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Präsidentschaftswahl in der Ukraine
"Menschen haben auf ein neues Gesicht gewartet"

Die Menschen in der Ukraine seien von der Politik enttäuscht, sagte die Ukraine-Expertin Susan Stewart im Dlf. Laut Umfragen liegt der Komiker Wolodimir Selenski in Führung um die Präsidentschaftswahl. Würde er Präsident, könnte eine sehr gefährliche Situation entstehen.

Susan Stewart im Gespräch mit Änne Seidel | 31.03.2019
Der künftige ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskyj
Keine Inhalte, aber im Fernsehen und den Sozialen Medien präsent: Wolodimir Selenski (AP)
In der Ukraine findet heute die erste Runde der Präsidentschaftswahl statt. Die rund 30 Millionen Wahlberechtigten in der Ex-Sowjetrepublik können ihre Stimme 39 Kandidaten geben. In Umfragen weit vorne liegt ein politischer Quereinsteiger, der Komiker Wolodimir Selenski. Und das obwohl Selenski bislang kein konkretes Programm vorgelegt oder erklärt hat, wie er die größten Probleme des Landes – Armut, Korruption, Krieg mit Russland - lösen will.
Susan Stewart, Ukraine-Experten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, erklärt den Erfolg Selenski vor allem mit geringen Vertrauen der ukrainischen Bevölkerung in die politischen Institutionen und in die bestimmenden Politiker der vergangenen fünf Jahre. Die Bevölkerung habe auf ein neues Gesicht in der Politik gewartet, sagte Stewart im Deutschlandfunk.
Bevölkerung von der politischen Entwicklung enttäuscht
Die Menschen sähen keinen grundlegenden Unterschied im Vergleich zu den Zeiten vor der Maidan-Revolution im Jahr 2014. Es habe zwar kleine Reformschritte in den vergangenen Jahren gegeben, doch die seien nicht wirklich spürbar im Alltag der Bevölkerung. Zudem seien die Menschen enttäuscht über die Entwicklung im Donbass, wo es weiter keinen Frieden gibt, und die politische Führung des Landes, die sich weiterhin bereichere.
Die politischen Ansichten des von der Bevölkerung nun offenbar präferierten Selenski seien sehr schwer einzuschätzen, sagte Stewart. Er verfolge die Strategie, sehr präsent in den Sozialen Medien zu sein, ohne jedoch konkrete inhaltliche Aussagen zu machen. Viel Kritik erntete er für seine politisch recht naiven Aussagen in einem Interview, er werde im persönlichen Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin einen Kompromiss für den Konflikt im Donbass finden. Prorussisch sei Selenski aber wohl nicht eingestellt.
Einfluss der Oligarchen weiterhin groß
Wenn er an die Macht käme, würde wohl der Oligarch Igor Kolomoiski an Einfluss gewinnen, für dessen Fernsehsender Selenski arbeitet. Andere Kandidaten wären allerdings nicht unabhängiger, weil die Oligarchen in der Ukraine immer noch eine sehr große Rolle spielten.
Von den beiden anderen aussichtsreichen Kandidaten, dem amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko und der früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, sei nur Poroschenkos Linie eindeutig. Er werde wohl seinen patriotischen Kurs mit kleinen Reformschritten fortführen, ein Systemwandel sei unter ihm jedoch nicht zu erwarten. Wofür Timoschenko stehe, sei trotz eines ausgearbeiteten Wahlprogramms schwierig einzuschätzen, da die Vergangenheit gezeigt habe, dass es unvorhersehbar sei, wie sie letztlich handel. Silenski, Poroschenko und auch Timoschenko würden aber wohl den eingeschlagenen proeuropäischen Kurs weiterführen.
Gefährliche politische Unerfahrenheit Silenskis
Der Erfolg von Silenski sei ein ähnliches Phänomen wie derjenige von Donald Trump in den USA oder der des Komikers Beppe Grillo mit seiner Fünfsterne-Bewegung in die Italien. Gleichwohl sei die Ausgangslage in der Ukraine eine ganz andere: Das Land sei instabil und durch einen Krieg auf dem eigenen Territorium belastet. Vor diesem Hintergrund entstünde eine gefährliche Situation, wenn jemand ohne politische Erfahrung an die Macht käme, so die Einschätzung von Stewart.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.