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Portugal
Untersuchung gegen Ex-Premierminister Barroso

Das portugiesische Parlament hat den ehemaligen Premierminister José Manuel Barroso zu einer Anhörung vorgeladen. Konkret geht es um die Teilnahme Portugals am Irakkrieg. Kritiker werfen dem Politiker vor, hinter seiner Entscheidung habe vor allem ein persönliches Interesse gestanden. Mit der Anhörung wollen sie den ehemaligen Regierungschef öffentlich an den Pranger stellen.

Von Tilo Wagner | 22.07.2016
    José Manuel Barroso bei seinem Abschied als Präsident der EU-Kommission in Brüssel
    Der ehemalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso soll sich in einer Anhörung den Fragen der Kommission für Außenpolitik stellen. (dpa / picture alliance / EPA / Olivier Hoslet)
    João Oliveira, der Fraktionschef der Kommunisten, verkündete im portugiesischen Parlament die Nachricht: Der ehemalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso soll sich in einer Anhörung den Fragen der Kommission für Außenpolitik stellen. Konkret geht es um die Teilnahme Portugals am Irakkrieg.
    Erst vor zwei Wochen hatte ein britischer Untersuchungsbericht Zweifel an der Notwendigkeit des Konflikts gestellt. Nun nehmen die linksgerichteten Parteien im Parlament in Lissabon das Ergebnis aus London als Steilvorlage, um Portugals ehemaligen konservativen Premierminister in den Schwitzkasten zu nehmen.
    Es geht um eine Einladung Barrosos im März 2003. Damals hatte er die Regierungschefs aus Spanien, Großbritannien und den USA auf den Azoren empfangen. Obwohl damals ein Großteil der portugiesischen Bevölkerung, der Staatspräsident und ein Teil von Barrosos eigener Partei dagegen waren, dass ihr Land in den Konflikt hineingezogen wird, gab Barroso damals die Bühne frei für seine politischen Freunde Georg W. Bush, José Maria Aznar und Tony Blair.
    "Barroso war auf Stimmenfang"
    Die drei nutzten das Treffen auf der portugiesischen Atlantikinsel, um den Krieg gegen den Irak zu verkünden. Hinter dieser Entscheidung habe vor allem Barrosos persönliches Interesse gestanden, sagt João Lemos Esteves, ein politischer Kommentator und Mitglied in Barrosos konservativer Partei PSD:
    "Portugals Staatspräsident Sampaio hatte damals als oberster Befehlshaber entschieden, dass Portugal nicht mit dem Militär, sondern nur mit der Polizei am Irakkrieg teilnehmen würde. Barroso wollte sich aber dennoch ganz klar an die Seite der Achse Bush, Aznar, Blair stellen, und der Azorengipfel war seine Chance.
    Barroso war auf Stimmenfang, denn er galt schon damals als Kandidat für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten. Und tatsächlich, später wurde er zum Kandidaten der Europäischen Volkspartei gemacht, und ausschlaggebend war auch, dass Barroso ein Freund der Bush-Regierung war."
    Wechsel in den Aufsichtsrat von Goldman Sachs
    Die Entscheidung des portugiesischen Parlaments, den ehemaligen Premier vorzuladen, fällt mitten in eine europaweit geführte Diskussion um die persönliche Zukunft von José Manuel Barroso. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident wird Aufsichtsratsvorsitzender der Investmentbank Goldman Sachs International. Und diese beiden inhaltlich so unterschiedlichen Fälle würden dennoch zusammen passen, sagt João Lemos Esteves. Denn sie deuten darauf hin, welche charakterliche Eigenschaft Barroso vor allem auszeichnet:
    "Barroso ist wie ein Chamäleon, das immer zum richtigen Moment am richtigen Ort ist. Er ist kein guter Wahlkämpfer, aber ein begnadeter Politiker – denn er macht eigentlich nie einen Fehler. Natürlich leidet darunter seine politische Grundeinstellung, denn Barroso lässt sich von keinen Idealen beziehungsweise ideologischen Vorstellungen leiten. Seine persönlichen Stärken sind jedoch gerade in internationalen Unternehmen wie Goldman Sachs sehr gefragt: Er kann Dinge gut umsetzen, ohne dabei groß rumzumeckern."
    Karriere "im Graubereich zwischen öffentlichen und privaten Interessen"
    Barroso ist jedoch nicht der erste portugiesische Spitzenpolitiker, der bei Goldman Sachs anheuert. Vor zwei Jahren wechselte bereits ein ehemaliger Minister und Barrosos engster Vertrauter in seiner Partei zur amerikanischen Investmentbank. Für João Batalha von der Anti-Korruptionsorganisation "Transparência e Integridade" ist der nächste Schritt in Barrosos Laufbahn deshalb keine Überraschung:
    "Barroso hat schon immer eine Karriere verfolgt, die sich im Graubereich zwischen öffentlichen und privaten Interessen abgespielt hat. Gleichzeitig ist dieser Fall aber ein weiterer Hinweis darauf, welche Politik Goldmann Sachs betreibt. Das Unternehmen rekrutiert ganz bewusst Leute aus den Regierungen und internationalen Organisationen, nicht nur, damit die Geschäfte der Bank davon profitieren, sondern vor allem, um eine Kultur der Macht zu entwickeln, die das Denken in den politischen Institutionen und Kontrollbehörden nachhaltig beeinflusst."
    Und dennoch: Der ehemalige Kommissionspräsident verstößt gegen keine Richtlinie, wenn er in Zukunft in London über große Kapitalgeschäfte mitentscheidet. Schließlich hatte Barroso die von der EU vorgeschriebene Karenzzeit mit einem Lehrauftrag an der amerikanischen Elite-Uni Princeton verbracht.
    Von der Anhörung vor dem portugiesischen Parlament zum Irakkrieg versprechen sich Barrosos Kritiker zumindest die Möglichkeit, den ehemaligen Regierungschef öffentlich an den Pranger zu stellen. Ob es allerdings überhaupt dazu kommt, ist eine andere Frage. Da es sich um keine Untersuchungskommission handelt, ist es den ehemaligen Politikern in Portugal frei gestellt, ob sie zu den Anhörungen erscheinen oder nicht.