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Prozess-Auftakt LuxLeaks
Whistleblower vor Luxemburger Bezirksgericht

In Luxemburg stehen heute keine multinationalen Konzerne, die sich ihre Bilanzen schön rechnen, vor Gericht, sondern zwei Whistleblower und ein Journalist. Sie veröffentlichten vor gut anderthalb Jahren brisante Dokumente und lösten die LuxLeaks-Affäre aus. Es drohen den Angeklagten bis zu zehn Jahre Haft.

Von Holger Romann | 26.04.2016
    Jean-Claude Juncker spricht vor dem Europäischen Parlament in Strasbourg
    Auch EU-Kommissionspräsident Juncker, lange Jahre Finanzminister und Regierungschef von Luxemburg, geriet deshalb unter Druck. (dpa/picture-alliance/ Patrick Seeger)
    Edouard Perrin und Antoine Deltour: So heißen die beiden Schlüsselfiguren in dem Fall, der europaweit für Schlagzeilen sorgte. Der eine ist Journalist, hat als Erster über LuxLeaks berichtet und den Skandal ins Rollen gebracht. Der andere sein Informant, ein ehemaliger Mitarbeiter der renommierten Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers, kurz PwC. Er soll dem Reporter die brisanten Dokumente beschafft haben. Insgesamt rund 28.000 Seiten Material über dubiose aber meist legale Steuerdeals, mit denen große Konzerne jahrelang viele Milliarden Euro sparten. Zusammen mit einem weiteren Ex-PwC-Angestellten müssen sich die beiden ab heute vor einem Luxemburger Bezirksgericht verantworten. Sechs Verhandlungstage sind dafür angesetzt. Vor einem Jahr sagte Perrin bereits im LuxLeaks-Untersuchungsauschuss des Europa-Parlaments aus.
    "Seit dem 23. April ermittelt Luxenburg wegen meiner Arbeit gegen mich. Deshalb ist mein Auftritt vor diesem Ausschuss ein besonderer."
    Bei Verurteilung drohen Haftstrafe und Geldstrafe
    Die Liste der Vergehen, die man den Dreien zur Last legt, ist lang. Sie lautet unter anderem auf Diebstahl, illegalen Zugriff auf ein Computersystem, Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen und Bruch der beruflichen Schweigepflicht. Im Falle einer Verurteilung drohen den Aufdeckern bis zu zehn Jahre Haft und hohe Geldstrafen. Unterstützt werden sie von einem breiten Bündnis, das sogenannte Whistleblower im öffentlichen Interesse vor juristischer Verfolgung geschützt sehen will. Der britische Journalist Richard Brooks und der Linken-Abgeordnete Fabio de Masi gehören dazu:
    Brooks: "Es ist ein Skandal, es ist ein Angriff auf die demokratischen Werte und auf die Meinungsfreiheit."
    De Masi:"Es ist ein absurdes Verfahren. Erstens ist Herr Perrin Journalist. Es ist also sein Job über Dinge, wie LuxemburgLeaks zu sprechen. Er hat ja einen Dienst an der Öffentlichkeit getan."
    Nützen wird die politische Schützenhilfe den Angeklagten in diesem Prozess wohl wenig. Edouard Perrin gilt der Justiz als Komplize und Anstifter. Der Franzose hatte schon 2012 eine Fernsehdokumentation über die fragwürdigen Steuerdeals in Luxemburg produziert.
    Schön rechnen der Bilanzen
    Im Fadenkreuz: rund 340 bekannte und weltweit agierende Firmen, wie Amazon, Ikea oder die Deutsche Bank. Mithilfe sogenannter Tax Rulings, mit dem Fiskus ausgehandelte Steuervorbescheide, rechneten sich die Multis ihre Bilanzen schön und sicherten sich so lukrative Rabatte, von denen Normalsterbliche nur träumen konnten. Eine Praxis, die es auch anderswo gab und teilweise noch gibt, die dem ehemaligen Unternehmensberater Antoine Deltour aber moralisch verwerflich schien.
    "Ich zahle für Krankenhäuser, Schulen, denn ich zahle Steuern, warum sollten Konzerne nicht dasselbe tun? Es ist eine Frage der Steuergerechtigkeit."
    Diese Überzeugung, sagt er heute, trieb ihn dazu, geheime Unterlagen seines früheren Arbeitgebers auf die Seite zu schaffen und an die Presse weiter zu geben.
    Folgen aus den Lux-Leaks-Enthüllungen
    Auch wenn Forderungen nach einer radikalen Kehrtwende in der europäischen Steuerpolitik weitgehend folgenlos blieben, haben die LuxLeaks-Enthüllungen und der deswegen eingesetzte Sonderausschuss des EU-Parlaments doch Einiges bewirkt. So hat die Juncker-Kommission begonnen, mit Hilfe des Wettbewerbs- und Beihilferechts systematisch gegen allzu aggressive Steuervermeidung vorzugehen. Außerdem sollen Steuerdaten großer Unternehmen künftig regelmäßig und automatisch zwischen den 28 EU-Staaten ausgetauscht werden. Ganz umsonst war das Engagement der Whistleblower für mehr Gerechtigkeit also nicht.