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Poß: Kindergelderhöhung Wahlkampfgeplänkel der Union

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Joachim Poß hat die Union wegen ihrer Forderung nach Erhöhung des Kindergeldes kritisiert. Wenn Machtverlust - so wie in Hamburg - drohe, sei der CDU jedes Mittel recht. Poß verwies in dem Zusammenhang auf die angespannte Haushaltslage in Bund, Ländern und Kommunen. Man müsse Prioritäten setzen und auf die müsse man sich innerhalb der Koalition verständigen.

Moderation: Gerd Breker |
    Gerd Breker: Es ist ja nicht so, dass Parteien nicht lernfähig seien. Da hatte doch der hessische Ministerpräsident Roland Koch mit seiner rechtskonservativen Debatte um die Kriminalität ausländischer Jugendlicher ein fulminantes Wahldebakel erlebt. Also wird nun das Ruder herumgerissen. Ende des Monats wird in der Hansestadt Hamburg gewählt und dort will man mit der Sozialpolitik punkten und stellt sich als spendable Familienpolitiker dar. Das Kindergeld soll angehoben werden. Die Entscheidung ist mit dem Existenzminimum-Bericht verbunden, der im Herbst erscheinen wird. Das Bundesverfassungsgericht will es schlicht so. Kinder- und Betreuungsgeld - die Union setzt offenbar auf direkte Zahlungen an die Familie.
    Am Telefon begrüße ich nun Joachim Poß, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, zuständig dort für Haushalt und Finanzen. Guten Tag Herr Poß!

    Joachim Poß: Guten Tag.

    Breker: Die Union verspricht jetzt schon, bevor der Existenzminimum-Bericht erschienen ist, mehr Kindergeld und sie will das Betreuungsgeld. Verlässt ihr Koalitionspartner, Herr Poß, den Kurs der Haushaltssanierung?

    Poß: Ja, offenkundig. Wenn Machtverlust droht - und Machtverlust droht in Hamburg -, ist der CDU jedes Mittel recht. Das gilt auch für die Kanzlerin. Da werden Berechenbarkeit und Solidität ohne Skrupel über Bord geworfen. Das hat Herr Koch mit einem anderen Thema eigentlich auch in Hessen gemacht, aber ich denke schon, dass die Leute unterscheiden werden, auch die Wählerinnen und Wähler in Hamburg, was seriös und solide ist und was den Menschen hilft, auch den Kindern hilft und was doch sehr stark Wahlkampfgeplänkel ist.

    Breker: Inwieweit, Herr Poß, ist eigentlich die Erhöhung des Kindergeldes innerhalb der Koalition umstritten? Es war doch klar, dass man auf den Existenzminimum-Bericht wartet, denn so will es ja auch das Bundesverfassungsgericht.

    Poß: Es ist eigentlich überhaupt noch nichts umstritten. Nun gab es aber auch aus den Reihen der SPD Äußerungen - das muss man ja auch selbstkritisch einräumen -, die Irritationen ausgelöst haben und die dann zu der Betrachtung geführt haben, das eine stünde gegen das andere. Das ist natürlich nicht der Fall. Das, was Peter Struck zu bedenken gegeben hat, trifft ja zu. Wir wollen natürlich beides: die materielle Verbesserung für die Kinder und Familien auch in Form des Kindergeldes als auch den Ausbau der Betreuung. Aber da wir zum Beispiel auf der Bundesebene noch immer einen zweistelligen Milliardenbetrag vom ausgeglichenen Bundeshaushalt entfernt sind und wir dieses gemeinsame überwölbende Ziel der Haushaltskonsolidierung im Interesse der nachfolgenden Generationen haben - wir wissen ja noch nicht, wie die Spielräume im Herbst konkret aussehen werden -, kann man sehr wahrscheinlich ja nicht alles auf einmal schultern. Also muss man Prioritäten setzen und auf die muss man sich verständigen. Ich bin also gegen eine Diskussion Äpfel gegen Birnen, wie sie sich derzeit in der öffentlichen Debatte ein wenig abzeichnet. Man wird in geeigneter Weise natürlich das abbilden müssen, was an Veränderungen sich ergeben hat beim Existenzminimum, und man wird nicht verstärkte Anstrengungen zur Bekämpfung der Kinderarmut vergessen dürfen. Für uns Sozialdemokraten war es ja schwer genug, gegen den Widerstand der Union zum Beispiel eine dauerhafte und deutliche Bundesbeteiligung und den Rechtsanspruch auf Betreuung für alle Kinder ab einem Jahr durchzusetzen. Das heißt wir dürfen dieses Stichwort Bekämpfung auch der Kinderarmut nicht vergessen.

    Breker: Herr Poß, um es ganz klar und deutlich für unsere Hörer zu machen: wir warten auf den Existenzminimum-Bericht, der im Herbst erscheinen wird.

    Poß: Dieser Bericht wird entscheiden, wie es sich beim Thema Kindergeld entwickelt.

    Breker: Da wir davon ausgehen müssen, dass die Grenze nach oben gesetzt werden muss, können wir eigentlich auch davon ausgehen, dass es ein höheres Kindergeld geben wird?

    Poß: Wird man davon ausgehen müssen, dass es auch darum geht, ein höheres Kindergeld darzustellen, wobei für uns Sozialdemokraten wichtig ist, dass die Kinder von Spitzenverdienern dem Staat nicht mehr wert sein dürfen als die Kinder von Beziehern niedriger und mittlerer Einkommen, dass dort nicht eine Schere aufgeht, die wir ja immer mit unserer Politik geschlossen haben. Die Kanzlerin hat heute in ihrer Pressekonferenz ein etwas anderes Bild gezeichnet. Dabei gab es ja gerade aus der Union immer wieder die Festlegung - auch noch im letzten Bundestagswahlkampf - zu sagen, den Kinderfreibetrag erhöhen, das Kindergeld müssen wir gar nicht erhöhen. Da ist also auch die Linie gewechselt worden. Nein: Für uns ist natürlich wichtig, dass gerade die Kinder von Beziehern mittlerer und niedriger Einkommen nicht benachteiligt werden beim Kindergeld. Das zweite sind dann die Stichworte, die in der Berichterstattung auch genannt wurden: Was muss man tun für die frühe Förderung und gute Bildungschancen, auch im Kampf gegen Kinderarmut? Da ist ja nicht nur der Bund gefordert; da sind ja alle Ebenen gefordert, wie wir wissen. Aber nach sozialdemokratischer Vorstellung soll der Bund sich auch auf diesem Felde engagieren und inwieweit das dann bis zu kostenlosen Mittagessen geht und so weiter, wird ja im Einzelnen noch zu erörtern sein.

    Breker: Herr Poß, die Steuerquellen sprudeln derzeit. Der Staat ist eindeutig ein Gewinner des Aufschwungs der Konjunktur. Sie kommt im Finanzministerium an. Da wird der Ruf nach Steuererleichterungen lauter - etwa aus München. Das ist doch nachvollziehbar!

    Poß: Ja das ist natürlich etwas, was eigentlich die Frau Merkel für das gesamte Lager von CDU/CSU aufklären müsste. Über die Priorität des Themas Familien und Kinder kann man sich ja verständigen, aber wie das dann noch finanzpolitisch in Übereinstimmung zu bringen ist mit der Forderung nach schnellerer allgemeiner Steuersenkung, das verschließt sich jedem, der etwas sachkundig ist, denn auf der anderen Seite sind das dieselben, die in unserer Verfassung ein Verbot der Neuverschuldung fordern. Da wird es ganz dubios. Das ist alles nicht durchdacht und geordnet. Von daher wird es an der Zeit, dass Frau Merkel jetzt für Ordnung in den eigenen Reihen sorgt.

    Breker: Erwin Huber, der bayerische Finanzminister, sagt, der Staat profitiere auch von der Teuerungsrate, und schätzt die Summe, um die es dabei geht, Herr Poß, auf zehn Milliarden Euro, die dem Bürger zurückgegeben werden müssten.

    Poß: Die andere Seite der Medaille ist ja, dass viele Bürgerinnen und Bürger auf einen finanzierungsfähigen und handlungsfähigen Staat angewiesen sind. Wir haben das Ziel der Haushaltskonsolidierung, des ausgeglichenen Bundeshaushalts jedenfalls nicht erreicht, auch wenn wir das gesamtstaatlich schon erreicht haben, bezogen auf Bund, Länder und Kommunen. Die Bürgerinnen und Bürger sind auf diesen finanzierungsfähigen Staat angewiesen. Das gilt nicht nur für die sozial Schwachen. Ich nenne hier die Stichworte Bildung, Chancengleichheit, soziale Sicherheit. Da es dort auch jeden Tag neue Forderungen gibt, muss man ein Gleichgewicht herstellen. Man wird also auch dort politische Prioritäten setzen müssen und da geht es nicht, dass man allen alles verspricht. Im Moment ist die Union durch die letzten Landtagswahlergebnisse, die nicht überall so ausgefallen sind wie in Hessen, wie man sich das vorgestellt hat, in eine gewisse Panik geraten und verspricht allen alles. Das ist unsolide! Das muss man mal feststellen. Da versuchen wir Sozialdemokraten schon eine solidere Linie zu fahren.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Joachim Poß. Herr Poß, danke für dieses Gespräch!