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Polschmelze
Starke Wärmeflüsse unter der Westantarktis entdeckt

Bislang wurden die geothermalen Prozesse unter dem Eis der Pole per Satellitendaten abgeschätzt. Jetzt aber haben Wissenschaftler zum ersten Mal direkte Temperaturmessungen durchgeführt. Es mehren sich Hinweise darauf, dass es in der Westantarktis eine massive Eisschmelze gibt, die den weltweiten Meeresspiegel deutlich ansteigen lassen könnte.

Von Monika Seynsche | 13.07.2015
    Ein Gletscher in der Antarktis
    Die Forscher erkannten, dass wesentlich mehr Wärme aus dem Erdinneren in den Eispanzer gelangt als bislang angenommen. (dpa / picture-alliance / Jim Yungel)
    Drei Monate hat Ken Mankoff im Südsommer 2012/2013 auf dem antarktischen Eispanzer verbracht, dick eingepackt in Daunenjacke und Reinraumanzug, mit Gesichtsmaske und Handschuhen. Der damalige Doktorand der Universität von Kalifornien in Santa Cruz wollte verhindern, sein Untersuchungsgebiet mit Bakterien, Keimen oder anderen Mikroorganismen zu verunreinigen.
    "Wir haben ein 800 Meter tiefes Loch durch das Eis bis hinein in den bislang unberührten Whillans-See darunter gebohrt und jede Menge Geräte hinabgelassen. Eines davon war ein Thermometer. Es war so konstruiert, dass es die hohen Drücke tief unter dem Eis aushalten konnte: ein drei bis vier Meter langes Gehäuse, das etwa 200 Kilogramm wog. Wir haben es bis fast zum Grund abgesenkt. Dann hielten wir an und ließen es das restliche Stück herabsausen, so dass sich die Metallspitze mit den Thermometern daran ins Sediment unter dem See bohrte. Dort haben wir es etwa eine Minute gelassen, um die Temperatur zu messen."
    "... drei bis viermal so viel Energie aus der Erde dringt, wie erwartet"
    Das Thermometer maß einen Wärmefluss von 280 Milliwatt pro Quadratmeter vom Boden durch den See bis hin zum Eis. Das entspreche etwa der Energie einer elektrischen Christbaumkerze, sagt Ken Mankoffs Doktorvater Andy Fisher von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz.
    "Für sich genommen ist das nicht viel Energie. Wenn man aber bedenkt, dass der durchschnittliche Wärmefluss aus dem Globus heraus nur 80 Milliwatt pro Quadratmeter beträgt, ist es sehr viel. Unsere Messungen zeigen, dass in dieser Region drei bis viermal so viel Energie aus der Erde dringt, wie erwartet. Das könnte darauf hindeuten, dass es unter dem Westantarktischen Eisschild neben der normalen Wärmeabstrahlung der Erde eine zusätzliche Hitzequelle gibt."
    Noch können die Forscher nur spekulieren, ob es sich dabei um vulkanische oder andere Aktivitäten handelt. Die Erdoberfläche unter dem Antarktischen Eis ist bis heute weitgehend unerforscht. Der Westantarktische Eispanzer macht vielen Forschern Sorgen, denn er zeigt sich zunehmend instabil. Unter dem Eis finden sich hier viele Seen und Flüsse. Auf diesem Wasserfilm rutschen die Eisströme der Region schnell gen Ozean. Dort schmilzt das Eis und trägt zum Meeresspiegelanstieg bei.
    "Der große Wärmefluss aus der Erde könnte ein Teil dieser Geschichte sein. Wahrscheinlich war die Wärme immer schon da und der Eispanzer hat sich trotz des warmen Untergrunds entwickelt. Aber heute kommt zum warmen Boden noch ein warmer Ozean hinzu und ein wärmer werdendes Klima. Alles zusammen genommen, könnte ein Faktor zu viel sein und die aktuelle Instabilität des Eispanzers erklären."
    Weitere Studien müssten zeigen, wie weit verbreitet der hohe Wärmefluss in der Westantarktis sei, sagt Andy Fisher. Die punktuellen Messungen sorgen aber jetzt schon für Interesse bei anderen Antarktisforschern.
    Martyn Tranter ist Professor für Biogeochemie an der Universität von Bristol in Großbritannien.
    "Dieser große Wärmefluss und die Tatsache, dass der Boden des Westantarktischen Eispanzers viel wärmer ist als bislang angenommen, bedeutet, dass dort unten viel mehr Eis schmilzt, es wird also viel mehr Wasser produziert. Und das heißt, unter dem Eis könnte wesentlich mehr mikrobielles Leben vorhanden sein, also wir bislang dachten."