Dienstag, 14. Mai 2024

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Primor fordert Verhandlungen mit der Hamas

Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, hat sich für Verhandlungen mit der Hamas ausgesprochen. Nur die Hamas habe die Macht, Raketenangriffe auf Israel zu unterbinden. Primor kritisierte, der derzeitige israelische Druck auf den Gaza- Streifen führe lediglich zu einer Radikalisierung der dortigen Bevölkerung.

Moderation: Dirk Müller | 26.06.2007
    Dirk Müller: Herr Primor, gibt es jetzt wieder gute und schlechte Palästinenser?

    Avi Primor: Das gab es immer. Wir haben es ja immer so gesagt. Noch bevor wir den Osloer Prozess 1992 begonnen haben, gab es immer die Guten und die Bösen. Damals waren die Bösen die Fatah-Leute, heute sind die Fatah-Leute die Guten. Das sind alles Begriffe, die man so für die Taktik der Politik benutzt. Aber in Wirklichkeit gibt es heute tatsächlich ein Problem mit dem Gazastreifen, wo die Hamas, die Fundamentalisten, die Macht übernommen haben. Das bereitet Sorge für alle, nicht nur für Israel, sondern auch für die arabischen Staaten, für die arabischen Regierungen, weil die alle die Welle der Fundamentalisten fürchten, und natürlich der Westen.

    Müller: Ist die politische Strategie klug zu sagen, die Guten sind jetzt im Westjordanland, die Bösen im Gazastreifen?

    Primor: Ja, so sagt man das. Aber es gibt natürlich Hamas-Leute auch im Westjordanland. Das Problem ist, wie man es verhindern soll, dass die Hamas die Macht im Westjordanland übernimmt, genau wie sie es in Gaza getan hat.

    Müller: Wenn man die Hamas nicht einbindet, gibt es dann eine wirkliche Friedensperspektive?

    Primor: Ich glaube nicht. Ich glaube, letzten Endes kann man keinen Frieden schließen, wenn man die Realität nicht wahrnimmt. Also zunächst will man die Hamas-Regierung, die Hamas-Behörde in dem Gazastreifen zunichte machen. Alle sind einverstanden, die Amerikaner, selbst die Europäer, die meisten arabischen Staaten, natürlich Israel und vor allem die palästinensische Regierung im Westjordanland, der Präsident Machmud Abbas, der seine Macht im Gazastreifen zurück erobern will. Also wird man den Gazastreifen unter Druck setzen. Ich glaube nicht, dass das dazu führt, dass die Hamas-Regierung von der Bevölkerung vertrieben wird im Gaza-Streifen, im Gegenteil.

    Müller: Das heißt, es wird alles nur noch schlimmer.

    Primor: Ich glaube, dass diese Bevölkerung im Gazastreifen schon derartig im Elend lebt, dass sie noch sehr viel entbehren kann und der Druck auf die Bevölkerung - was heißt das, Druck auf den Gazastreifen, das heißt Druck auf die Bevölkerung - das wird die Bevölkerung noch weiter radikalisieren zu Gunsten der Hamas-Bewegung. Aber letzten Endes gibt es ein gemeinsames Interesse der Hamas und Israels, miteinander zu sprechen: Wir brauchen Ruhe, wir brauchen Sicherheit, wir brauchen ein Ende der Bombardierungen mit Raketen von unseren Städten und Dörfern entlang des Gazastreifens. Wer kann das sonst gewähren? Nur die Hamas. Und die Hamas braucht uns, um die Lebensbedingungen der Palästinenser im Gazastreifen zu verbessern. Letzen Endes werden wir es beide verstehen.

    Müller: Worauf warten die westlichen Regierungen dann noch, um auf die Hamas zuzugehen?

    Primor: Sie hoffen, dass sie die Hamas zerbrechen können, dass sie das Rad zurückdrehen, dass sie zurückrudern können und die Fatah-Regierung zurück in den Gazastreifen bringen, weil Sie die Welle der Hamas, der Fundamentalisten, der Islamisten stoppen wollen. Das ist es. Es geht ja nicht nur um den Gazastreifen, es geht um den gesamten Nahen Osten hier.

    Müller: Was es jetzt im Nachhinein - wir müssen ja auch ein bisschen über die jüngste Vergangenheit reden, Herr Primor - ein großer Fehler, die finanzielle Unterstützung an die Palästinenser vorübergehend einzustellen?

    Primor: Das ist alles die Frage des Drucks auf die palästinensische Bevölkerung: Was bringt das? Unsere Regierung, aber auch die westlichen Regierungen, die meisten Regierungen, auch die meisten arabischen Regierungen, meinen, dass das tatsächlich dazu bringen kann, dass die Palästinenser, die Bevölkerung vernünftig wird, das sage ich in Anführungszeichen, und die extremistische Regierung der Hamas vertreibt. In Wirklichkeit zeigt es das Gegenteil.

    Müller: Das Vertrauen in die Fatah-Organisation, das Vertrauen in den palästinensischen Präsidenten, der die alte, demokratisch legitimierte Regierung aufgelöst hat, eine neue eingesetzt hat, ist dieses Vertrauen bedingungslos gerechtfertigt?

    Primor: Es gibt keine Alternative dazu, so lange man mit der Hamas nicht sprechen will. Und keiner will heute mit der Hamas sprechen, keine Regierung, keine arabische Regierung. Also gibt es keine Alternative dazu. Er ist da, besseres gibt es nicht, das haben wir, wir haben keine andere Wahl. Nur die Frage ist, was man tut, um Mahmud Abbas, den palästinensischen Präsidenten und seine neue Regierung zu stärken. Das ist die Frage, und die Gesten ...

    Müller: Sollte Israel seine Soldaten aus der Westbank, aus dem Westjordanland jetzt zurückziehen?

    Primor: Ich glaube, dass die Gesten, die man gestern verkündet hat in Scharm el Scheich, das sind nur symbolische Gesten. Zunächst einmal müssen wir sehen, ob diese Gesten tatsächlich auch in die Tat umgesetzt werden. In der Vergangenheit war es nicht so. Wissen Sie, das war schon das achte Gipfeltreffen in Scharm el Scheich seit 1996. Immer wieder treffen sich alle in Scharm el Scheich, immer wieder verspricht man alles Mögliche, nie wird irgendetwas in die Tat umgesetzt. Vielleicht heute unter dem Druck der Hamas wird man diese Gesten in die Tat umsetzen. Aber das sind nur Gesten, es geht nicht weiter. Die Frage ist, ob wir wirklich mit dieser palästinensischen Regierung einen neuen Friedensprozess ins Leben rufen können, wenn ja, dann stärkt man den. Bis heute war der israelische Ministerpräsident aus politischer Schwäche innerhalb des Landes dazu nicht bereit. Vielleicht wird er es jetzt doch machen.

    Müller: Herr Primor, meinen Sie die israelischen Gesten?

    Primor: Die israelischen Gesten.

    Müller: Hat sich das verändert? Wird Israel das jetzt umsetzen?

    Primor: Ich sage Ihnen, in der Vergangenheit war es nicht so. Das erste Mal, als Mahmud Abbas und Ehud Olmert, der israelische Ministerpräsident, sich getroffen haben, das war am 23. Dezember vorheriges Jahr, 2006, da hat Ehud Olmert mehr oder weniger die gleichen Sachen versprochen. Nichts wurde damals in die Tat umgesetzt aus politischer Schwäche, wie ich sage. Jetzt vielleicht unter Druck - er persönlich, Olmert ist unter Druck, weil er nicht weiß, ob er überhaupt an der Macht bleiben kann - unter Druck der Welt, den Mahmud Abbas, den palästinensischen Präsidenten zu stärken, wird er vielleicht diesmal doch diese Gesten, diese Versprechen in die Tat umsetzen. Aber das ist erste Hilfe, das ist noch keine Lösung. Die Frage ist, ob er auch einen Friedensprozess ins Leben rufen kann.

    Müller: Avi Primor war das, der frühere israelische Botschafter in Deutschland. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Primor: Guten Tag.