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Spontanheilung bei Krebs

Wer an Krebs erkrankt ist, hofft oft auf die sogenannte Spontanheilung. Das bedeutet medizinisch, dass eine Krebserkrankung plötzlich geheilt erscheint. Doch Spontanheilungen sind sehr selten - und überdies ist die Heilung gerade bei Krebs oft nicht eindeutig feststellbar.

Von Mirko Smiljanic | 25.09.2018
    Tabletten und ein Therapie-pass liegen auf einem Tisch, Symbolfoto zum Krankheitsthema Krebs
    Krebs-Patienten brauchen auf jeden Fall medizinische Betreuung - auch bei Krebsarten, bei denen es hin und wieder zu Spontanheilungen kommt (picture alliance / Frank May)
    Die Diagnose "Krebs" ist immer ein Schock. Der Lauf des bisherigen Lebens wird jäh unterbrochen, aus Sicht der Patienten auch abgebrochen. Welche Heilungschancen habe ich? Gibt es überhaupt Heilung? Bin ich verantwortlich für den Tumor? Muss ich mein Leben ändern? Wenn ja, in welche Richtung? Fragen über Fragen, fast immer ohne eindeutige Antwort. Resignation macht sich breit, zumindest am Anfang. Später - nach begonnener Therapie und hoffentlich verständnisvollen Gesprächen mit Ärzten und Angehörigen - keimt wieder Hoffnung. Dazu zählt auch der Wunsch, der Tumor möge verschwinden, wie er gekommen ist. Von Spontanheilung sprechen Mediziner in diesem Zusammenhang. Was genau muss man sich darunter vorstellen?
    Heilung erst nach Jahren sicher feststellbar
    "Wenn mich jemand fragt, dann antworte ich, dass das ein Begriff ist, der eine ziemlich weite Spanne von Interpretationen hat und in der Regel meint, dass die Krebserkrankung plötzlich geheilt erscheint."
    Sagt Beate Hornemann, leitende Psychoonkolgin am Universitätskrebszentrum Dresden. Von "weiter Interpretationsspanne" spricht die Diplom-Psychologin, davon, dass die Krebserkrankung "plötzlich geheilt erscheint". Klare Aussagen klingen anders. Was nun nicht bedeutet, dass Spontanheilung nur ein verständlicher Wunsch ist, der aber nie in Erfüllung geht - Spontanheilung gibt es begrenzt tatsächlich. Es ist nur so, dass der Begriff "Heilung" bei Krebs nicht eindeutig ist.
    "Das kann man eigentlich generell nur rückwärts beantworten, wenn man im höheren Lebensalter beispiellose sagen kann, ich hatte vor einigen Jahren mal eine Krebserkrankung und sie ist nicht wiedergekommen. Prospektiv, also nach vorne gerichtet, ist es immer schwierig, Heilungsraten zu thematisieren, weil die Tumorbiologie eine sehr schwierige ist und heutzutage man auch davon abkommt, dass man Krebs einfach nur auf Organe beschränkt. Der Brustkrebs als solches hat ganz viele Unterarten, wobei man dann eben nicht sagen kann, wer Brustkrebs hatte, der muss nach fünf Jahren geheilt sein oder gilt nach fünf Jahren als geheilt."
    Patienten mit Krebs brauchen medizinische Betreuung
    Den Patienten ist es egal, warum ein Tumor verschwindet: weil die Therapie wirksam war oder weil der eigene Körper den Krebs irgendwie spontan bekämpft hat. Hauptsache, er ist weg! Medizinisch ist es aber eine durchaus wichtige Frage, ob es Spontanheilung tatsächlich gibt.
    "Studien zeigen, dass es tatsächlich ausgesprochen selten ist und dass es, wenn überhaupt, dann nur bei einigen wenigen Krebsformen überhaupt schon beobachtet wurde", sagt Birgit Hiller vom Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums, Heidelberg.
    "Das sind zum Beispiel der Schwarze Hautkrebs, das Melanom, das sind einige seltene Lymphomformen, also eine Art von Blutkrebs, es ist das Nierenzellkarzinom, es gibt eine Krebsart bei Kindern, wo es bei sehr kleinen Kindern tatsächlich erwartbar ist, dass ein Tumor zurückgeht, das ist das Neuroblastom. Aber bei den wirklich häufigen Krebsarten wie etwa Brustkrebs oder Prostatakrebs, Lungenkrebs und Darmkrebs sollten sich Betroffene und auch ihre Angehörigen nicht darauf verlassen, dass sich der Tumor von alleine zurückbildet."
    In jedem Fall brauchen Patienten medizinische Betreuung - und zwar auch bei Krebsarten, bei denen es hin und wieder zu Spontanheilungen kommt. Sie können eintreten, müssen es aber nicht! Überhaupt stehe beim Thema "Spontanheilung" für die meisten Betroffenen noch etwas anderes im Mittelpunkt.
    Psyche löst keinen Krebs aus
    "Was kann ich für mich selbst tun? Gibt es vielleicht Diäten oder gibt es Immunstärkungen, die meinem Körper dabei helfen, die Erkrankung zu bekämpfen, sodass ich vielleicht auf die eine oder andere normale Therapie verzichten kann oder nicht so viel brauche?"
    Zu diesem großen Feld zählen auch psychische Faktoren - so Beate Hornemann, Psychoonkolgin am Universitätskrebszentrum Dresden.
    "Der Hauptpunkt der Begegnung, die ich mit Krebspatienten habe, ist ja die Auswirkung auf die Psyche, und es ist ein Teil der Patienten, der sich auch fragt, ob sein eigenes Leben davor, bevor die Erkrankung ins Spiel kam, so war, konfliktbehaftet wie auch immer, dass man sagen kann, es hatte eine Auswirkung auf die Entstehung dieser Erkrankung."
    Würde diese Frage mit "ja" beantwortet, wenn beruflicher oder privater Stress Auslöser oder Ursache der Krebserkrankung ist, hieße das auch: Eine Lebensführung mit weniger Stress und mehr Harmonie, mit positivem Denken müsste die Heilung bis hin zu einer möglichen Spontanheilung begünstigen. Leider ist dieser Schluss falsch.
    "Ich versuche die Patienten dann zu entlasten, weil seriöse wissenschaftliche Studien dem nicht gerecht werden. Es ist heute eigentlich erwiesen, dass es ein Mix ist aus genetischen Faktoren, aus Verhaltensrisiken und leider eben auch aus Zufall."
    Wenn "positives Denken" als Zwang empfunden wird
    Die Annahme, Arbeitslosigkeit und Scheidung, Depressionen und unterdrückte Aggressionen - um nur einige mögliche Faktoren zu nennen, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens erfährt - zu glauben, sie lösen Krebs aus, ist für die Betroffenen in zweierlei Hinsicht fatal: Erstens sind sie plötzlich selbst für ihre Krankheit verantwortlich, was aber nur selten stimmt; und zweitens ist eine innere Kehrtwende ausgesprochen schwierig. Wer Jahre oder Jahrzehnte Druck und Stress ausgehalten hat, kann nicht von heute auf morgen die Kunst des positiven Denkens erlernen.
    "Ich kenne Patienten, die darauf eher allergisch reagieren, immer dann, wenn sie das Gefühl haben, das Umfeld möchte, dass sie dauerhaft heiter gestimmt sind, dass sie irgendwie einen Zwang zum Optimismus fühlen. Positives Denken ist eher eine Orientierung auf die gesunden Anteile und ein Mut zur zweitweisen Verdrängung, ohne dass sie die reale Bedrohung der Erkrankung außer Acht lässt."
    Fazit: Spontanheilungen sind sehr selten; die eigene Psyche spielt für die Entstehung eines Tumors keine Rolle; und drittens, positives Denken, die große Hoffnung vieler Patienten und Angehöriger, über diesen Weg den Krebs zu besiegen, ist ein zweischneidiges Schwert.