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Prozess in Istanbul
Hoffen auf Demircis Freilassung

Der Kölner Adil Demirci sitzt seit zehn Monaten in Istanbul im Gefängnis, weil ihm die Mitgliedschaft einer linksextremen Partei vorgeworfen wird, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. Heute geht sein Prozess weiter. In seiner Heimatstadt Köln hoffen viele, dass er anschließend freigelassen wird.

Von Jonas Panning |
    ARCHIV - 06.06.2018, Nordrhein-Westfalen, Köln: Demonstranten fordern die Freilassung des in der Türkei inhaftierten Journalisten Adil Demirci. (zu dpa "Erneut Deutscher in Türkei vor Gericht" am 20.11.2018) Foto: Christoph Hardt/Geisler-Fotopres/Geisler-Fotopress/dpa
    Der Prozess gegen Adil Demirci wird in Istanbul fortgesetzt, seine Angehörigen wünschen sich mehr Druck von der Bundesregierung (picture alliance / Christoph Hardt / Geisler-Fotopres / Geisler-Fotopress / dpa)
    Es ist ein kalter Mittwochabend - mitten in der Kölner Innenstadt, der Dom ist um die Ecke. Auf dem Wallrafplatz stehen zehn Menschen vor einem Pavillon. Sie haben sich Schilder umgehängt mit einem Foto von Adil Demirci. Seit seiner Festnahme im April letzten Jahres kommen sie hier jede Woche für eine Stunde zusammen. Organisiert wird die Mahnwache von Tamer Demirci, dem Bruder des 33-jährigen.
    "Mein Bruder wurde in der Nacht zum 13. April in Istanbul in der Wohnung meines Onkels festgenommen, in dem sie mit einem Sondereinsatzkommando die Tür der Wohnung aufgebrochen und die Wohnung verwüstet haben."
    Adil Demirci war mit seiner Mutter nach Istanbul gereist. Sie wollte dort ihren Bruder treffen. Die einwöchige Reise sollte der krebskranken Frau nach abgeschlossener Chemotherapie neue Kraft geben. Ihr Sohn wurde kurz vor der Rückreise festgenommen, erinnert sich die 64-jährige.
    "Mir ging es an dem Tag sehr schlecht. Es war ein schlimmer Tag. Ich habe Adil da gelassen und bin hier hingekommen. Aber als Adil verhaftet wurde, hat er mir die Nachricht zukommen lassen, dass ich auf jeden Fall zurück fliegen soll. Er sagte, dass die Therapie weiter gehen soll. Ich solle mir keine Sorgen um ihn machen. Ich bin dann schweren Herzens zurück. Mit vielen schlechten Gedanken und Ängsten und immer in Aufruhr bin ich dann hier hin zurückgekommen. Immer mit der Frage im Kopf, was mit ihm in Haft geschieht, ob er geschlagen wird oder ihm sonst etwas Schlechtes widerfährt."
    Gefängnis in Silvri mit mehr als 10.000 Plätzen
    Nach Angaben seines Bruders kam Adil Demirci zunächst eine Woche in Isolationshaft. Er saß also die meiste Zeit des Tages alleine in einer Zelle. Das Gefängnis in Silvri, mit über 10.000 Plätzen das größte in der Türkei, ist bekannt für seine politischen Häftlinge. Auch Peter Steudtner und Deniz Yücel saßen hier ein. Laut seinem Bruder geht es Adil Demirci den Umständen entsprechend gut. Er habe sich mittlerweile mit den Umständen zurecht gefunden.
    "Adil hat sich gesagt gehabt: ich kann die Situation jetzt nicht ändern, ich bin in Haft, ich muss das Beste draus holen. Und hat sich ganz schnell auch einen Tagesplan gemacht – wann er Sport macht, wann er liest, wann er Nachrichten schaut, wann er Briefe schreibt, wann er kocht, wann er isst. Also der hat sich so einen strukturierten Arbeitsplatz gemacht und hat angefangen, einfach die Zeit zu nutzen." Text: Nach dem ersten Prozesstag Mitte November wurde Adil Demirci nicht freigelassen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mitgliedschaft in der Marxistisch-Leninistisch-Kommunistischen Partei vor. Diese gilt in der Türkei als Terrororganisation. Hintergrund: bevor der 33jährige einen Job als Sozialarbeiter in Remscheid fand, hatte er freiberuflich als Journalist in der Türkei gearbeitet und dabei auch über Beerdigungen mutmaßlicher Mitglieder der Partei berichtet. Sein Anwalt Mustafa Peköz hält die Vorwürfe gegen seinen Mandanten für absurd.
    "Adil Demirci gibt auch zu, dass er auf diesen drei Beerdigungen war. Dies ist juristisch aber kein Grund ihn, in Haft zu behalten. Das Absurde an dem Fall ist, dass es keinerlei Beweise gibt die eine Verhaftung oder Haft begründen. Die Anklage stütz sich auf Vermutungen und Behauptungen. Sechs Angeklagte wurden freigelassen. Bei einigen von den Freigelassenen gibt es – juristisch gesehen - mehr Anhaltspunkte sie nicht freizulassen, als bei Adil Demirci. Juristisch werden sie da leider keine logischen Schlüsse ziehen können."
    Tätig für regierungskritische Nachrichtenagentur Etha
    Adil Demirci hat für die regierungskritische Nachrichtenagentur Etha über die Beerdigungen berichtet. Er war ein Kollege der Ulmerin Mesale Tolu, die ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt ist, mittlerweile aber ausreisen durfte. Ihr Prozess in der Türkei läuft aber weiter. Demirci wurde im April festgenommen, einen Tag nachdem er seine früheren Kollegen von Etha in Istanbul besucht hatte. Die Nachrichtenagentur ist nicht verboten, gilt in der Türkei aber als linksradikal, erklärt der Vorsitzende des deutschen Journalistenverbands Frank Überall. Die Vorwürfe gegen Mesale Tolu und Adil Demirci sind seiner Meinung nach politisch motiviert.
    "Es geht aus meiner Sicht dem türkischen Staat auch ganz klar darum, durch verschiedenste Maßnahmen, durch diverse Strafen, durch den Entzug von Sende- oder Erscheinungslizenzen Menschen einzuschüchtern. Kolleginnen und Kollegen aus dem Journalismus einzuschüchtern, damit sie eben nicht mehr kritisch berichten. Und dazu gehören auch diese Prozesse, die zum Teil wirklich nicht mit rechtsstaatlichen Prozessen zu vergleichen sind."
    Auch heute wird wieder eine Delegation aus Köln an der Verhandlung im Istanbuler Justizpalast teilnehmen. Zu Prozessbeginn war der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich angereist. Er hat seinen Wahlkreis in Köln und setzt sich für die Freilassung des Deutsch-Türken ein. Sein Einfluss auf die türkische Seite hält sich nach eigenen Angaben aber in Grenzen.
    "Diejenigen, die diese Dinge ernst nehmen, glaub ich schon, sind bemüht, auch in der Türkei klar zu machen, dass die Inhaftierung von Deutschen, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei auch im Gesamtprozess der europäischen Union, Verhandlungen über die Zollunion massiv beeinflussen. Und, dass der Türkei endlich klar sein muss: sie kann nicht einzelne Menschen sozusagen in Gewahrsam nehmen, um auch politische Forderungen zu stellen."
    Mehr Druck von der Bundesregierung gewünscht
    Bruder Tamer ist das zu wenig. Er würde sich mehr Druck von der Bundesregierung wünschen. Der 25jährige fragt sich, warum der bei Welt-Journalist Deniz Yücel oder Menschenrechtler Peter Steudtner vorhanden war und auch öffentlich zum Ausdruck kam - bei seinem Bruder aber nicht. "Für uns ist noch mal wichtig, dass das Auswärtige Amt und die deutsche Bundesregierung Adil intensiver bespricht. Also nicht nur intern bespricht, sondern auch vielleicht klarerer Statements macht. Vor allem, dass sich der Außenminister auch da klarer positioniert noch mal."
    Zudem fordern die Unterstützer, dass der deutsche Botschafter in der Türkei den Kölner im Gefängnis besucht – so wie Deniz Yücel oder Mesale Tole. Sie versprechen sich davon ein politisches Zeichen und hoffen, dass das bei der türkischen Regierung ankommt. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es zum Fall Demirci: "Die Lage der in der Türkei inhaftierten deutschen Staatsangehörigen ist regelmäßig Thema bilateraler Gespräche. Auch das Verfahren gegen Adil Demirci verfolgt die Bundesregierung mit großer Aufmerksamkeit. Sie setzt sich gegenüber der türkischen Regierung auf allen Ebenen für Herrn Demirci ein."
    Familie, Freunde und Unterstützer hoffen währenddessen, dass Adil Demirci heute freigesprochen wird. Aber ein Selbstläufer wird das nicht: Erst Ende letzten Jahres gab es harte Urteile. Zu über sechs Jahren wurde zum Beispiel die kurdisch stämmige Künstlerin Hozan Cane verurteilt, die ebenfalls die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Bruder Tamer blickt deshalb mit gemischten Gefühlen auf den Prozess nach Istanbul und stellt sich auch darauf ein, dass sein Bruder weiter im Gefängnis bleiben muss.
    "Innerlich schon ein bisschen. Selbstschutz ist schon vorhanden. Aber an sich schon optimistischer. Also von der Anklageschrift gibt es keinen Grund, dass er inhaftiert bleibt. Und ich glaub auch, es sollte auch kein Grund sein, dass wir uns jetzt von der Psyche zurückdrängen lassen. Wir wissen, dass er letzten Endes freikommen wird, weil er einfach nichts verbrochen hat!"