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Rassismus in den USA
Wie zwei Menschen in Kansas City Ansichten verändern

Mehr als ein Viertel der Bevölkerung von Kansas City sind Schwarze. Rassismus prägt in der Stadt noch immer das Leben - auch das von JJ Jones und Glen North. Doch die Lehrerin und der Dichter haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit denen ins Gespräch zu kommen, die die Welt anders sehen als sie.

Von Doris Simon | 25.05.2021
    Ein Regenbogen über der Skyline von Kansas City
    In Kansas City sind 30 Prozent der Bevölkerung Schwarze. Rassismus steckt tief in der DNA dieser Stadt im Mittleren Westen: Bis vor wenigen Jahrzehnten waren Viertel und Schulen getrennt sowie Restaurants und Geschäfte. ( picture alliance / ZUMAPRESS.com | John Sleezer)
    Rassismus - ein Problem der Weißen, nicht der Schwarzen, sagt Glen North. Der Dichter, schwarze Brille, breites freundliches Gesicht, sitzt in seinem Büro voller Bücher im Kulturzentrum in Kansas City, wo er Direktor ist. Neben ihm steht eine Urne mit Erde, von der Stelle, an der ein schwarzer Bürger von Kansas City gelyncht wurde. Weiße Amerikaner müssten den Rassismus bekämpfen, sagt North. Das sei nicht Sache der Schwarzen, auch wenn viele das erwarteten.
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    Aber auch Glen North engagiert sich seit vielen Jahren. Er versucht, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die die Welt anders sehen als er. Sein wichtigstes Werkzeug ist Sprache, sind seine Gedichte. Eines hängt hinter ihm als Plakat: "Why Black Folks like to dance" warum Schwarze gerne tanzen – eine Auseinandersetzung mit Sklaverei und Unterdrückung, mit Tanz und Musik als Ausdruck schwarzer Freiheit.
    In Kansas City sind 30 Prozent der Bevölkerung Schwarze. Rassismus steckt tief in der DNA dieser Stadt im Mittleren Westen: bis vor wenigen Jahrzehnten waren Viertel und Schulen getrennt, Restaurants, Läden, selbst der Leichenbestatter beerdigte keine Schwarzen. Heute ist Rassismus nicht mehr auf den ersten Blick sichtbar. Aber jeder Schwarze in Kansas City hat schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht, jede schwarze Mutter hat Angst um ihren Sohn. Glen North war 16, und unterwegs zu einer Freundin, als die Polizei ihn von seinem Fahrrad holte und ihm sofort Handschellen anlegte. Die Polizisten wollten dem schwarzen Teenager nicht glauben, dass er ein Mädchen im reichsten Viertel der Stadt kannte.

    Einfach zwei Schwarze in einem sehr weißen Bundesstaat ...

    Am Ende fuhr ihn die Polizei zu der Adresse, die er genannt hatte, die Freundin öffnete die Tür. Es war so furchtbar peinlich für uns beide, erinnert sich der Dichter und schüttelt sich. Schlechte Erfahrungen mit der Polizei sind für schwarze Amerikaner immer noch Alltag. Es ist nur ein paar Jahre her, dass Glen North von der Polizei in South Dakota stundenlang bei Eis und Schnee in seinem Auto festgehalten wurde. Er war mit einem Freund auf Lesereise, es gab keinen Anlass für die Kontrolle. Sie waren einfach zwei Schwarze auf einer Landstraße in einem sehr weißen Bundesstaat.
    Entsprechend skeptisch war der Dichter, als er im Februar eine Einladung des FBI in Kansas City zu einer Lesung bekam. Seine erste Reaktion: Die benutzen mich doch nur, um sagen zu können, wir tun was. Er machte es trotzdem. Es wurde ein echter Austausch. Diese Polizisten begegnen schwarzen Bürgern jetzt anders, hofft Glen North.

    JJ Jones hat keine Geduld mehr

    Ein paar Meilen weiter bereitet JJ Jones ihren Unterricht an einer teuren Privatschule in Kansas City vor, 24.000 Euro kostet ein Jahr in der Oberstufe. Jones hat eine Mission: Ihre Schüler sollen kritisch denken lernen - und sich wiederfinden im Geschichtsunterricht, wo die Lehrbücher nur weiße Geschichte vermitteln. Die Vergangenheit sei nicht tot, sondern präge das tägliche Leben, sagt die Lehrerin, die mehrere Jahre Zeitgeschichte in Wien studiert hat. Über die Konsequenzen von Geschichte müssten ihre Schüler nachdenken.
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    Die Gesellschaft sei offener geworden, über Rassismus zu diskutieren, sagte die Politikwissenschaftlerin Emilia Roig im Dlf. Dennoch werde von Rassismus Betroffenen nach wie vor nicht geglaubt.
    JJ Jones nennt es die "Dekolonisierung des Lehrplans". Welche Position ihre Schüler einnähmen, das sei ihr egal. Sie gibt Noten für wissens- und faktenbasierte Argumentation.
    Kein Verständnis hat die Geschichtslehrerin für Menschen, die finden, man müsse vorsichtiger vorgehen. Weiße müssten mitgenommen werden, so dass sie sich nicht unwohl fühlten. Jones sagt, sie sei immer die einzige Schwarze in einem Raum voller Weißer gewesen. Nur im Ausland, in Österreich, habe man sie zum ersten Mal als Amerikanerin wahrgenommen - nicht als Schwarze.
    JJ Jones hat keine Geduld mehr. Jeden Tag würden Menschen durch Polizeigewalt sterben. Es sei höchste Zeit für grundlegende Veränderungen. Worauf warten wir noch, fragt die Geschichtslehrerin und zitiert den Schriftsteller James Baldwin. Seine Zeilen sind das Motto ihres Lebens geworden:
    "Du hast mir immer gesagt, dass es seine Zeit braucht. Es hat die Zeit meines Vaters gebraucht, die Zeit meiner Mutter, die Zeit meines Onkels, die Zeit meiner Brüder und Schwestern, die Zeit meiner Nichten und Neffen. Wie viel Zeit willst Du für Deinen Fortschritt?"