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Pulitzer-Preis für Literatur
"Schönheit muss mit etwas Sinnvollem vermählt sein"

Für ihren Roman "Der Distelfink", in dem sich alles um das gleichnamige Bild des niederländischen Malers Carel Fabritius dreht, hat die amerikanische Schriftstellerin Donna Tartt in diesem Jahr den Pulitzer-Preis für Literatur erhalten. Sandra Hoffmann hat mit der Autorin über den Roman gesprochen.

Donna Tartt im Gespräch mit Sandra Hoffmann |
    Die US-Schriftstellerin Donna Tartt auf einer Lesung ihres Romans "Der Distelfink" am 22. September 2013 in Amsterdam.
    Die US-Schriftstellerin Donna Tartt (picture alliance / dpa / Bas Czerwinski)
    Wie ist das? Muss man, wenn man so einen großen Roman schreibt wie Ihren "Distelfink" zuerst einen Masterplan haben, damit die Figuren nicht zuviel Eigenleben entwickeln?
    "Die Dinge kommen aus verschiedensten Richtungen geflogen. Wenn man an einem Buch 10 Jahre lang schreibt, unterliegt es allen möglichen Einflüssen, von überall kommt etwas her, und es entwickelt sich dabei organisch, wie alles, das seine Zeit braucht. - Ich weiß nicht, wie sich Dinge verbinden, ganz unbewusst, aber diese Dinge geben mir die Sicherheit, auf dem richtigen Weg zu sein. Auf gewisse Weise ist das das Vergnügen am Schreiben eines Romans, dass man dahinterkommt, wie all diese scheinbar unvereinbaren Dinge sich vereinen."
    Ihr Roman erzählt die Geschichte von Theodore Decker, der als er 13 Jahre als ist, seine Mutter bei einem Attentat im Metropolitan Museum of Art verliert. Er selbst kommt mit einem Trauma, einem Ring und einem sehr wertvollen Gemälde, davon, "Der Distelfink", das alle Fäden und wichtigen Menschen des Romans zusammenhält. Wie haben Sie zu dieser Geschichte gefunden?
    "Ich wollte ein Buch über einen Jungen schreiben, der in den Besitz eines gestohlenen Gemäldes kommt. Das Buch beginnt ja, als Theo 26 oder 27 Jahre alt ist in einem Hotelzimmer in Amsterdam. Er ist in ziemlich schrecklichen Schwierigkeiten, wir wissen nicht in welchen, und er erzählt uns seine Geschichte: Er war 13 Jahre alt, als seine Mutter starb. Und er läuft aus dem Museum hinaus, in dem er sie verlor, mit diesem Bild in der Hand.
    Das Bild habe ich vor einigen Jahren bei Christies in Amsterdam gesehen, ich war gerade dabei das Buch zu schreiben. Es war eine Kopie des Originals von Fabritius, aus dem 19. Jahrhundert, nicht das Original. Und es war wunderschön. Ich sah es inmitten von Bildern aus dem französischen Impressionismus, und ich war überrascht, denn es war so anders als die meisten Gemälde aus dieser Zeit. Es war wunderbar.
    Und als ich die Geschichte dieses Bildes herausfand, verband sie sich auf eine Weise mit der Geschichte, die ich gerade schrieb, wie ich es mir nie hätte vorstellen können. Es war die schönst mögliche Fügung. - Die Schriftstellerin Rebecca West sprach einmal von einem Bibliotheks-Engel: Du gehst herum, schaust nach einem Buch, greifst nach einem im Regal, und es ist das Buch, das alles - und dich - verändert. Das ist mir passiert, nur dass es bei mir der Ausstellungs-Engel war."
    Das Unbewusste: welche Aufgabe hat es beim Schreiben, Ihrem Schreiben?
    "Es ist beinahe wie eine Blackbox, es kommen Dinge aus dir heraus, und du weißt nicht wirklich wie und wie das funktioniert. Ich glaube, es ist das Beste, das gar nicht herausfinden zu wollen – du weißt, es klappt, du verstehst die Botschaft nicht, aber es werden sich Dinge zusammenfügen, die auf der Oberfläche scheinbar nicht in Beziehung stehen. Es gibt da so eine verbindende Kraft."
    Gibt es einen Unterschied zwischen Schicksal und Zufall?
    "Ich glaube, das wollen wir alle wissen, ich möchte es wissen, aber ich weiß es nicht. Das Buch fragt immerzu danach. Freilich ist es etwas, das wir nie wirklich erfahren können. Unterschiedliche Figuren in meinem Buch haben darauf unterschiedliche Antworten. Und irgendwie ist das Buch selbst eine Meditation über die Frage nach Schicksal und Zufall. Es stellt diese Frage auf ganz unterschiedlichen Ebenen."
    Was ist Liebe?
    "Das ist eine große Frage. Ich weiß keine Antwort."
    Ihr Buch betreffend, natürlich!
    "Es kommen alle möglichen Formen der Liebe vor in diesem Buch. Liebe zwischen Freunden, romantische Liebe, Elternliebe, Liebe zwischen Kollegen, und tatsächlich ist Liebe das Leitmotiv des Buches: Die Liebe zur Kunst. Die Liebe zu einem Kunstwerk, die so tief sein kann, dass sie uns verändert. "
    Würde man all die Rauschmittel, die in Ihrem Roman vorkommen aufschreiben, käme man tatsächlich zu einem kleinen Lexikon der Drogen. Macht der Rausch das Leben erträglicher oder besser?
    "Ja, das tut er, für bestimmte Menschen in bestimmten Phasen ihres Lebens. Als Autorin war ich schon immer neugierig auf mentale Ausnahmesituationen. Menschen in meinen Büchern haben epileptische Anfälle, sie träumen viel,(...) Ich bin einfach interessiert an anderen Bewusstseinszuständen, an ihren eher extremen Rändern."
    Ziemlich am Ende des Romans lassen Sie Theodore sagen: „Das Trachten nach Schönheit ist eine Falle (...) Schönheit muss mit etwas Sinnvollem vermählt sein". Was bedeutet das?
    "Tatsächlich hinterfragt Theo diese Idee. Er sagt, dass das doch die konventionelle Weisheit sei, dass das 'Trachten nach Schönheit eine Falle ist' und deshalb 'Schönheit mit etwas Sinnvollem vermählt sein muss'. So ist das gewöhnlich. Er fragt: Aber wie ist das bei mir? Warum bin ich so, wie ich bin? Warum nehme ich nur die falschen Dinge wichtig? Wieso sehe ich so klar, dass alles, was ich liebe eine Illusion ist, und warum liegt gerade darin für mich der Zauber?"
    Ihre Figuren, so haltlos und wild, unerzogen und gefährdet sie auch wirken, sind Leser, allen voran Boris, der Jugendfreund und zwielichtige Kumpane von Theodore. Der sagt an einer Stelle über Dostojewskis, Der Idiot: „Sehr düstere Message hat dieses Buch."
    Müssen große Romane Lebenseinsichten vermitteln?
    "Ich glaube, das tun sie. - Ich meine, einen Roman zu lesen, bedeutet in eine andere Person hineinzuschlüpfen, in ein anderes Bewusstsein, in jemand Anderem zu stecken für eine Weile und zu wissen, so fühlt sich jemand von Innen an. - Meine Neugier beim Schreiben galt "den Borisen", und der Boris im Buch ist der beste Freund von Theo, ein lebenslanger Freund. Ich habe zum Beispiel in einer wunderbaren Statistik gelesen, dass die Ukrainer [sic: "die Borise"] die literarischsten Menschen der Welt sind und dabei die höchste Alkoholismus-Quote erreichen. Sowas gefällt mir! "
    In Ihrem Roman heißt es: „Aber was erzählt das Bild, Der Distelfink, über Fabritius, den Maler des Bildes?" Und natürlich zieht man sofort eine Parallele zur Autorin des Romans und fragt sich: Was erzählt der Roman, Der Distelfink, über Donna Tartt?
    "Dass ich zwanghaft genug bin, zehn Jahre lange auf das immer gleiche Bild zu starren."
    Donna Tartt: "Der Distelfink"
    Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt und Kristian Lutze
    Goldmann Verlag, 1024 Seiten, 24,99 Euro.