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Ramadan im Flüchtlingsheim
Lange Fastenzeit in Deutschland schafft Probleme

Viele muslimische Flüchtlinge verzichten auch unter den beengten Verhältnissen in einem Flüchtlingsheim nicht auf das Fasten im Ramadan. Probleme bereitet ihnen die ungewohnt lange Fastenzeit in Deutschland, da hier die Tage viel Stunden länger sind als in der südlichen Heimat.

Von Philip Banse | 15.06.2016
    ARCHIV - Gläubige Muslime essen am 09.08.2012 in Köln in der Moschee beim gemeinsamen Fastenbrechen (Iftar). Von Samstag an verzichten gläubige Muslime tagsüber auf Essen und Trinken - bis zum 27. Juli dauert der Fastenmonat Ramadan.
    Fastenbrechen im Ramadan in einer Moschee in Köln. (dpa/ Oliver Berg)
    Die Familie al Basha wohnt im 4. Stock der Flüchtlingsunterkunft in Berlin Pankow. Der Dekorateur Thaer al Basha und seine Familie sind aus Homs geflohen, die Stadt in Syrien ist komplett zerstört. Jetzt leben sie auf rund 40 Quadratmetern, Mann, Frau und fünf Kinder. In den zwei Zimmern stehen sieben Betten, ein Ventilator, an der Wand lehnt ein alter Kicker. In Kisten auf dem Boden ein paar Spielzeuge und zwei Kühlschränke.
    "Paprika, Eier, Milch, Tomaten. Was ist das hier?"
    Es ist fast 18 Uhr, noch dreieinhalb Stunden bis Sonnenuntergang, aber so ganz langsam beginnen die Vorbereitungen für das Abendessen.
    "Dieser Saft ist nur für Ramadan."
    Thaer al Basha holt Suus aus dem Kühlschrank, ein fast schwarzes Getränk in einer Plastikflasche. Seine Frau habe das selbst gemacht, Süßholz, einen Tag eingeweicht in Wasser. Probieren dürfen natürlich vor Sonnenuntergang nur die Gäste, also ich und mein Dolmetscher: "Das ist interessant." Suus schmeckt wie eine Mischung aus Kaffee und Lakritz. Die Sprecherin des Wohnheims winkt auch dankend ab: Suus, nein Danke, bitte kein Suus mehr.
    Gekocht wird in der Gemeinschaftsküche auf dem Flur, vier Herde für 50 Menschen. Hier wird Thaers Frau gleich das ersehnte Mal des Tages zubereiten: "Koaag, das ist ein ganz leckeres Gericht im Ofen. Kartoffeln und Aubergine und Knoblauch."
    In dem Heim leben Christen, Jesiden, Araber, Iraner, fastende Moslems und nicht fastende Moslems. In anderen Heimen hat es während des Ramadan deshalb Konflikte geben. Nicht hier, sagt Thaer al Basha, hier wohnen vor allem Familien, es gibt viele Küchen, keine riesigen Turnhallen. "Es ist ganz normal, wenn ich sehe, wie andere vor Sonnenuntergang essen. Der Islam steht für Liebe und Verzeihen. Wenn ich die anderen essen sehe, weiß ich, dass mich Gott beschenken wird, weil ich mehr Geduld habe."
    Probleme bei Schwangeren oder Kranken
    "Wir stehen allerdings in einigen seltenen Fällen vor der Herausforderung, dass wir zum Beispiel Kinder haben, die fasten und nicht zur Schule gehen wollen, der Schulpflicht nicht nachkommen wollen", sagt Susan Hermenau, Sprecherin der Flüchtlingsunterkunft in Berlin Pankow. "Oder dass wir Schwangere haben, Geschwächte, Kranke haben, wo wir überlegen müssen, wie bringen wir jetzt den Glauben mit dem Wohlbefinden des Kindes oder des Körpers in Einklang. Und da haben wir gute Erfahrungen gemacht, indem wir mit den Moscheen zusammenarbeiten, mit den Imamen zusammenarbeiten und schauen, ob es uns nicht gelingt, das Fasten vielleicht irgendwie anders zu organisieren, zu einem späteren Zeitpunkt, oder nicht bis 21 Uhr 30 oder man kann Trinken erlauben oder oder, um einen Mittelweg zu finden."
    "Ich heiße Amer, bin 17 Jahre alt, komme aus Syrien, das ist meine Familie."
    "Bist du hungrig?"
    "Ein bisschen."
    Amer ist der älteste Sohn der Familie, er filmt, wie die Gäste den Fattoush essen, einen leckeren Salat aus Gurken und Tomaten.
    Amer sagt, das Fasten hier sei härter als in Syrien, weil die Sonne in Deutschland früher aufgeht und später unter. Statt 9 Stunden fasten, müssen sie in Deutschland 17 Stunden fasten, 17 Stunden kein Essen, kein Trinken, nicht mal Wasser. Amer muss viel Zeit totschlagen: "Ich spiele mit meinem Handy, schlafe oder lerne Deutsch."
    Leiter anderer Flüchtlingsunterkünfte berichten, dass das außergewöhnlich lange Fasten hierzulande einige Bewohner dünnhäutig werden lässt und leicht reizbar: "Bisher haben wir das nicht. Wobei ich mir habe sagen lassen, dass die ersten beiden Wochen schwieriger sind als die letzten beiden Wochen. Bisher geben wir uns alle große Mühe. Spürt man noch nicht", sagt Susan Hermenau von der Flüchtlingsunterkunft.
    Vater Thaer al Basha zeigt Fotos auf seinem Smartphone: Damals in Syrien, er auf dem Bau, macht Stuckaturen, sein Sohn Amer ist auch dabei. Erstmal ist er froh, dass die Kinder zur Schule gehen. Er selber würde auch gern hier arbeiten, als Maler oder Dekorateur. "Ich habe neulich die Genehmigung für einen Deutschkurs bekommen." Das will er unbedingt machen, sagt Thaer al Basha – wenn der Ramadan vorbei ist.