Ski Nordisch
Bei den Frauen-Disziplinen tut sich was

Im Nordischen Skisport war es lange so: Frauen laufen kürzere Distanzen und springen von kleineren Schanzen. Aber die Frauen-Disziplinen entwickeln sich, obwohl manche männliche Funktionäre Vorbehalte haben und auch Türen verschlossen bleiben.

Von Julian Tilders |
Als Skispringerin gewann Svenja Würth 2017 den Weltmeistertitel im Mixed-Team. Mittlerweile startet sie in der Nordischen Kombination, die Skispringen und Langlauf kombiniert.
Als Skispringerin gewann Svenja Würth 2017 den Weltmeistertitel im Mixed-Team. Mittlerweile startet sie in der Nordischen Kombination, die Skispringen und Langlauf kombiniert. (picture alliance / GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com / GEORG HOCHMUTH)
Svenja Würth ist buchstäblich eine Vorkämpferin – und zwar gleich in zwei Nordischen Disziplinen: Sie ist lange eine Top-Skispringerin, 2020 wechselt sie in die Nordische Kombination. „Also man merkt schon, dass sich in einigen Sportarten was tut. In manchen mehr, in anderen weniger. Bei uns tut sich ein bisschen was. Aber wir haben leider trotzdem ziemlich wenige Wettkämpfe“, sagt Würth.
Die Nordische Kombination der Frauen ist noch jung, erst seit 2020 gibt es offizielle Weltcups. Ehemalige Skispringerinnen wie Svenja Würth sind für die Entwicklung der Nordischen Frauen-Kombination sehr wichtig als Zugpferd. „Sie machen größere Schritte in noch kürzerer Zeit, profitieren in gewisser Weise von der Aufbauarbeit, die das Frauen-Skispringen gemacht hat", sagt Sportjournalist Luis Holuch.

Premiere für die NoKo-Frauen auf dem Holmenkollen

Er kommentiert seit vier Jahren die Nordischen Frauen-Disziplinen, unter anderem bei Eurosport. Holuch wird am Mikrofon sitzen, wenn diese Saison zum ersten Mal auch die Kombiniererinnen das machen, was für die Skispringerinnen inzwischen schon normal ist: Es geht auf die Großschanze - mit der Premiere am legendären Holmenkollen in Norwegen. Ein Meilenstein, sagt Svenja Würth: „Es ist schon nochmal ein anderer Adrenalinkick. Es sind einfach höhere Geschwindigkeiten, man hat einen höheren Luftstand. Das ist einfach nochmal ein anderes Fliegen, weil man auch länger in der Luft ist.“
Die Skispringerinnen haben da den Kombiniererinnen schon einiges an Erfahrung voraus: Für sie geht es mittlerweile bei der Hälfte der Weltcups auf die Großschanze, dazu kommt eine gewisse Medienpräsenz. 2026 soll der Wettkampfkalender der Frauen und Männer komplett zusammengelegt werden. Nur bei der Vier-Schanzen-Tournee zum Jahreswechsel hakt es noch, die ist den Männern vorbehalten, für die Frauen muss eine Zwei-Schanzen-Tournee reichen.

Toni Innauer warnte vor Frauen-Skifliegen

Allein für diese Entwicklung hat es viel Zeit gebraucht. Was auch daran liegt, dass einige männliche Funktionäre lange Vorbehalte haben. Vor dem ersten Frauen-Skifliegen – von einer Riesenschanze mit Flugweiten um die 200 Meter – gibt es letzte Saison Kritik vom ehemaligen Skispringer Toni Innauer. Der Österreicher schreibt einen offenen Brief an den Ski-Weltverband (FIS): Es gebe „physikalisch-biomechanische Unterschiede zwischen Männern und Frauen“, bei der Landung sei das Sturzrisiko für Frauen wegen des geringeren Muskelanteils am Körpergewicht größer.

Würth: Lasst die Damen fliegen

Svenja Würth nimmt das mit einem müden Lächeln zur Kenntnis: „Seitdem ich eigentlich als kleines Kind angefangen habe, hat man immer wieder solche Sprüche gehört, dass Frauen nicht landen können, dass Frauen mit der Geschwindigkeit nicht umgehen können, mit der Kraft. Die haben den ganzen Kritikern schon gezeigt, dass die Entscheidung, die Damen fliegen zu lassen, definitiv richtig war.“
Allerdings: So ein bisschen Recht hat Toni Innauer schon, sagt Prof. Patrick Diel, Sportwissenschaftler an der Deutschen Sporthochschule Köln. „Wir wissen, dass Frauen sehr viel häufiger von Verletzungen des passiven Bewegungsapparates betroffen sind als Männer. Also Frauen prinzipiell – normalerweise leichter als Männer – sind sicherlich, was das Fliegen angeht, nicht im Nachteil. Aber diese Sache mit der Landung, da entstehen natürlich enorme Belastungen.“
Dennoch, betont Patrick Diel: Spitzensportlerinnen sind genauso hoch spezialisiert wie Spitzensportler – und haben eine ähnliche Körperstruktur. „Wenn man sich jetzt den typischen männlichen Skiflieger anschaut, dann sind das auch nicht so die Typen, die aus dem Fitnessstudio rauskommen und mit Muskeln bepackt sind. Ich weiß nicht, ob ein sehr dünner männlicher Skiflieger unbedingt mehr Muskelmasse hat als eine Skifliegerin. Es gibt Erfahrungswerte aus dem Abfahrtslauf oder Snowboarding, wo auch der Bänder- und Sehnenapparat extrem gefordert ist. Mir ist nicht bekannt, dass dort exorbitant mehr Frauen als Männer verletzt sind.“

Keine Strecken-Unterschiede mehr im klassischen Langlauf

Bis aber die Kombiniererinnen und Kombinierer auch in der Teildisziplin Langlauf über dieselbe Distanz gehen, wird es wohl noch einige Zeit dauern. Eine Angleichung ist zwar laut Ski-Weltverband langfristig geplant, macht aus Gründen der Spannung aber jetzt noch keinen Sinn, sagt TV-Kommentator Luis Holuch:
„Im Laufbereich sind die Diskrepanzen zwischen den Besten und den Schwächeren noch ziemlich groß. Das fällt halt noch nicht so auf, wenn du eine Laufstrecke von fünf statt zehn Kilometern hast.“
Dass die Frauen im Langlauf sehr stark sein können, zeigt sich allerdings in der klassischen Variante. Da reißen die Frauen schon dieselbe Strecke ab wie die Männer und stehen jetzt auch vor einer Premiere. „Die WM ist das erste große Event mit 50 km für die Frauen. Aber wir haben das schon letzte Saison im Weltcup eingeführt, hatten schon so ein großes Rennen am Holmenkollen", erklärt Michal Lamplot, Langlauf-Direktor bei der FIS. "Es gibt keinen Grund, warum Frauen nicht auch 50 km laufen sollten. 50 km sind nicht für jeden was – aber das gilt auch für die Männer.“

Ausdauersport liegt den Frauen

Extremer Ausdauersport liegt Frauen sogar teilweise besser als Männern, erklärt Sportmediziner Patrick Diel: „Je länger die Distanzen sind, desto geringer fallen diese Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf, bis sie dann ganz verschwinden. Da ist es so, dass man die Energie vor allem aus den Fettreserven zieht. Das können Frauen sehr viel besser als Männer.“
Das liegt laut Diel auch daran, dass Frauen mit einem höheren Körperfettanteil darauf ausgelegt sind, große Energiereserven während einer Schwangerschaft zu speichern.
Frauen können also dieselben Leistungen erbringen wie Männer. Obwohl sportwissenschaftlich und medizinisch nichts dagegen spricht, kommen Frauen vor allem in der Nordischen Kombination aber nur langsam voran – auch, weil ihnen Steine in den Weg gelegt werden.
Kombiniererin Svenja Würth erzählt: „Ich persönlich habe schon auch sehr viele Tränen vergossen. Es sind schon ziemlich viele Türen, die uns verschlossen bleiben, weil viele Gelder daran geknüpft sind, dass sie nur für Olympische Sportarten ausgegeben werden.“

Kombiniererinnen nicht bei Olympia

Das Schlüsselwort: Olympia. Langlauf und Skispringen haben keine Sorgen – aber die Nordische Kombination. Selbst die Männer drohen für 2030 aus dem Programm zu fliegen. Und den Frauen wird vom Internationalen Olympischen Komitee für 2026 die erste Teilnahme verwehrt. Gründe unter anderem: Die Leistungsdichte sei nicht ausreichend und es gebe zu wenige Nationen in der Frauen-Kombination.
Damit ist der Olympia-Zug für die 31-jährige Svenja Würth abgefahren, für sie würden Winterspiele 2030 zu spät kommen. Aber vielleicht erleben andere Nordische Kombiniererinnen dann eines Tages das, wofür Svenja Würth lange eine große Vorkämpferin war.