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Problem Elektroschrott
Harms fordert härtere EU-weite Strafen

Schuld daran, dass Millionen Tonnen Elektroschrott illegal über europäische Landesgrenzen hinweg gehandelt würden, seien maßgeblich einzelne Mitgliedsstaaten, sagte Grünen-Europapolitikerin Rebecca Harms im DLF. Sie fordert Regeln zur gemeinsamen Überwachung der Ein- und Ausfuhren alter technischer Geräte und eine effektivere Strafverfolgung.

Rebecca Harms im Gespräch mit Dirk Müller | 31.08.2015
    Rebecca Harms, Fraktionschefin der europäischen Grünen, und Bernd Lucke
    Rebecca Harms, Fraktionschefin der europäischen Grünen (picture alliance/dpa/Britta Pedersen)
    Das Problem des illegal gehandelten Elektroschrotts sei bei der EU schon länger bekannt, sagte die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, weshalb die jüngst veröffentlichte Studie dazu aus Brüssel mitfinanziert worden sei. Man könne deshalb nicht einfach sagen, dass die EU an der Stelle versage - vielmehr liege eine große Verantwortung bei den einzelnen Mitgliedsstaaten, die die Vorgaben der bereits bestehenden Elektroschrott-Richtlinie nicht ordnungsgemäß umsetzten.
    Bei dem Thema sei, wie bei allen anderen Regelungen aus Brüssel auch, das Problem, dass sich die einzelnen Länder nicht darauf einigen könnten, ob Vorgaben verpflichtend für den gesamten EU-Raum gelten sollten oder ob es sich um Ziele handele, die die einzelnen Staaten freiwillig umsetzten, so Harms. Daran schließe sich der Streit an, ob Verstöße gegen verpflichtende Regelungen strafrechtlich effektiv geahndet werden sollten, wozu die Bereitschaft häufig gering sei. Welche Länder genau Vorstöße in diese Richtung blockieren oder bereits bestehende Richtlinien nicht umsetzten, sagte Harms nicht. Aus der aktuell diskutierten Studie habe sie aber den Eindruck gewonnen, "dass kein EU-Land die Richtlinie optimal umsetzt".
    Harms sprach sich dafür aus, innerhalb der EU eine gemeinsame Überwachung des Handels mit Elektroschrott zu einzurichten und forderte, "gemeinsame Wege für Strafverfolgung zu schaffen". Das sei nicht nur aus Gründen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes notwendig, sondern auch aus wirtschaftlicher Perspektive. Durch den illegalen Handel entstehe ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden.
    In den 28 EU-Ländern wird derzeit nur etwa ein Drittel der ausgemusterten Computer sowie von anderem Elektroschrott ordnungsgemäß und gemäß der Elektro- und Elektronik-Altgeräte-Richtlinie der EU entsorgt. Der Rest - immerhin 6,2 Millionen Tonnen im Jahr 2012 - werde falsch recycelt, ins Ausland gebracht oder einfach weggeworfen, heißt es in der Studie der Organisation CWIT (Countering WEEE Illegal Trade) zum Kampf gegen die Verschwendung von und den illegalen Handel mit Elektronik-Schrott.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Computer, Laptops oder auch Handys - mehr als sechs Millionen Tonnen davon werden einfach weggeworfen. Das Computer-Zeitalter zeigt seine Schattenseiten. Berge von Elektroschrott werden immer mehr zum internationalen Problem. Zahlreiche organisierte Banden handeln illegal mit diesen Überbleibseln. Deren Bestandteile sind häufig äußerst wertvoll, aber auf jeden Fall ganz oft hoch giftig. In den 28 EU-Ländern wird demnach derzeit nur etwa ein Drittel des Elektroschrotts angemessen entsorgt - das alles Ergebnis einer aktuellen UN-Studie.
    Was tun gegen die wachsenden Müllberge von Elektroschrott? Was tun gegen eine weitere Gefahrenquelle für den unmittelbaren Lebensraum? - Am Telefon ist nun Rebecca Harms, Fraktionschefin der Grünen im Europäischen Parlament. Guten Morgen.
    Rebecca Harms: Guten Morgen.
    Müller: Frau Harms, was haben Sie mit Ihrem kaputten Fernseher gemacht?
    Harms: Ich bringe die Elektrogeräte zu einer Sammelstelle, die die Kommunen bei uns eingerichtet haben.
    Müller: Ganz korrekt sind Sie da gewesen. Das heißt, vom großen Fernseher bis zur kleinsten Batterie?
    Harms: Alles kann man da abgeben und es gibt ja auch Händler, die elektrische Geräte und zum Teil auch elektronische Geräte zurücknehmen. Aber das heißt natürlich nicht, dass das insgesamt funktioniert. Dass wir diese Probleme haben, die in der Studie jetzt noch mal prominent zusammengetragen worden sind und veröffentlicht werden, das ist ja in der Europäischen Union in den Institutionen bei uns bewusst gewesen. Deshalb ist ja diese Studie auch von der EU mitfinanziert worden, mit in Auftrag gegeben worden.
    "Verstöße in Zukunft auch anders ahnden"
    Müller: Sie sagen, das europäische Bewusstsein bei den europäischen Abgeordneten - das ist ja häufig so, sagen jedenfalls auch die Abgeordneten -, das ist durchaus da. Was fehlt ist die Umsetzung in den Ländern?
    Harms: Ich habe gestern diese Berichterstattung über die Veröffentlichung der Studie, die beginnende Berichterstattung gelesen. Man kann nicht einfach sagen, die EU versagt, sondern wenn an dieser Stelle in Europa versagt wird, dann gibt es eine große Verantwortung dafür auch in den Mitgliedsstaaten. Die Mitgliedsstaaten müssen die Vorgaben der Richtlinien umsetzen und sie müssen in Brüssel meiner Meinung nach jetzt dafür eintreten, dass in einer Überarbeitung dieser Richtlinie dafür gesorgt wird, dass Verstöße gegen diese Ziele beim Einsammeln des Elektronikschrottes, dass Verstöße in Zukunft auch anders geahndet werden können.
    Müller: Wer macht das denn nicht? Mit wem sind Sie unzufrieden? Welches Land spielt nicht mit?
    Harms: Es ist ja immer ein ganz grundsätzlicher Streit, wenn wir neue Richtlinien machen, neue Vorgaben, wie zum Beispiel für Elektro- und Elektronikschrott verabschieden, ob das dann verbindliche Vorgaben sein sollen, oder ob die Ziele freiwillig verankert werden sollen. Diesen Streit gibt es, egal was in Brüssel verhandelt wird, immer. Und es gibt auch immer den Streit darum, ob wir dann zu unseren Instrumenten auch richtige Strafverfolgung machen sollen für den Fall von Verstößen. Was ich jetzt über diese neu veröffentlichte Studie sagen kann, dabei kommt heraus wie so oft, dass wir dafür sorgen müssen, damit dass Recycling, die Kreislaufwirtschaft an dieser Stelle funktioniert, dass wir dafür sorgen müssen, dass erstens die Vorgaben für das Einsammeln, dass die verbindlicher und einheitlicher gestaltet werden, dass aber auch wir gemeinsame Wege zur Verfolgung bei Verstößen schaffen müssen.
    "In einem Drittel der EU-Staaten findet kaum Recycling statt"
    Müller: Meine Frage, Frau Harms, war ja noch mal, um darauf zurückzukommen: Wissen Sie, welche Länder das nicht mitmachen, welche Länder das vernünftig machen oder besser machen?
    Harms: Ich habe gestern nur lesen können, dass in ungefähr einem Drittel der EU-Staaten bisher die Vorgaben überhaupt nicht beachtet werden. Wie im Detail, wer was macht, das kann ich nicht sagen. Aber bei der Menge an Elektroschrott und Elektronikschrott, die nicht ordnungsgemäß entsorgt wird laut Studie, und bei der Information, dass innerhalb der EU sehr viel verschoben wird und weiterhin sehr viel illegal nach Afrika exportiert wird, da kann ich nur erst mal daraus schließen, dass kein EU-Land offensichtlich optimal umsetzt.
    Müller: Schauen wir da noch mal drauf. 1,3 Millionen Tonnen Elektroschrott sollen aus der EU herausfließen, die EU als Exporte verlassen, nicht angemeldet, 4,7 Millionen innerhalb der EU, Elektroschrott, der von A nach B und C oder wie auch immer läuft. Das ist zehnmal so viel, wie offiziell deklariert. Das sagt jedenfalls diese Studie. Jetzt können Behörden ja viel beschließen beziehungsweise Gesetzgeber viel beschließen, Behörden können auch viel kontrollieren, was in dem Fall für viele ja gar nicht nachvollziehbar ist, dass da Personal da ist, dass es da eine Möglichkeit gibt, wenn der Verbraucher nicht mitspielt. Ist der Verbraucher zu bequem?
    Harms: Der Verbraucher muss mitmachen, aber man muss dem Verbraucher dafür auch die richtigen Angebote machen. Das, was wir gemeinsam verabreden bei so einem nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Gesundheit und für die Wirtschaft wichtigen Problem, das muss auch überwacht werden. Das ist auch ein Hinweis, den die Studie gibt. Vor der Strafverfolgung steht auch die gemeinsame Verabredung zur Beaufsichtigung dessen, was man verabredet.
    "Ran an die gemeinsame Aufsicht"
    Müller: Eine Müllpolizei? Eine Elektroschrott-Müllpolizei?
    Harms: Ich würde nicht sagen, dass das eine Müllpolizei ist. Ich glaube, da gibt es smartere Wege, um das zu klären, ob wir uns denn eigentlich besser verhalten, als diese Studie das beklagt. Aber wichtig dafür ist auch ein Aspekt, der auch in der Studie bearbeitet wird, nämlich das wirtschaftliche Interesse. Es gibt ja nicht nur einen Umweltnutzen, wenn man das alles besser macht, und einen Gesundheitsnutzen, sondern es gibt auch einen Nutzen für die Wirtschaft, denn bei dieser illegalen Entsorgung, bei der Verweigerung von einer vernünftigen Kreislaufwirtschaft, gehen sehr viele Rohstoffe, wertvolle Rohstoffe verloren, und dieser wirtschaftliche Nutzen, der muss mit einer besseren Kreislaufpolitik, Kreislaufwirtschaftspolitik noch herausgearbeitet werden.
    Müller: Da ist von Edelmetallen die Rede. Fast zwei Milliarden Euro sollen die wert sein, wenn wir ein Jahresvolumen da zugrunde legen. Aber kommen wir noch einmal auf die Sanktionen beziehungsweise auf die Umsetzung zurück, Frau Harms. In der Studie wird ja gefordert, Produzenten, Händler, Recycling-Unternehmer, Gesetzgeber, Strafverfolgungsbehörden, Wissenschaft, Hilfsorganisationen müssten viel besser zusammenarbeiten. Das ist wohlfeil, das hören wir häufig. Aber wie lange können wir uns das leisten, darauf zu warten?
    Harms: Ich glaube, dass die Aspekte, die in der Studie heißen Überwachung, Monitoring, Beobachtung dessen, was man sich an Zielen gibt, dass man darüber diskutieren muss, was das heißt. Wer nicht will, dass weiter großer wirtschaftlicher, aber auch Umweltschaden angerichtet wird, der muss nicht nur in der Freiwilligkeit das Ganze belassen, sondern der muss heran an die gemeinsamen Regeln, die gemeinsame Aufsicht und im Zweifelsfall, weil das ja großen Schaden anrichtet, auch an die Strafverfolgung.
    Müller: Deutschlandfunk, 6:58 Uhr. Bei uns im Morgeninterview Rebecca Harms, Fraktionschefin der Grünen im Europäischen Parlament. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Harms: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.