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Pop in Deutschland
Das schwarze Schaf der Kultur

Die Deutschen konsumieren gerne Popmusik - sich tiefer damit auseinandersetzen, das machen aber nur wenige. Diesen Eindruck könnte man bekommen im Hinblick auf das Sterben der Musikzeitschriften und der weitgehenden Ignoranz der Zeitungsfeuilletons. Ist den Deutschen der Pop nicht wichtig genug?

Von Mike Herbstreuth | 24.01.2020
Eine rote Musik-Kassette mit Bandsalat
Eine rote Musik-Kassette von Agfa Gevaert mit Bandsalat (picture-alliance/dpa/LEHTIKUVA / Matti Björkman)
"Mein Eindruck ist ehrlich gesagt, dass Popmusik in Deutschland gesellschaftlich überhaupt keine Rolle spielt, also zumindest keine einflussreiche oder irgendwie ernst zu nehmende."
Daniel Gerhardt, Journalist und ehemaliger Chefredakteur der Musikzeitschrift "Spex".
"Man muss vielleicht insofern differenzieren, als es natürlich schon so etwas wie eine Begeisterungsfähigkeit für Pop gibt. Das sieht man ja an so Großevents wie Helene Fischer in was weiß ich welchem Stadion und auch an allgemeinen Absatzzahlen - der deutsche Popmarkt ist ja eigentlich ein relativ wichtiger, weltweit betrachtet."
Der viertwichtigste, laut dem Bundesverband Musikindustrie.
"Aber was ich halt nicht sehe ist das Verlangen oder die Bereitschaft, über diese Begeisterung für Pop als Großevent oder als Berieselung hinaus sich damit auseinanderzusetzen. Das sehe ich in Deutschland auch im Vergleich zu einigen anderen Ländern -nicht so ausgeprägt."
Krise des Popjournalismus ist kein Einzelfall
Lässt sich mit dieser mangelnden Begeisterungsfähigkeit für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Popmusik vielleicht auch das Zeitschriftensterben in diesem Segment in Deutschland erklären? "Spex", "Intro", "Groove", "Juice" – sie alle haben ihre gedruckte Auflage in den letzten Monaten einstellen müssen oder wurden komplett geschlossen.
"Printjournalismus insgesamt kämpft ums Überleben. Und das ist nicht nur der Pop-Journalismus und auch nicht nur in Deutschland. Das ist eine internationale Entwicklung."
Melanie Schiller – Assistenzprofessorin für Medienwissenschaften und Popmusik an der Universität Groningen in den Niederlanden. Aktuell forscht sie in Skandinavien.
"Auch in Schweden sehe ich das Gleiche, dass die schwedische Version der 'Intro' oder der 'Spex' sozusagen auch jetzt gerade als Print-Version eingestellt wurden. Ich glaube, das hat so gesehen mehr mit der Gratiskultur zu tun, mit dem Internet, den sozialen Medien und so weiter und damit, dass Plattenfirmen ihre Marketing-Gelder lieber anders ausgeben als in Anzeigen in diesen Blättern."
Außerdem habe die Einstellung dieser Print-Magazine den Popdiskurs in Deutschland auch gar nicht so sehr verändert, glaubt Popkulturjournalist Daniel Gerhardt:
"Viele der Stimmen, die in diesen Magazinen bedeutende Rollen gespielt haben, die sind ja immer noch da. Die sind jetzt bei anderen Medien gelandet. Die schreiben jetzt vielleicht eher für das klassische Feuilleton oder für andere Magazine."
Gegenbeispiele: USA und UK
Vielleicht ist es also gar nicht die Begeisterung für Pop, die in Deutschland fehlt. Vielleicht fehlt eher die Begeisterung für das Nachdenken über Pop. Denn bis heute ist im wissenschaftlichen Bereich das Thema Popmusik kein großes, sagt Thomas Hecken. Er ist Professor für Germanistik und Popkultur in Siegen und Herausgeber der Zeitschrift "Pop. Kultur und Kritik".
"Es gibt so ein paar wenige Lehrstühle für Popmusik in den Musikwissenschaften, die kann man aber wirklich an einer Hand abzählen. Und in den anderen Fächern der Kulturwissenschaften, der Kunst- und Geisteswissenschaften, gibt es eigentlich auch recht wenig Beschäftigung damit."
Anders als in den USA und Großbritannien, den Geburtsländern des Pop, war die deutsche Universitätslandschaft schon immer stark geprägt von der sogenannten "Hochkultur" - genau wie das Feuilleton der großen Tageszeitungen. Pop wurde in beiden Bereichen lange Zeit nicht ernstgenommen.
"Das überregionale Feuilleton richtet sich ja an eine ganz bestimmte Leser-Gruppe. Das sind ja meistens dann Akademiker, so kann man das sagen, die sich das Durchlesen. Und diese Leserzielgruppe, die spricht natürlich dann besonders an, wenn sie signalisiert bekommt: 'Das, was ihr ohnehin ganz gerne hört, das macht euch dann zu kulturbewussteren Menschen. Ihr seid jetzt nicht diese Charts-Konsumenten, die sich nur das anhören, was euch kommerziell von den großen multinationalen Medienkonzernen vorgesetzt wird.'"
Eine Frage der Klasse und Abgrenzung
Wenn es also ab und an so wirkt, dass die Deutschen nicht viel anfangen können mit Popmusik, dann hat es nicht nur mit den RezipientInnen zu tun – sondern mehr mit dem Status der Popmusik in den großen Kulturinstitutionen. Melanie Schiller:
"Geschmack und wie Kultur bewertet wird, hat immer auch viel mit Klasse und Abgrenzung zu tun. Und in Deutschland haben Status und Klassenunterschiede lange Traditionen und sind Hierarchien immer noch sehr wichtig. Und Popmusik gilt halt in dem Sinne oft auch als weniger gut, weil weniger komplex und hat damit einen niedrigeren Status."
So langsam scheint sich das allerdings zu ändern. Ein neues Beyoncé-Video wir auch schon mal in der "Zeit" besprochen, und für ein neues Selena-Gomez-Album interessiert sich beispielsweise auch die "Süddeutsche Zeitung". Und auch im akademischen Bereich nimmt Popmusik immer mehr Raum ein, sagt Popkulturwissenschaftler Thomas Hecken.
"Ich könnte mir vorstellen, wenn wir uns in 20 Jahren wieder sprechen, sieht es schon ein bisschen anders aus, da haben Leute wie ich auch vielleicht dafür sorgen können, dass mehr Beschäftigung damit stattfindet."