Donnerstag, 18. April 2024

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Prostitution in Thailand
Buddha im Rotlicht

Kinder haben in Thailand die religiöse Pflicht, zum Einkommen der Familie beizutragen. Töchter, die als Prostituierte arbeiten, schicken regelmäßig Geld nach Hause. Außerdem unterstützen sie buddhistische Klöster, um Schuld und Schande zu verringern. Hilfe von den Mönchen bekommen sie nicht.

Von Horst Blümel | 19.06.2018
    Prostituierte stehen dicht an dicht an einer Straße
    Das Rotlichtviertel von Bangkok ist für viele Männer der Hauptgrund für den Thailand-Urlaub (imago)
    Flughafen Bangkok. Gerade setzt sich das Gepäckband in Bewegung, an dem die Reisenden aus Italien auf ihre Koffer warten. Es sind überwiegend Männer. Etwa zwei Drittel der Thailand-Touristen sind Männer. Die meisten von ihnen kommen nicht wegen der tropischen Landschaft und den weißen Stränden hierher - ihr Ziel sind die Rotlichtbezirke von Bangkok und der Touristen-Hochburgen.
    Eine Seitengasse der Sukhumvit Road in Bangkok. Hier stehen Prostituierte in hochhackigen Schuhen und im Bikini vor Bars und Massagesalons. Jeder vorbeischlendernde Mann wird vielsagend angelächelt und manchmal sogar festgehalten, um ihn als Kunden zu gewinnen. Fast alle Frauen, die in Thailand als Prostituierte arbeiten, kommen aus den ländlichen Gebieten im Norden und Nordosten Thailands. Ihre Familien sind Bauern und oft sehr arm. Die Soziologin Dusita Phuengsamran von der Mahidol University in Bangkok:
    "In meiner Forschungsarbeit haben wir den Frauen die Frage gestellt: Warum arbeitest du als Prostituierte? Um Schulden der Familie zu begleichen und die Schulausbildung der Kinder zu finanzieren - das waren die meisten Antworten. Da sie ungebildet seien und reichlich Geld benötigten, könnten sie auch nichts anderes machen."
    "Mit der Zeit verlangen die Eltern teure Konsumgüter"
    Im buddhistischen Thailand haben die Kinder die religiöse Pflicht, zum Einkommen der Familie beizutragen. Durch gute Taten erwerben sie nicht nur religiöses Verdienst für sich selbst, sondern auch für ihre Eltern. Außerdem sollen die erwachsenen Kinder sich bemühen, das Ansehen und den Status der Familie zu verbessern.
    Söhne können für eine Weile als Mönch leben und so zum Ansehen einer Familie im Dorf beitragen. Frauen haben zwar auch an einigen Orten die Möglichkeit, als Nonnen zu leben, aber Nonnen genießen in Thailand weitaus weniger Respekt als die sehr geachteten Mönche. Aber Töchter, die im Rotlichtmilieu arbeiten, können durch regelmäßige Geldsendungen den Lebensstandard ihrer Familie verbessern und dadurch den Status der Familie anheben. Ihre Eltern sehen darüber hinweg, dass dieses Geld aus einer Tätigkeit stammt, die mit der Lehre Buddhas nicht vereinbar ist.
    "Sie sagen nur, dass ihre Tochter in Bangkok arbeitet. Sie kritisieren die Arbeit der Tochter nicht, solange sie zuverlässig Geld schickt und ihnen Geschenke mitbringt. Aber mit der Zeit verlangen die Eltern dann teure Konsumgüter und mehr Geld."
    Sagt Winnie Luang Ya, Mitarbeiterin der Issarachon Foundation in Bangkok. Ihre Organisation kümmert sich um Obdachlose und Prostituierte.
    "Was die Prostituierten am meisten beunruhigt, ist ihre Gesundheit. Viele von ihnen haben AIDS. Wir klären sie darüber auf, wie das Virus übertragen wird, und verteilen Kondome. Und dass sie im Krankenhaus drei Tage kostenlos behandelt werden. Da die meisten der Prostituierten ungebildet sind, wissen sie über ihre Rechte nicht Bescheid."
    Die Polizei ist keine Hilfe
    Thailand ist das bevorzugte Ziel der Sex-Touristen in Südostasien, obwohl Prostitution seit 1960 hier verboten ist. 1996 trat ein weiteres Gesetz in Kraft, um der zunehmenden Kinderprostitution entgegenzuwirken.
    "Der Jüngste, den ich kenne, ist neun Jahre alt. Er kommt aus einer armen Familie. Männer sprechen ihn an und fragen, was er gern haben möchte. Sie kaufen ihm dann ein Videospiel und haben Sex mit dem Jungen. So etwas zu hören, ist sehr traurig."
    Trotz bestehender Gesetze unternimmt die Regierung des Landes nichts gegen die Sex-Industrie. Und das aus gutem Grund: Etwa 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts stammt aus dem Rotlichtmilieu. Aber hin und wieder geht die Polizei eigenmächtig gegen Barbesitzer und Prostituierte vor. Während die Barbesitzer durch eine freiwillige Geldzahlung an die Einsatzkräfte nicht weiter behelligt werden, verhaftet man die Prostituierten und nimmt sie mit auf die Wache. Dusita Phuengsamran sagt:
    "Wenn du von der Polizei verhaftest wirst, stellen sie dich vor die Alternative: entweder eine Strafe zu bezahlen oder Sex mit den Polizisten zu haben. Wenn du Sex ablehnst, landest du vielleicht im Gefängnis. Prostituierte sind völlig ungeschützt. Sie sind illegal und können deshalb auch keine Hilfe von der Justiz erwarten."
    "Die Leute respektieren diese Frauen nicht mehr"
    In Thailand gibt es Abertausende Prostituierte. Während des Vietnam-Krieges kamen viele junge Thailänderinnen in die Küstenstadt Pattaya. Hier machten amerikanische Kriegsschiffe fest. Die US-Soldaten sollten sich in der Stadt von den Strapazen des Krieges erholen. Freudenmädchen erhofften sich hier ein gutes Einkommen. Manche Soldaten heirateten auch einige der Frauen. Einen Ehemann aus dem Westen zu bekommen, davon träumen viele Prostituierte in Thailand auch heute. Winnie Luang Ya sagt:
    "Wenn ein Mann aus dem Westen eine Prostituierte heiratet, hat sie Glück gehabt. Denn ihrem Mann ist es egal, dass sie vorher in der Sex-Industrie gearbeitet hat."
    In den Rotlichtbezirken sind natürlich auch Einheimische unterwegs. Ab und zu passiert es, dass ein wohlhabender Thailänder so Gefallen an einer Dame findet, dass er sie zu seiner Nebenfrau auserwählt.
    "Leute, die so etwas machen, sind reich. Die Männer suchen sich irgendwo eine Frau aus. Diese muss dann selbst verständlich ihre Arbeit aufgeben und nur noch für den Mann da sein. Sich schick kleiden und ihn zu bestimmten Anlässen begleiten. Manchmal weiß die Ehefrau von dieser Nebenfrau. Sie denkt sich: Okay, solange mein Mann bei mir bleibt und Essen auf den Tisch bringt - dann finde ich mich halt damit ab."
    Frauen, die in Thailand in der Sex-Industrie arbeiten, verdienen deutlich mehr Geld als in einem anderen Job, den sie bekommen könnten. Aber Dusita Phuengsamran sagt:
    "Wenn man einmal mit dieser Arbeit angefangen hat, wird es schwierig, damit wieder aufzuhören. Wegen des schlechten Rufs, den man jetzt hat. Wenn Frauen einmal in dieses Milieu geraten, sind ihnen viele Chancen verbaut. Die Leute respektieren diese Frauen nicht mehr."
    Verhaltene Kritik an Mönchen
    Dies war nicht immer so. Zu Lebzeiten Buddhas wurden Kurtisanen sehr geachtet. In jahrhundertealten Texten werden sie als mutige und selbstbewusste Frauen beschrieben. Heute besitzen die meisten Prostituierten in Thailand kein Selbstwertgefühl, sagt die Soziologin Dusita Phuengsamran. Die Arbeit der "Freudenmädchen" wirkt sich negativ auf ihr Karma, die Form der Wiedergeburt, aus. Um ihr Karma positiv zu beeinflussen und religiöses Verdienst zu erlangen, finanzieren die Prostituierten zum Beispiel die Ordination von Mönchen oder spenden an buddhistische Tempel. Winnie Luang Ya sagt:
    "Die Frauen kommen von weit her. Ab und zu fahren sie nach Hause und unterstützen den Tempel dort oder lassen Roben für die Mönche anfertigen. Diese Taten sollen ihre Schuld verringern."
    Manchmal werden verhaltene Stimmen gegen die Mönche laut - diese würden nur an ihren eigenen Vorteil denken. Eigentlich müssten sie die Prostituierten zu einer anderen Arbeit bewegen, die mit der Lehre Buddhas vereinbar ist. Aber dann blieben viele der großzügigen Spenden aus.