Donnerstag, 25. April 2024

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Rassismusdebatte
Middelberg (CDU) gegen einen Generalverdacht gegenüber der Polizei

Nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd in den USA kann CDU-Innenpolitiker Mathias Middelberg bei der deutschen Polizei kein strukturelles Rassismus-Problem erkennen. Einen Generalverdacht in dieser Hinsicht gegen die Polizei, wie ihn SPD-Co-Chefin Saskia Esken ausgesprochen habe, weise er zurück.

Mathias Middelberg in Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 08.06.2020
Deutsche Polizisten kontrollieren Einreisende am Grenzübergang zum Schweizer Hoheitsgebiet.
Deutsche Polizisten müssen nach dem Antidiskriminierungsgesetz in Berlin künftig bei entsprechenden Vorwürfen nachweisen, dass sie nicht diskriminiert haben. (pa/Felix Kästle/dpa)
Nach den Anti-Rassismus-Demonstrationen in Washington und zahlreichen anderen amerikanischen Städten hat es auch in Deutschland große Kundgebungen gegen Polizeigewalt gegeben. Vor allem junge Menschen gingen in Berlin, Hamburg und München auf die Straße. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hatte im Zuge dessen gefordert, eine unabhängige Stelle für Beschwerden gegen Gewalt und Rassismus bei der deutschen Polizei einzurichten. Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Mathias Middelberg, widerspricht und verweist im Dlf auf bereits ausreichende Anlaufmöglichkeiten wie Ombudsstellen und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Dossier: Rassismus
"Richtig, Solidarität zu zeige mit George Floyd"
Dirk-Oliver Heckmann: Herr Middelberg, SPD-Co-Chefin Saskia Esken hat die Demonstrationen in Deutschland gegen Polizeigewalt begrüßt. Sie auch, auch wenn die Menschen dicht an dicht standen?
Mathias Middelberg: Ich fand die Demonstrationen auch richtig. Solidarität zu zeigen mit George Floyd und auch mit der Situation in den USA und dazu ein Bekenntnis abzugeben, halte ich für völlig richtig. Was da, ich sage mal, coronamäßig passiert ist, das ist nicht glücklich und das hätte nicht passieren dürfen. Es wäre besser gewesen, wenn die Demonstranten sich an, ich sage mal, die Abstandsregeln gehalten hätten, wie wir das ja bei anderen Demonstrationen auch erwartet und verlangt haben. Das wäre angemessen gewesen.
Thomas Strobl (CDU), Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration von Baden-Württemberg, spricht während der Landespressekonferenz Baden-Württemberg. 
Debatte um Polizeigewalt: "Unsere Polzististen stehten auf dem Boden unseres Grundgesetzes "
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hat eine unabhängige Stelle für Beschwerden wegen Gewalt und Rassismus bei der Polizei gefordert. Thomas Stobl (CDU) wies diesen Vorschlag im Dlf entschieden zurück.
Heckmann: … wäre angemessen gewesen. Wie hätte die Polizei reagieren sollen? Hätte sie wirklich eine Demonstration gegen Polizeigewalt auflösen sollen?
Middelberg: Das muss man aus der Situation heraus entscheiden, in Berlin, in Hamburg, in Stuttgart, wo es diese Demos gegeben hat. Das kann man aus der Ferne, das kann ich nicht im Einzelnen beurteilen, ob man sagt, man lässt gewisse Überschreitungen noch zu aus Opportunitätsgründen. Die Möglichkeit hat die Polizei. Dann ist es aber wohl auch hier oder da zu Auflösungen gekommen, einfach weil die Polizei gesehen hat, dass die Mengen zu groß wurden und dass Abstandsregeln nicht mehr einzuhalten sind, und das kann dann auch vor Ort die angemessene Entscheidung gewesen sein.
Diskriminierung: "Nicht wenige Fälle im letzten Jahr"
Heckmann: Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde in der vergangenen Woche im Fernsehen angesprochen auf das Thema, auf die Vorgänge in den USA, und sie hat darauf geantwortet mit dem Statement, Rassismus ist auch in Deutschland ein Problem. Man müsse vor der eigenen Haustür kehren. Das ist ein Thema, mit dem Sie sich beschäftigt haben, denke ich mal, als innenpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion. Wie groß ist denn das Problem in Deutschland aus Ihrer Sicht?
Middelberg: Ich glaube, die Kanzlerin hat völlig recht. Das Thema und das Problem gibt es auch bei uns – nicht in der Form und nicht in der Art wie in den USA. Das hat sicher eine andere Historie. Aber das Thema gibt es auch bei uns und deswegen ist die Forderung etwa, dass es unabhängige Stellen geben muss, auch völlig in Ordnung. Es gibt Ombudsleute bei den Länderpolizeien etwa. Die Bundesregierung hat jetzt gerade auch vor dem Hintergrund rechtsextremistischer Gewalt in Halle und in Hanau den Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus ins Leben gerufen – gerade im März – und es gibt beispielsweise auch die Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes, wo es im letzten Jahr auch nicht wenige Fälle gegeben hat, wo Leute gemahnt haben, angeprangert haben Fälle von Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft.
Generalverdacht gegenüber der Polizei "möchte ich nicht aussprechen"
Heckmann: Die Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes meldet 28.000 Meldungen seit ihrem Bestehen seit dem Jahr 2006. Das seien alles andere als Einzelfälle. Wie groß aber aus Ihrer Sicht, Herr Middelberg, ist das Problem bei der Polizei?
Middelberg: Ja, ich glaube, dass die Feststellung oder die Aussage von Frau Esken, dass wir gewissermaßen Strukturprobleme in der Polizei haben mit rassistischen Einstellungen, das halte ich für falsch. Und da sage ich Ihnen auch ganz ehrlich: So einen Generalverdacht gegenüber der Polizei möchte ich nicht aussprechen. Ich habe im Grunde großes Vertrauen in unsere Polizei, auch was dieses Thema anbetrifft. Ich sehe kein Strukturproblem. Aber es gibt Fälle von Rassismus in der Polizei, unter den Polizeibeamten, wie es das auch in unserer Gesellschaft gibt. Das ist eindeutig so. Ich sehe aber nicht, dass unsere Polizei irgendwie rassistisch unterwandert ist, und so einen Generalverdacht, wie die Frau Esken den ausgesprochen hat, den würde ich ganz, ganz deutlich zurückweisen.
Kein Racial Profiling, sondern angemessen und nachvollziehbar
Heckmann: Dieses Vertrauen, das Sie in die Sicherheitsbehörden haben, das wird auch nicht erschüttert durch die vielen, vielen und zahlreichen Stellungnahmen von Menschen, People of Collor, von schwarzen Menschen, die von alltäglichen Diskriminierungen auch durch die Polizei berichten? Wir haben gerade von den beiden Frauen gehört, denen gesagt worden sei, sie sollten "ihr Maul halten". Wir haben Josef Kolisang gehört, den Mitorganisator der Demonstration in Köln. Der hat von Racial Profiling gesprochen. Er werde von der Polizei kontrolliert wegen seiner Hautfarbe, und das hört man immer wieder und immer wieder. Das lässt Ihr Vertrauen nicht erschüttern?
Middelberg: Solche Fälle gibt es bestimmt und es gibt auch Fälle, in denen so eine Kontrolle, ich sage mal, zu Unrecht erfolgt und wo tatsächlich dieser Verdacht berechtigt ist. Ich glaube aber, auch in vielen Fällen haben die Leute den Eindruck, dass das so sei. Die Polizei verhält sich aber in den konkreten Fällen dann völlig korrekt. Ich glaube, es ist einfach so, und das muss man auch akzeptieren, dass in bestimmten Situationen, ich sage mal, in der Regel junge Menschen überprüft werden, weil die Polizei dann den Eindruck hat, hier gehen mögliche Straftaten in erster Linie von jungen Menschen aus. Das wäre auch eine Form von Diskriminierung einer bestimmten Gruppe aufgrund von Altersgründen. Genauso gibt es aber auch Konstellationen, etwa wenn in bestimmten Orten, in Hamburg, in Berlin, wenn man weiß, dass der Drogenhandel in der Hand etwa von Gruppen aus Osteuropa ist, oder auch in der Hand von Gruppen aus afrikanischen Ländern. Dann ist es auch – ich sage das mal - ganz angemessen und vernünftig und sachlich nachvollziehbar, wenn man dann Personen auch aus dieser besonderen Gruppe besonders überprüft und in den Blick nimmt. Das halte ich nicht für irgendein Racial Profiling, sondern das sind angemessene und nachvollziehbare Kriterien.
Überprüfung "vor sachlichem Hintergrund sehen"
Heckmann: Aber das Problem ist doch, dass viele Menschen, auch viele junge Menschen, die keine weiße Hautfarbe haben, davon berichten, dass sie von der Polizei kontrolliert werden, oder sogar auch schikaniert werden, obwohl sie mit Drogenhandel überhaupt nichts zu tun haben.
Middelberg: Das mag so sein. Wie gesagt, das kann ich auch nicht ausschließen. Es gibt aber auch viele Fälle, in denen das so ist und vielleicht auch junge Leute das so vermuten. In den Fällen kann es aber durchaus angemessen sein, dass die Kontrollen erfolgen. Wenn es beispielsweise um Einreisekontrollen im grenznahen Bereichen oder an Flughäfen oder an Bahnhöfen geht, dann kann das auch den Hintergrund haben, dass die Polizei einfach darauf aus ist, bestimmte Reisende oder auch illegale Einreisende und anderes zu überprüfen. Das muss man vor dem sachlichen Hintergrund sehen. Das können wir nicht allgemein sagen, sondern das müssen wir von Fall zu Fall beantworten.
Jeder, der sich irgendwie diskriminiert fühlt...
Heckmann: … kann man nicht allgemein sagen. Deswegen fordert ja Saskia Esken auch eine unabhängige Stelle zur Aufklärung von Diskriminierung und Polizeigewalt. Sollte es so etwas aus Ihrer Sicht geben?
Middelberg: Die Stellen gibt es, wie ich Ihnen das bereits sagte. Den Kabinettsausschuss, den wir gerade eingerichtet haben. Der kann sich mit der Frage einer solchen Aufarbeitung auch beschäftigen. Es gibt die Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes und ich würde jedem empfehlen, der sich in irgendeiner Weise diskriminiert fühlt, dass er sich an diese Stelle wendet. Und es gibt die Ombudsleute bei den Länderpolizeien und auch da würde ich jedem sagen, nutzen Sie diese Stelle. Das sind unabhängige Beschwerdestellen, die unabhängig arbeiten können und die auch Polizeiarbeit überprüfen können.
Heckmann: Das heißt, der Vorschlag ist überflüssig?
Middelberg: Was ich aber nicht stehen lassen möchte, ist dieser Generalverdacht gegenüber unseren Polizeibeamten. Die Polizeibeamte sind unsere Vertreter, unserer Gemeinschaft. Der Staat ist ja nicht irgendwie eine abstruse Veranstaltung, sondern das sind die Repräsentanten unserer Gemeinschaft hier in Deutschland. Und gegenüber diesen Polizeibeamten, sage ich mal, habe ich ein Grundvertrauen und kein Grundmisstrauen wie die Frau Esken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.