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Polnisches Schulsystem
Rückkehr zum autoritären Unterricht?

Mit einer Reform hat die rechtskonservative polnische Regierung das Schulsystem grundlegend umgebaut. Viele Lehrer werfen der Regierung vor, die Änderungen hätten vor allem ein Ziel: Indoktrination. Selbstständiges Denken werde nicht mehr gefragt sein.

Von Florian Kellermann | 04.09.2017
    Lehrer protestieren in Warschau gegen die polnische Bildungsreform.
    Schon 2016 haben Lehrer in Warschau gegen die polnische Bildungsreform protestiert. (AFP / Janek Skarzynski)
    Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo wird heute mit einer - auf den ersten Blick - frohen Botschaft für die Lehrer aufwarten. Sie wird eine Gehaltserhöhung bekanntgeben, heißt es aus der Regierung.
    Für viele Lehrer ist das aber nicht mehr als ein Trostpflaster dafür, was die Regierung ihnen zumutet: Mit der Bildungsreform, die in diesem Jahr beschlossen wurde, ziehe Chaos in die Schulen ein, so fürchten viele, auch Artur Sierawski, ein Geschichtslehrer, der sich gegen die Reform engagiert.
    "Wir hören, dass es noch immer Renovierungsarbeiten in Schulen gibt. Wir hören, dass noch Lehrbücher fehlen und keiner weiß, wann sie geliefert werden. Einige Schulen müssen außerdem offenbar zu einem Zwei-Schicht-Betrieb übergehen, sodass manche Schüler bis 17 oder 18 Uhr in der Schule sein werden."
    Grundlegender Umbau
    Die Reform baut das polnische Bildungswesen grundlegend um: Die Gymnasien werden von diesem Schuljahr an nach und nach verschwinden. Das Schulsystem wird wieder zweigliedrig, mit einer achtjährigen Grundschule und einem vierjährigen Lyzeum. Außerdem wird es wieder die Regel, dass Kinder mit sieben statt mit sechs Jahren eingeschult werden.
    Allein diese organisatorischen Veränderungen sorgen für viel Unsicherheit. Knapp 10.000 Lehrer hätten ihre Stelle verloren, rechnet der Lehrerverband ZNP vor, der sich gegen die Reform stellt. Das Bildungsministerium widerspricht dieser Zahl.
    "Wir kehren zu einer preußischen Organisation zurück"
    Ziel der Reform sei es, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und wieder einen eher autoritären, frontalen Unterricht durchzusetzen, meint Aleksander Pawlicki, Co-Autor des bisher gültigen Lehrplans und Kritiker der Regierung.
    "Nehmen wir die Organisation des Unterrichts: Bisher konnten die Schulen elastisch entscheiden. Es hieß, innerhalb von drei Jahren sollen die Schüler, sagen wir, 300 Schulstunden im Fach Polnisch bekommen. Aber wann die Schulen das realisieren, ob sie das zum Teil zum Beispiel bei einem Ausflug umsetzen, das war ihnen belassen. Jetzt kehren wir zu einer preußischen Organisation zurück. Wenn heute der Tag XY ist, dann lesen alle Schüler im ganzen Kaisereich die vierte Ekloge von Virgil."
    Den "Nationalstolz" der Schüler festigen
    Auch inhaltlich soll sich einiges ändern; ein neuer Lehrplan wird zunächst für drei, später für weitere Klassen gelten. Der Geschichtsunterricht soll demnach patriotischer werden. Er soll sich vor allem an wichtigen Persönlichkeiten der polnischen Geschichte festmachen. Dabei soll er, so wörtlich, den "Nationalstolz" der Schüler festigen und deren "Liebe zum Vaterland" entwickeln.
    Bildungsministerin Anna Zalewska von der rechtskonservativen Regierungspartei PiS verteidigt die Reform. Sie verbessere die finanzielle Ausstattung der Schulen und führe zu kleineren Klassen.
    "Ich kann ruhig schlafen, denn wir haben die Reform anderthalb Jahr lang gut vorbereitet. Schließlich wiederholen wir seit 17 Jahren, dass die bisherige Organisation nicht optimal war. Nur ein Detail: Wir führen auch neue Berufsschulen ein, die eine besondere Bedeutung in diesem System erhalten."
    Der Lehrerverband sieht das anders. Er ruft heute Nachmittag zu einer Demonstration vor dem Gebäude des Bildungsministeriums auf.