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Proteste in Belgien
Mit Feuerwerk gegen die Sparpolitik

100.000 Menschen haben in Brüssel gegen die Sparpolitik der Mitte-Rechts-Regierung protestiert. Aufgerufen hatten dazu die drei großen Gewerkschaften des Landes. Sie werfen der Regierung vor, mit den angekündigten Sparmaßnahmen Steuergeschenke für Arbeitgeber finanzieren zu wollen.

Von Julian Kuper | 07.11.2014
    Auf einer Großdemo haben in Brüssel Zehntausende gegen neue Sparmaßnahmen der belgischen Regierung demonstriert.
    100.000 Demonstranten haben in Brüssel gegen die Sparpolitik der Regierung protestiert. (picture alliance / dpa / Jasper Jacobs)
    Am zentralen Place de Brouckère in Brüssel geht erst einmal nichts mehr. Tausende Demonstranten drängen sich auf der Straße. Rote Feuerwerkskugeln fliegen in die Luft. Immer wieder explodieren Böller zwischen den Menschen. Die meisten haben rote oder grell-grüne Gewerkschaftsjacken an und schwenken Fahnen. Ab und an flitzen vermummte Gestalten durch die Menge.
    Über den Demonstranten kreisen Polizeihubschrauber in der Luft und beobachten die Situation. Insgesamt schieben sich rund 100.000 Demonstranten langsam über die Straße. Immer wieder hält der Protestzug. Alle paar Meter gibt es Bühnen mit Kundgebungen. Davor steht eine bunte Mischung von Sympathisanten: ob Lehrer, Busfahrer oder Arbeiter aus einem Kabelwerk. Aus allen Ecken von Belgien.
    Der Ansturm war so groß, dass die großen Gewerkschaften Busse aus dem Ausland gemietet haben. Die Bahn setzt Sonderzüge ein und bietet ermäßigte Tickets an.
    Wut auf die Regierung
    Die Demonstranten – unter ihnen auch einige deutschsprachige aus den grenznahen Gegenden – sind wütend auf die Sparpolitik der neuen Mitte-Rechts-Regierung unter dem Liberalen Premier Charles Michel. Darauf, dass das Rentenalter erhöht und öffentliche Leistungen gekürzt werden sollen.
    "Unser Problem ist heute, wir haben eine schreiende Steuerungerechtigkeit und die Regierung spart bei den Arbeitnehmern."
    "Es geht um die sozialen Errungenschaften und die Michel-Regierung will den Leuten richtig tief in die Taschen greifen. Und wir finanzieren die Steuergeschenke für die Arbeitgeber."
    "Ich wohne in Belgien seit über zehn Jahre und bin ziemlich genervt von dieser Regierung. Ich selbst bin Historikerin und wenn man überlegt, was alles abgeschafft werden soll, welche Stellen, welche Institutionen, wo wirklich gute Recherche gemacht wird."
    Belgische Streikkultur
    Die Proteste sind aggressiv. Streiken funktioniert anders als in Deutschland, sagt der Eupener Rechtsanwalt Axel Kittel, der sich mit Arbeitsrecht auskennt.
    "Was ich also auch in der Erfahrung meistens gesehen habe, ist, dass in Deutschland, dass was wir einen wilden Streik nennen, eigentlich nicht besteht. Dass also vorher doch Diskussionen ablaufen, sehr oft, zwischen den Sozialpartnern, was also in Belgien nicht unbedingt der Fall ist."
    Sprich: In Belgien kann unter Umständen ganz spontan gestreikt werden:
    "Wenn zum Beispiel plötzlich eine Reihe Lokführer in irgendeinem Bahnhof entscheiden, von jetzt auf in 15 Minuten, ihre Arbeit niederzulegen und alles zusammenbricht. Das ist natürlich auch etwas, wo sich die Bevölkerung schon mal aufregt."
    So lange es aber angekündigte Streiks sind, dann sei die Akzeptanz groß, sagt Kittel. In Belgien sei es leichter zu streiken. Kittel sieht seine Landsleute auch deshalb deutlich streikfreudiger, als die Deutschen:
    "Es ist in Belgien so, dass die allgemeinen Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sehr oft dazu führen, dass es zu Streiks kommt. Es kommt auch manchmal relativ schnell in einzelnen Unternehmen zu Streiks, weil in Belgien doch sehr viele Leute auch kollektiv zusammen in der Gewerkschaft sitzen. Und dann, wenn es zu Kündigungen kommt, dann sehr schnell der Arbeitsausstand die Waffe ist, die benutzt wird."
    Obwohl das Streikrecht nicht ausdrücklich gesetzlich verankert ist, hat es sich durch entsprechende Urteile etabliert. Und wird häufig genutzt. Zum Beispiel wie bei den aktuellen Protesten gegen die Sparpolitik der Regierung.
    "Es hat also eigentlich im Vorfeld keinerlei Dialog gegeben. Und die Gewerkschaften haben von sich aus beschlossen, aufgrund von Ideen die im Regierungsprogramm stehen, praktisch schon einmal präventiv zu streiken."
    Nur der Auftakt
    Bis in den späten Nachmittag dauern die Protestzüge. Die Polizei muss mit Tränengas und Wasserwerfern eingreifen. Und das ist nur der Auftakt zu einer mehrwöchigen Kampagne gegen die Koalition. Der Höhepunkt soll am 15. Dezember sein - ein landesweiter Generalstreik. Dann wird auch in Brüssel gar nichts mehr gehen.