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Provenienzforschung
Geraubte Totenschädel werfen Fragen auf

In deutschen Museen lagern tausende Exponate, die auf fragwürdige Weise dorthin gelangten. Dazu zählen auch Schädel, die während der deutschen Kolonialzeit unter anderem im heutigen Namibia gesammelt wurden. Über die Frage, was Provenienzforschung in solchen Fällen leisten sollte, ist nun ein Streit entbrannt.

Von Axel Schröder | 04.11.2019
Schädel eines Opfers des Völkermords in Namibia
Schädel eines Opfers des Völkermords in Namibia: Herkunft und Verwendungszweck solcher Knochen sind oftmals ungeklärt (imago stock&people)
Philipp Osten blättert in alten Inventarlisten aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts.
"In den Spalten wird eingetragen eine laufende Nummer des Objekts. Dann steht da, woher die Objekte stammen, ‚gekauft von‘… Hier beispielsweise: ‚Johannes Flemming‘ am ‚1.8.1924‘. Dann steht da: ‚Herero-Schädel, Unterkiefer fehlt, Hinterhaupt defekt‘. Das ist die Beschreibung des Objekts."
1.183 Objekte lagerten in der Neuropathologischen Sammlung der "Irrenanstalt Friedrichsberg" bei Hamburg, Körperteile von Tieren und Menschen. Ziel sei es gewesen, eine "Rassenschädelsammlung" aufzubauen. Und damit eine Theorie zu konstruieren, die die Überlegenheit einer "weißen Rasse" gegenüber anderen belegen sollte. Dieser Zweck der geraubten Schädel ist schon relativ gut erforscht.
"Total spannend ist aber, wenn man sich anguckt: Wie wird das dann in einer breiten Öffentlichkeit präsentiert? Den Leuten werden diese Schädel vorgesetzt, die werden ausgestellt. Das zieht Publikum, weil es ja menschliche Körperteile sind. Und dann werden Labels darangesetzt. Dann wird das Schädelvolumen in Relation gesetzt zum Schädelvolumen von Patienten psychiatrischer Anstalten, deren Schädel daneben auch ausgestellt werden. Geschehen ist das beispielsweise 1911 auf der ‚Hygiene-Ausstellung‘."
Was fördert das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste?
Osten ist Direktor des medizinhistorischen Museums Hamburg. Weil noch längst nicht alle Fragen geklärt sind, hat er sich zusammen mit dem Hamburger Kolonialismus-Experten Professor Jürgen Zimmerer um Forschungsgelder bemüht. Um 250.000 Euro vom gerade erst gegründeten Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg. Zimmerer wollte den Weg der "Human Remains" nach Deutschland erforschen, Osten den Verwendungszweck in den Sammlungen und Museen. Aber genau dafür will das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste keine Fördergelder ausgeben, so Jürgen Zimmerer:
"Diese Händlernetzwerke kann man untersuchen. Aber sie wollen nicht, dass man im Grunde die Rolle dieser Häuser mit untersucht. Nämlich warum, in welcher Funktion standen Völkerkundemuseen eigentlich im Kolonialismus und danach? Welche Rolle spielten sie bei der Einübung des kolonialen Blicks?"
Osten und Zimmerer haben sich deshalb entschieden, ihren Antrag auf Forschungsmittel zurückzuziehen. Die Absage an die Förderung eines wichtigen Teils ihrer Forschungen verenge den Begriff der Provenienzforschung auf eine nicht akzeptable Art und Weise, so Jürgen Zimmerer.
"Das ist die Vorzeigeinstitution für das Versprechen der Bundesregierung, koloniale Provenienzen aufzuarbeiten. Und das ist die erste Entscheidung, die erste Förderrunde. Das heißt, es werden auch Präzedenzfälle geschaffen: ‚Was ist unter kolonialer Provenienz zu verstehen und was nicht?‘ Und deshalb ist diese Entscheidung richtungsweisend!"
Beim Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg sieht man die Sache ganz anders. Der Direktor des Zentrums, der Professor und Kunsthistoriker Gilbert Lupfer verweist auf die Förderrichtlinien:
"Wir maßen uns nicht an, definieren zu können, abschließend definieren zu können, was Provenienzforschung ist. Aber im Rahmen unserer Fördermöglichkeiten können wir das nicht absolut weit auslegen. Und da gehört zum Beispiel nicht dazu, Forschung zu unterstützen, die darum geht: Was ist mit den Gebeinen in diesem Fall passiert, nachdem sie nach Deutschland gekommen sind."
Kritische Aufarbeitung oder Zur-Seite-Schieben?
In den Förderrichtlinien des Magdeburger Zentrums für Kulturgutverluste heißt es: Gefördert werden "Projekte zur Grundlagenforschung und Untersuchungen zum historischen Kontext, die über den Einzelfall hinaus von grundsätzlicher Bedeutung sind". Aber um genau diese Grundlagenforschung und die Untersuchung des historischen Kontextes gehe es ihnen, betonen Philipp Osten und Jürgen Zimmerer. Gilbert Lupfer fragt sich dagegen, warum Osten und Zimmerer nicht einfach an anderer Stelle Forschungsmittel für den nicht unterstützten Teil ihres Forschungsprojekts beantragen. Das sei natürlich möglich, so Jürgen Zimmerer. Trotzdem müsse über die Entscheidung des noch jungen Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste weiter diskutiert werden.
"Ist es dann wirklich die kritische Aufarbeitung des kolonialen Erbes oder ist es eigentlich das Abfrühstücken und das Zur-Seite-Schieben, indem man auf die kleinste Definition von Provenienzforschung, die möglich ist, eigentlich rekurriert? Und im Grunde die ganze Institutionsgeschichte, die ganze Mentalitätsgeschichte, die dahinter steckt – warum gab es das eigentlich? – dann ausklammert!"