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Psychogramm zweier Polit-Aktivisten

Daniel Domscheit-Berg, einst Sprecher von WikiLeaks, hat einen Enthüllungsreport vorgelegt: "Inside Wikileaks" ist eine Abrechnung mit WikiLeaks-Gründer Julian Assange, die vor allem für die Netzgemeinde spannend ist.

Von Jens Rosbach |
    "Ich habe so verdammt viel erlebt!"

    Schreibt Wikileaks-Aussteiger Daniel Domscheit-Berg.

    "Ich habe in Abgründe geschaut und an den Hebeln der Macht gespielt. Ich habe verstanden, wie Korruption, Geldwäsche und politisches Strippenziehen funktionieren. Ich habe zum Telefonieren nur noch abhörsichere Cryptophone benutzt, die Welt bereist und wurde in Island von dankbaren Menschen auf offener Straße umarmt. Ich habe an einem Tag mit dem berühmten Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh Pizza gegessen, am nächsten von uns in den Abendnachrichten gehört und am dritten bei Ursula von der Leyen auf dem Sofa gesessen."

    Daniel Domscheit-Berg blickt mit einem lachenden - und mit einem weinenden Auge zurück auf seine Zeit bei Wikileaks. Trauer - und vor allem Wut befallen den Diplom-Informatiker, wenn er an den Grund seines Ausstiegs denkt: an Wikileaks-Erfinder Julian Assange.
    "Manchmal hasse ich ihn, so sehr, dass ich Angst habe, ich könnte körperliche Gewalt ausüben, sollte er mir noch einmal über den Weg laufen. Dann denke ich wieder, dass er meine Hilfe bräuchte. Das ist absurd, nach all dem, was passiert ist. Ich habe noch nie so eine krasse Persönlichkeit erlebt wie Julian Assange. So freigeistig. So energisch. So genial. So paranoid. So machtversessen. Größenwahnsinnig."

    "Inside Wikileaks. Meine Zeit bei der gefährlichsten Webseite der Welt" ist eine Abrechnung. Ein bitterer Rückblick auf die zerstörte Beziehung zweier Internet-Aktivisten. Domscheit-Berg, Jahrgang 1978, beschreibt, wie er sich anfangs für Assanges Mission begeistert, wie er von Assanges Kreativität fasziniert war - und wie Assange seinem treuen Mitstreiter schließlich den Rücken kehrt. Kurzum: wie aus Freunden Feinde wurden. Domscheit-Berg:

    "Es gibt ja auch Momente, in denen er mich sehr intensiv bedroht hat. Ob das jetzt die Drohung war, mich zu jagen und zu töten. Oder ob das die Drohung war zum Schluss, dass er mit der Polizei kommt und uns alle verhaften lässt. Das sind alles Sachen, die passiert sind. Und jeder, der versucht hat - bis heute - das zu kritisieren oder an die Öffentlichkeit zu bringen, wird von ihm konstant diskreditiert."

    Warum bekämpfen sich heute zwei Idealisten, die beide ihr Leben der Veröffentlichung streng geheimer Dokumente verschrieben haben? Aussteiger Domscheit-Berg bietet zwei Erklärungen an. Zum einen: inhaltliche Differenzen - etwa darüber, ob US-Kriegsberichte vor ihrer Veröffentlichung geschwärzt werden sollten, um CIA-Zuträger in Afghanistan zu schützen. Oder Differenzen über Sicherheitsmaßnahmen innerhalb von Wikileaks. Oder über das Image der Enthüllungsplattform.

    Domscheit-Berg:

    "Ich habe auch nie verstanden, warum man der Öffentlichkeit gegenüber immer dieses Verschwörungstheoretische heraufbeschwören muss. Nur damit die Organisation wie ein James-Bond-Movie rüberkommt oder man mehr Unterstützung bekommt und dieses ganze Image so stilisiert wird."

    Vor allem führt Autor Domscheit-Berg aber Assanges Persönlichkeit an, um seinen Ausstieg zu rechtfertigen. In zahlreichen - mitunter belanglosen - Episoden wird der australische Wikileaks-Gründer als asozialer, egozentrischer, misstrauischer und machtversessener Mensch dargestellt, der sogar eine Katze quält. Dennoch legt der Report nicht nachvollziehbar dar, warum sich Assange immer stärker von seinem Mitstreiter distanziert - und ihn schließlich - nach über zwei Jahren - vorläufig aus dem Projekt hinauswirft - per Internet-Chat:

    "Du bist suspendiert."

    Zwischen den Zeilen wird allerdings klar: Eine echte Männerfreundschaft hat es nie gegeben. Bis zu seinem endgültigen, selbst gewählten Ausstieg ist Domscheit-Berg seinem Idol immer nur hinterhergelaufen. So zeigen in dem Buch abgedruckte Chat-Protokolle, dass Domscheit-Berg generell viel mehr Kontakt zu Assange suchte als umgekehrt. Dass die gesamte Kommunikation asymmetrisch war. Dass der sieben Jahre ältere Wikileaks-Chef sich zumeist bedeckt hielt und nur wortkarg antwortete. Mitarbeiter Domscheit-Berg war offenbar gefangen in einer engagierten, aber hörigen Haltung:

    "Ich habe mich leider, wie viel zu oft, damit abgefunden, was Julian mir sagte. Oft genug habe ich mich beschwert, dass Julian ein Diktator war, dass er immer alles entschied, dass er mir Informationen vorenthielt. Die Kritik war berechtigt. Das enthob mich jedoch nicht der Verantwortung. Ich hätte nachfragen und im Zweifel selbst die Initiative ergreifen müssen."

    So wirkt "Inside Wikileaks" wie ein Psychogramm zweier Politaktivisten. Zwar geht Domscheit-Berg auch kritisch mit sich selbst um. Doch letztlich arbeitet sich der Autor an einem ewig unnahbaren Julian Assange ab. Und er ist bis heute nicht fertig mit seinem einstigen Vorbild:

    "Ich glaube sagen zu können, dass wir zusammen die beste Zeit unseres Lebens verbracht haben. Nachdem nun ein paar Monate vergangen sind und sich die Gefühle beruhigt haben, denke ich: Das ist auch gut so. Aber ich kann unumwunden zugeben, dass ich die vergangenen Jahre gegen nichts in der Welt zurücktauschen würde. Ich fürchte sogar, dass ich alles noch einmal ganz genauso machen würde."

    Das Beziehungs-Desaster der Wikileaks-Akteure dürfte vor allem für die Netzgemeinde spannend sein. Oder für CIA-Psychologen. Dennoch kommt auch der politisch interessierte Leser auf seine Kosten. Etwa wenn es um die internen Abläufe geht, die zur Publizierung der Afghanistan-, Irak- und US-Diplomaten-Dossiers geführt haben. Oder wenn die Medienpartnerschaften diskutiert werden - Partnerschaften, die einzelnen Zeitungen und Magazinen zu einem umstrittenen Wissensmonopol verhalfen. Der Wikileaks-Aussteiger bastelt derzeit an einer alternativen, transparenten und demokratischen Enthüllungsplattform: Openleaks. Der Insider ist überzeugt, dass bald viele andere Plattformen folgen:

    "Das ist aus meiner Sicht eigentlich alles ein Anzeichen dafür, dass diese Welle gerade erst losgeht. Das Wichtige ist, dass man heute aus den Erfahrungen der ersten Tage in den Kinderschuhen lernt, dass man das solide aufzieht und einfach sicherstellt, dass diese Plattformen, die entstehen, auch unter politischem Druck vielleicht einfach agieren können, weil sie sinnvoll aufgebaut sind."

    Daniel Domscheit-Berg: "Inside Wikileaks", Econ Verlag, 304 Seiten, 18 Euro.