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"Potsdamer Modell" in der Praxis
Ost-Chemie probiert flexible Arbeitszeitgestaltung

Im Mai 2017 haben sich der Arbeitgeberverband Nordostchemie und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie auf das "Potsdamer Modell" geeinigt. Das sieht eine flexible Arbeitszeitgestaltung von 32 bis 40 Stunden vor. Der Manteltarifvertrag gilt seit dem 1. Januar - nun muss das Modell mit Leben gefüllt werden.

Von Paul Vorreiter | 02.01.2018
    Betriebsassistent Peter König präsentiert ein Glas mit recyceltem Altöl am 21.07.2014 in der Puralube GmbH in Elsteraue in Sachsen-Anhalt.
    Chemieunternehmen in Ostdeutschland testen ab 2018 das "Potsdamer Modell" (dpa / Jan Woitas)
    Die Tarifpartner in der Chemiebranche gelten als gute Verbündete, die Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie als wenig streitlustig. Vielleicht ist das auch der Grund, warum beide Seiten stolz sind auf ihr ausgehandeltes "Potsdamer Modell", das sie im Mai vergangenen Jahres bei den Tarifgesprächen auf den Weg gebracht haben.
    "Hauptziel war natürlich die Angleichung der Tarifbedingungen Ost und West in der chemischen Industrie und da hatten wir bei der Arbeitszeit immer noch eine Differenz von anderthalb Stunden, die wir im Rahmen dieser Tarifrunde abschaffen wollten." - "Für uns als Arbeitgeber war es wichtig, eine Lösung zu finden, die der besonderen demografischen Situation in unserem Verbandsgebiet gerecht wird und eben die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Firmen abmildert", sagen Nora Schmidt-Kesseler, Hauptgeschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes Nordostchemie und Oliver Heinrich, Landesbezirksleiter Nordost der IG BCE.
    Arbeitszeitkorridor von 32 bis 40 Stunden
    Der Manteltarifvertrag gilt seit dem 1. Januar, spürbar für die Mitarbeiter wird er erst im kommenden Jahr sein. Das "Potsdamer Modell" sieht einen Arbeitszeitkorridor von 32 bis 40 Stunden vor. In diesem Rahmen können Betriebe und Abteilungen eine betriebliche Arbeitszeit und ab 2019 individuelle Wahl-Arbeitszeiten ausverhandeln.
    Wer will, kann so auch mehr als 40 Stunden arbeiten. Wo keine Einigung möglich ist, greift eine Auffangregelung: Die besagt, dass im Zweijahresabstand ab dem 1. Januar kommenden Jahres die Wochenarbeitszeit um jeweils 30 Minuten gesenkt wird. So wird spätestens 2023 in der Ostchemie die 38,5 Stunden-Woche durchgesetzt.
    33,6 Stunden im Durchschnitt
    In welchem Maße einzelne Betriebe und Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit nun deutlich senken werden, das lässt sich noch nicht vorhersagen, meint Oliver Heinrich.
    "Es kann im Betrieb relativ verschieden sein, dass ich durchaus für die Beschäftigten im Schichtbetrieb eine völlig andere Arbeitszeit ansetze, als für Beschäftigte in der Verwaltung oder im Labor, weil man zum Beispiel, im Schichtbetrieb, wenn man es schafft, die Arbeitszeit insgesamt auf 33,6 Stunden im Durchschnitt runterzubringen auch in einem Fünfschichtsystem zu arbeiten und damit auch die Möglichkeit hat, dafür zu sorgen, dass Kolleginnen und Kollegen bis 67 in Schicht arbeiten können."
    Gut möglich, dass die 33,6 Stunden-Woche nicht das ist, was von Arbeitgeberseite flächendeckend als idealer Zustand empfunden würde, die Unternehmen konnten allerdings eine andere, für sie noch ungünstigere Regelung mit dem "Potsdamer Modell" verhindern.
    "Einfache Arbeitszeitverkürzung für uns der falsche Weg"
    Nora Schmidt-Kesseler, Hauptgeschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes Nordostchemie: "Die Zahl der Erwerbstätigen wird in Ostdeutschland in den kommenden Jahren ja deutlich sinken und deswegen war eine einfache Arbeitszeitverkürzung für uns deshalb der falsche Weg."
    In den kommenden Monaten sollen Berater in den Betrieben darüber informieren, wie sich das "Potsdamer Modell" umsetzen lässt. Betriebliche Vereinbarungen werden in ihrer Mehrzahl dann wohl ab dem zweiten Quartal getroffen.
    Flexibilität für individuelle Regelungen
    Auch die IG Metall, die bei den Arbeitgebern in der laufenden Tarifrunde bislang auf Ablehnung stößt - mit ihrer Forderung nach einem individuellen Recht, auf 28 Stunden zu verkürzen - will mit ihrem Modell Schule machen. Welches wird sich durchsetzen?
    Enzo Weber, Wirtschaftswissenschaftler am Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: "Das Potsdamer Modell hat den Charme, dass es auf der betrieblichen Seite die Flexibilität gibt, wirklich in Betrieben oder in Betriebsteilen individuelle Regelungen zu treffen. Das Modell der IG Metall hat den Charme, dass es gerade auf Flexibilität setzt, dass es nicht für alle die einheitliche Regelung trifft, sondern vorübergehende Änderungen zulässt."
    Während die IG Metall ab dem 8. Januar mit Warnstreiks ihren Forderungen noch mal Nachdruck verleihen will, kommt es für die Mitarbeiter der Ostchemie darauf an, ihr "Potsdamer Modell" nun mit Leben zu füllen.