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Ramsauer-Vorschläge
Heil: "Es braucht keine naseweisen Randmeinungen"

Mindestlohn und Rentenreform sollten wegen der wirtschaftlich angespannten Lage vorübergehend ausgesetzt werden - forderte CSU-Politiker Peter Ramsauer am Morgen. "Naseweise Randmeinungen" konterte jetzt der SPD-Politiker Hubertus Heil im DLF. Mit einer ernsthaften Diskussion habe das nichts zu tun.

Hubertus Heil im Gespräch mit Christoph Heinemann | 15.10.2014
    Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Heil sieht die Äußerungen seines CSU-Kollegen gelassen. Es sei "ziemlich albern", wirtschaftlichen Erfolg gegen soziale Gerechtigkeit auszuspielen. "Das ist dem Ernst der wirtschaftlichen Lage nicht angemessen", so Heil.
    Ohnehin spreche Ramsauer nicht für die Unionsfraktion. Aus Sicht des SPD-Politikers ist es auffällig, dass Ramsauer Forderungen stelle, mit denen er "mal wieder öffentlich vorkommt".
    Sowohl der Mindestlohn als auch die Rentenreform seien innerhalb der Bundesregierung abgestimmt und beschlossen worden. Die Ausgaben in dem Bereich seien sinnvoll, um die Kaufkraft in Deutschland zu erhalten.
    Die wirtschaftlichen Probleme liegen nach Auffassung Heils im Ausland. Dort sinke die Nachfrage, was einer Exportnation wie Deutschland besonders zu schaffen mache. Auch die Forderung Ramsauers, Exportsanktionen gegen Russland und den Iran aufzuheben, um die Wirtschaftsleistung wieder zu erhöhen, lehnt Heil ab. Deutschland habe eine wertgebundene Außen- und Sicherheitspolitik und werde nicht einfach daraus ausscheren.

    Das Interview in voller Länger
    Christoph Heinemann: Typisch Deutsch! Kaum ist ein ausgeglichener Haushalt in greifbare Nähe gerückt, da wird diese Leistung auch schon wieder zerredet. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Konjunkturpakete geschnürt oder Geld für Straßen, Schienen oder Waffen gefordert würden. In der Großen Koalition verstetigt sich angesichts der bewölkten Konjunktur unterdessen der Eindruck, dass das Verteilen von Wohltaten für die eigene Klientel mit einer vernünftigen Wirtschafts- und Finanzpolitik wenig zu tun hat. Peter Ramsauer etwa macht sich seine Gedanken, und zwar heute früh hier bei uns im Deutschlandfunk. Der Vorsitzende des Bundestagswirtschaftsausschusses will zur Stärkung der Wirtschaft den gerade beschlossenen Mindestlohn und die Rente mit 63 vorläufig aussetzen. Zufällig stellt der CSU-Mann damit SPD-Inhalte zur Disposition.
    Hubertus Heil ist der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag!
    Hubertus Heil: Schönen guten Tag, Herr Heinemann. Ich grüße Sie.
    "Das ist ja ein alter Medienprofi"
    Heinemann: Herr Heil, Frank Capellan hat berichtet, SPD-Politiker hätten heute früh, sofern sie um zehn vor sieben den Deutschlandfunk gehört haben, die Kaffeetasse hingestellt und die Zeitung sinken lassen, weil Herr Ramsauer quasi die Koalition aufgekündigt hätte. Ging Ihnen das auch so?
    Heil: Nein, ich sehe das ganz gelassen. Herr Ramsauer spricht nicht für die Unions-Fraktion. Das ist ja ein alter Medienprofi, der weiß, mit was er in die Schlagzeilen kommt. Da war der länger nicht mehr; er war ja mal Minister. In der Sache selbst ist es ziemlich albern, wirtschaftlichen Erfolg gegen soziale Gerechtigkeit auszuspielen. Das ist dem Ernst der wirtschaftlichen Lage übrigens auch nicht angemessen.
    Heinemann: Können wir uns Mindestlohn und Rente mit 63 noch leisten?
    Heil: Die Frage ist: Können wir uns es leisten, keinen Mindestlohn zu haben? Ist der Mindestlohn eine ökonomische Belastung? Das ist natürlich Quatsch! Wir haben eine starke wirtschaftliche Entwicklung erlebt, die Konjunktur geht jetzt runter, aber das hat ja nichts mit einem Mindestlohn zu tun, der noch gar nicht in Kraft ist, sondern mit einer sinkenden Auslandsnachfrage, mit einer Krise in der Euro-Zone, mit dem Rückgang der Konjunktur in den BRICS-Staaten. Der Mindestlohn ist ökonomisch dagegen hilfreich, weil er die Binnennachfrage stärkt, die Kaufkraft, und weil es übrigens auch ein Gebot der Vernunft ist zu sagen, dass sich Leistung lohnt, dass Menschen, die hart arbeiten, von der Arbeit auch leben können.
    Heinemann: Das sehen einige Ökonomen auch anders und vor allen Dingen lassen die meisten Ökonomen kein gutes Haar an der Rentenpolitik dieser Bundesregierung. Wäre die Konjunkturkrise jetzt nicht eine willkommene Gelegenheit, sich davon zu verabschieden?
    "Für die Koalition hat das gar keine Folgen"
    Heil: Dass einigen die Renten- und Arbeitsmarktpolitik nicht in ihren ideologischen Kram passt, mag stimmen.
    Heinemann: Nicht nur ideologisch! Ökonomisch!
    Heil: Nein. Ich kenne auch Ökonomen, die das ganz anders sehen. Noch mal deutlich: Wie kann man es hinkriegen intellektuell, ich sage mal, für eine abschwächende Welt- und Europakonjunktur, die für Deutschland als Exportnation Folgen hat, Maßnahmen verantwortlich zu machen, die noch gar nicht in Kraft getreten sind? Das erschließt sich einem nicht logisch oder ökonomisch, sondern nur, wenn man ideologisch wirklich vernagelt ist. Man kann da gern drüber streiten, aber das, was in Deutschland wirklich notwendig ist, damit wir wirtschaftlich erfolgreich bleiben, ist, dafür zu sorgen, dass investiert wird in diesem Land, und zwar in Zukunftsinvestitionen - das betrifft die Politik, die öffentliche Hand - und auch in privatwirtschaftlichen Bereichen, in Unternehmen. Darüber müssen wir uns unterhalten, das sind die ernsthaften ökonomischen Themen, aber nicht solche ideologischen Randgefechte führen. Noch mal: Für die Koalition hat das gar keine Folgen. Die Regierung hat einen klaren Vertrag. Wir machen Dinge, die ökonomisch vernünftig und sozial gerecht sind. Davon lassen wir uns auch nicht von Randstimmen abbringen.
    Heinemann: Sind Rentenerhöhungen Zukunftsinvestitionen?
    Heil: Na ja, es ist schon auch eine Frage, die was mit Nachfrage und Kaufkraft zu tun hat, dass Rentnerinnen und Rentner auch angemessen an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben können.
    Heinemann: Aber ökonomisch sinnvoll ist das nicht?
    Heil: Wenn Sie das zu Ende denken, halten Sie Renten wahrscheinlich ökonomisch für ganz unsinnig. Ich glaube, Altersvorsorge ist ein Gebot der ökonomischen Vernunft, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, im Alter auch abgesichert sind. Dass wir Maßnahmen gegen Altersarmut ergreifen, das ist vollkommen klar. Aber ich sage noch mal: Wer in diesem Land wirtschaftlichen Erfolg gegen soziale Gerechtigkeit ausspielen will, der hat es nicht begriffen. Das betrifft auch die Frage, ob Menschen teilhaben können, ob dieses Land es sich beispielsweise leisten kann, gut qualifizierte Frauen auszugrenzen aus dem Wirtschaftsleben. Das ist ungerecht den Frauen gegenüber. Das ist auch etwas, was wir uns ökonomisch überhaupt nicht leisten können.
    "Wir müssen wettbewerbsfähig bleiben"
    Heinemann: Herr Heil, ist es denn sinnvoller, Geld in den Konsum einiger zu pumpen als in Straßen, Schienen und Brücken? Sie sagen, man kann das nicht gegeneinander ausspielen. Aber man kann den Euro andererseits auch nur einmal ausgeben.
    Heil: Nein. Wir müssen zwei Dinge hinbekommen: Wir müssen wettbewerbsfähig bleiben. Das ist Deutschland mit einer starken Industrie, mit Wertschöpfungsketten von Grundstoffindustrien über den Mittelstand, die auf den internationalen Märkten erfolgreich sind. Und wir müssen uns um die Kaufkraft und die Binnennachfrage und das Investitionsklima in Deutschland kümmern. Die Binnennachfrage wird getragen von Kaufkraft, Menschen, die tatsächlich auch in der Lage sind, Produkte zu kaufen, und Investitionen, öffentlichen und privaten.
    Und wenn Sie sich die konjunkturelle Entwicklung im Detail angucken, auch die Herbstprognose des Bundeswirtschaftsministers, dann erleben wir, dass wir getroffen sind, weil der Export, die Nachfrage aus dem Ausland zurückgeht und gerade die Kaufkraft und die Investitionen im Inland uns noch tragen. Ich mache mir Sorgen darüber, wie es langfristig mit den Investitionen läuft und warum zu wenig auch investiert wird in diesem Land, aber auch da macht die Koalition ja eine ganze Menge: Neun Milliarden für Bildung und Forschung, fünf Milliarden zusätzlich in die Verkehrsinfrastruktur. Übrigens die wichtigsten Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, das sind die Kommunen in Deutschland. Die werden in dieser Legislaturperiode um sechs Milliarden Euro entlastet. Also, um es mal Norddeutsch zu sagen: Man sollte die Kirche mal im Dorf lassen.
    "Die Haushaltskonsolidierung ist auch Teil der Koalitionsvereinbarung"
    Heinemann: Gleichwohl fehlt ja an allen Ecken und Enden das Geld. Steht die SPD zur schwarzen Null?
    Heil: Ich glaube, dass wir Haushaltskonsolidierung brauchen in diesem Land, dass wir uns vereinbart haben und die Chance haben, im kommenden Jahr tatsächlich das erste Mal seit 40 Jahren keine neuen Schulden zu machen. Das ist wichtig, das ist vereinbart, und wenn die wirtschaftliche Entwicklung so ist, wie sie ist, dann können wir das auch erreichen. Über anderes sollte man nicht spekulieren. Die Haushaltskonsolidierung ist auch Teil der Koalitionsvereinbarung, ähnlich übrigens wie das, was wir zur Gleichstellung in der Privatwirtschaft für Männer und Frauen vereinbart haben. Man sollte weder das eine noch das andere jetzt infrage stellen.
    Heinemann: Wer sagt das den SPD-Linken? Die „FAZ" berichtet heute über einen Schlagabtausch zwischen Sigmar Gabriel und seinem Stellvertreter Ralf Stegner gestern, der das komplett anders sieht.
    Heil: Na ja. Aber wichtig ist doch, was tatsächlich in der Politik passiert, und nicht, was in irgendwelchen Sitzungen mal ausgetragen wird miteinander. Und es passiert das, was Sigmar Gabriel klar gemacht hat. Wir haben eine Koalitionsvereinbarung, wir haben einen Bundeswirtschaftsminister, der sich um die Zukunftsfragen dieses Landes kümmert, um die Frage, wie wir Energiekosten im Blick behalten, wie wir es schaffen, Fachkräftesicherung nach vorne zu bringen, die Allianz für Aus- und Weiterbildung steht an, und wie wir es schaffen, die Digitalisierung unserer Wirtschaft zu einem Gewinnerthema in diesem Land zu machen. Das sind die Aufgaben. Insofern: Es gibt immer aus Parteien Einzelstimmen am Rande, aber ich hätte beinahe den alten Helmut-Kohl-Satz gesagt: Wichtig ist, was hinten rauskommt. Das wollte ich gar nicht sagen, sondern wichtig ist, was praktisch passiert, und nicht das Wortgeklingel in einer aufgeregten Berliner Situation.
    "Verlässlichkeit und Flexibilität müssen auch keine Gegensätze sein"
    Heinemann: Ist der Koalitionsvertrag für Sie eigentlich in Stein gemeißelt, oder muss man in konjunkturell schwierigen Zeiten vielleicht das eine oder andere doch noch mal hinterfragen?
    Heil: Die Grundlinien müssen bleiben, die Vereinbarungen auch. Das ist gar keine Frage. Im Gegensatz zur schwarz-gelben Koalition haben wir ja in der Großen Koalition Verlässlichkeit und haben auch das gemacht, was wir miteinander vereinbart haben. Wenn eine Koalition irgendwann dazu kommt, dass man sich wechselseitig nur noch blockiert, ist das nicht gut fürs Land. Deshalb: Diese Verlässlichkeit muss da sein. Wir wissen alle nicht, ob Dinge auf uns zukommen, die wir jetzt noch nicht erahnen können. Das erleben wir außen- und sicherheitspolitisch. Da muss man sich flexibel auch zusammensetzen. Aber darüber zu spekulieren jetzt schon, ein dreiviertel Jahr, nachdem wir miteinander gestartet sind, und angesichts der Tatsache, dass vieles im Koalitionsvertrag noch nicht abgearbeitet ist, fände ich ganz falsch. Verlässlichkeit und Flexibilität müssen auch keine Gegensätze sein. Ich erlebe, dass es in der Spitze dieser Koalition, auch zwischen den Koalitionsfraktionen, in der Regierung diese Verlässlichkeit gibt, und das finde ich auch gut so.
    "Mit einer ernsthaften Diskussion hat das nichts zu tun"
    Heinemann: Sie haben die Außen- und Sicherheitspolitik angesprochen. Peter Ramsauer hat sich ja auch dafür ausgesprochen, zur Ankurbelung die Wirtschaft die deutsche Beteiligung an den internationalen Wirtschaftssanktionen gegen Russland oder auch gegen den Iran aufzukündigen. Wäre das hilfreich?
    Heil: Ich glaube, dass auffällig ist, dass Peter Ramsauer sozusagen Forderungen stellt, mit denen er öffentlich mal wieder vorkommt. Er ist das länger nicht mehr.
    Heinemann: Das hat er geschafft!
    Heil: Ja, das hat er geschafft. Aber mit der Sache hat das ja nicht viel zu tun. Wenn es um Profilierung von einzelnen Abgeordneten geht, dann ist das ein Erfolg, aber mit einer ernsthaften Diskussion hat das nichts zu tun. Tatsache ist: Wir sind keine Fans von Wirtschaftssanktionen. Wer ist das schon als Exportnation. Aber klar ist auch, dass es internationale Vereinbarungen gibt, und die muss man einhalten. Da kann Deutschland nicht aus der europäischen, aus der westlichen Wertegemeinschaft ausscheren, das ist auch ganz klar. Wir haben eine eigene Rolle dadurch, dass wir mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in beispielsweise beiden Konfliktsituationen versuchen, Brücken zu bauen. Aber es ist nicht so, dass wir uns von Vereinbarungen in Europa vom Acker machen können, unilateral, nur weil Herr Ramsauer gerade mal der Meinung ist, dass er mit einer solch knackigen Botschaft die Weltpolitik bestimmen kann.
    "Wir haben eine wertegebundene Außen- und Sicherheitspolitik"
    Heinemann: Aber müsste es nicht auch, um in der Ramsauerschen Denke zu bleiben, Ziel der deutschen Außenpolitik sein, Absatzmärkte für die eigene Wirtschaft zu sichern?
    Heil: Auf jeden Fall! Aber wir haben eine wertegebundene Außen- und Sicherheitspolitik, und deshalb noch mal: Das ist keine einfache Situation. Da braucht man keine naseweisen Randmeinungen, sondern braucht verlässliche und verantwortliche Politik. Dafür steht Frank-Walter Steinmeier und diese Bundesregierung.
    Heinemann: Hubertus Heil, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Heil: Schönen Tag, Herr Heinemann!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.