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Preis für Zivilcourage
Dem Schwächeren ist zu helfen

Steffi Brachtel ist Trägerin des diesjährigen Preises für Zivilcourage. Die Freitaler Bürgerin erhält die Auszeichnung für ihr Engagement gegen rechte Bedrohung und Gewalt gegen Flüchtlinge. Brachtel steht bedingungslos zu ihrem Einsatz - obwohl auch sie selbst bedroht wurde.

Von Bastian Brandau | 02.11.2016
    Steffi Brachtel, diesj
    Die Freitalerin Steffi Brachtel bekommt den Zivilcourage-Preis des Förderkreises "Denkmal für die ermordeten Juden Europas". (dpa-Zentralbild)
    "Tut mir leid, hat sich alles ein bisschen verzögert, dann noch der Berufsverkehr. Ich brauch jetzt erst mal was zu trinken."
    Für Steffi Brachtel reiht sich gerade ein Termin an den anderen. Die Frau mit der dunklen Pony-Frisur kommt direkt von einem Treffen mit dem Bundespresseamt. Auch das wollte mit ihr sprechen, nachdem Brachtel als Trägerin des Preises für Zivilcourage feststeht, denn auch Kanzlerin Merkel wird bei der Preisverleihung dabei sein. Die Anfragen von regionalen und überregionalen Medien, dazu ihre Arbeit in einem Café in der Dresdner Innenstadt und das Engagement für Flüchtlinge: Steffi Brachtels Tage könnten im Moment durchaus einige Stunden mehr haben. In einem türkischen Imbiss in Freital bestellt die 41-Jährige erst mal eine Cola und beginnt zu erzählen. Brachtel ist die Aufmerksamkeit um die Preisverleihung etwas zu viel, aber sie kann sie auch sichtlich genießen:
    "Also erst mal fühle ich mich wahnsinnig geehrt. Es ist wirklich eine ganz, ganz große Ehre, überhaupt im Gespräch gewesen zu sein für diesen Preis. Schon das alleine hätte mir genügt. Und dass ich auch noch diesen Preis bekomme, ist Wahnsinn. Weil es für mich eigentlich normal und etwas Menschliches ist. Und ich bin völlig überrascht von dem ganzen Rummel, weil es ist doch normal, dem Schwächeren zu helfen. So bin ich erzogen worden: Dem Schwächeren ist zu helfen. Und bei Ungerechtigkeit mache ich den Mund auf."
    Auf Hasskommentare reagieren
    Das macht sie auf der Straße in Freital, aber auch im Netz, wo sie regelmäßig auf Hasskommentare in den sozialen Medien reagiert. Wie ihr Engagement begonnen hat? Brachtel, die ihr ganzes Leben in Freital verbracht hat, erzählt von einem islamfeindlichen Post, den ein damaliger Facebook-Freund vor gut zwei Jahren veröffentlicht habe. In einer Zeit, als es auch mit Pegida losgegangen sei.
    "Und ich habe das dann kommentiert, zusammen mit meinem jetzt 17-jährigen Sohn, dass einfach doch mal die Leute nachdenken sollen, bevor sie irgendetwas posten oder klicken oder liken. Und wir waren dann gleich die linken Spinner, die nur Grütze – harmlos ausgedrückt – im Hirn haben, wir sind linke Zecken. Und wir wurden dann gelöscht von dem Freund und wurden blockiert. Und ich ahnte damals noch nicht, dass es nicht der einzige Freund sein sollte."
    Die Situation in Freital spitzt sich zu, als im Juni 2015 in einem ehemaligen Hotel eine Erstaufnahme-Einrichtung für Asylsuchende eingerichtet wird. Tagelang demonstrieren Rechtsextreme gemeinsam mit Freitaler Bürgern gegen die Neuangekommenen. Direkt vor der Unterkunft. Bürgermeister und Verwaltung lassen die Demonstrierenden weitgehend gewähren. Und meist nur wenige Freitaler stellen sich wie Steffi Brachtel den Rechten entgegen. Immer wieder kommt es zu Übergriffen. Steffi Brachtel:
    "Da waren wir dann jeden Tag vor Ort, um die Flüchtlinge zu schützen, die ja teilweise erst mit Bussen angekommen sind, und die von einem wirklich pöbelnden Mob empfangen wurden. Und all das ging schon sehr sehr an die Grenzen, auch bei uns."
    Beschimpft und bedroht
    Uns, das ist Organisation für Weltoffenheit und Toleranz Freital, die die Flüchtlingsunterstützung organisierte. Mit gravierenden Folgen für die Aktivisten: Wer sich für Menschlichkeit engagiert, wird beschimpft und bedroht – diese bittere Erfahrung machen Steffi Brachtel und ihre neun Mitstreiter. Im Internet, an Freitaler Hauswänden und ganz real im Leben. Einmal entkommt Brachtel nur knapp einer Gruppe Rechter, die sie offenbar überfallen wollten:
    "Das war für mich eine ganz neue Erfahrung. Und die hat mich umgehauen, die hat mich natürlich auch verändert. Aber wir haben irgendwie gelernt, damit umzugehen. Und wir bauen uns gegenseitig aus, und wir bauen uns gegenseitig auf, ja und so schafft man das."