlich auch wirklich wütend gemacht hat, war, dass ich mich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr sicher gefühlt habe." Es seien einfach zu wenige Polizisten vor Ort gewesen, so Geiler.
Sprecher verteidigt Polizeiarbeit
Um tatsächlich alle Journalisten zu schützen, müsste die Polizei wissen, wo sich diese in "gefährdende Situationen" begeben, so Thilo Cablitz von der Berliner Polizei. "Wir können nicht an jeder Stelle überall sein." Auch sei nicht Personenschutz für jede und jeden möglich. Man sei aber "sehr wohl darauf bedacht, Pressefreiheit dort zu gewährleisten, wo wir es können, und dort, wo wir entsprechende Verstöße feststellen, einzuschreiten".
Und was ist, wenn Polizisten mitbekommen, dass Medienvertreterinnen angegriffen werden, aber dennoch nicht eingreifen? Ein "fatales Zeichen", stellt Cablitz klar. Das dürfe nicht passieren. "Wenn wir eine Straftat feststellen, greifen Kollegen ein."
Grundsätzlich könne eine Demonstration aber eine "Gefahrensituation sein". Nur sei das nicht immer im Vorfeld klar. Eine Veranstaltung bereits vorher abzusagen, komme deshalb auch nicht in Frage. "Sie können nicht die Pressefreiheit nehmen und sie über die Versammlungsfreiheit setzen. Wir müssen beides in Einklang bringen", betont Cablitz.
Thilo Cablitz, seit 2018 Sprecher der Berliner Polizei
Thilo Cablitz, seit 2018 Sprecher der Berliner Polizei (picture alliance/Bernd von Jutrczenka/dpa)
Angriffe gegen Journalisten auf Demonstrationen sind nicht neu, Beobachter warnen seit Jahren vor einer zunehmenden Gewaltbereitschaft. Anfang Mai war beispielsweise ein Team der ZDF-Satiresendung "heute-show" tätlich angegangen worden – bei einem der ersten Proteste gegen die Corona-Regeln, ebenfalls in Berlin. Der Deutsche Presserat und andere fordern einen besseren Schutz für Medienmacher und nennen beispielsweise die Polizeiausbildung in Sachsen-Anhalt als Vorbild.
Menge skandiert gegen Lokaljournalistin
Bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen in Bayern hätten die Veranstalterin, die Polizei und die Teilnehmer versucht, sie an der Berichterstattung zu hindern, sagt Lokaljournalistin Beate Luber. Zum vorliegenden Videomaterial äußern sich auf Dlf-Anfrage weder Polizei noch Organisatorin.
"Vergleichsweise ruhig" in Stuttgart
Dass Protest und die Berichterstattung darüber grundsätzlich miteinander vereinbar ist, zeigt das Beispiel Stuttgart. Dort gehen seit Mai Woche für Woche Menschen gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße. Zwar erlebten Medienvertreterinnen auch hier "rüpelhafte Antworten" oder "mitunter auch aggressive Anpöbelungen", sagte Christine Bilger, Polizeireporterin bei der Stuttgarter Zeitung, gegenüber dem Deutschlandfunk.
Doch als gefährlich habe sie das bislang nicht empfunden. Seit den Protesten gegen das Bauvorhaben "Stuttgart 21" setze die Polizei Anti-Konflikt-Teams ein, so Bilger. Das trage mit dazu bei, dass Polizei und Medien seitdem "vergleichsweise ruhige Einsätze" zumindest auf den Corona-Demonstrationen erlebten.
Als entsprechend unnötig bewertet die Journalistin ein aktuelles Angebot der Stuttgarter Demo-Initiatoren. Nach den Angriffen gegen Dunja Hayali hatten diese erklärt, man könne Journalistinnen "Deeskalationsteams" an die Seite stellen, damit sie sich "trauten", in die Menschenmenge zu gehen. Für Bilger ist das aber vor allem ein "Versuch, den Journalisten auf die Finger zu gucken".