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Ratingagenturen sind "zu wenig Wettbewerb ausgesetzt"

Nach den Empfehlungen der Unternehmensberatung Roland Berger kann eine europäische Ratingagentur, die neue Maßstäbe im Markt setzt und mit wettbewerbsorientierten Strukturen arbeitet, helfen, das internationale Finanzsystem zu stabilisieren.

Markus Krall im Gespräch mit Jasper Barenberg | 19.07.2011
    O-Ton Klaus Ernst: Die Ratingagenturen müssten in der Form, wie sie jetzt agieren, schlichtweg abgeschafft werden, die haben keinen Sinn.

    O-Ton Sigmar Gabriel: Diese Bewertung von europäischen Mitgliedsstaaten durch US-Ratingagenturen sind ja höchst fragwürdig. Das müssen wir unterbinden.

    O-Ton Viviane Reding: Es ist nicht gut, wenn die ganze Welt von drei amerikanischen Unternehmen regiert wird.

    O-Ton Angela Merkel: Wir können natürlich nicht als Staaten eine Ratingagentur uns schaffen einfach. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die europäische Wirtschaft mal dazu kommt und sagt, wir brauchen hier auch eine Einschätzung.

    Jasper Barenberg: Klaus Ernst, den Vorsitzenden der Linkspartei, konnten Sie da gerade hören, Sigmar Gabriel von der SPD, Viviane Reding, die EU-Justizkommissarin, und zum Schluss Angela Merkel. "Entmachtet die Ratingagenturen", dieser Schlachtruf gehört inzwischen zur unvermeidlichen Begleitmusik in der Debatte über die Schuldenkrise, die griechische, und den richtigen Weg aus ihr heraus. Tag für Tag schimpfen Politiker aus ganz Europa vor allem auf die drei dominierenden Unternehmen und legen mit ihrer Wortwahl nahe, Moody’s, Standard & Poor’s und die Agentur Fitch hätten es allein in der Hand, mit ihrem kleinen Finger gewissermaßen ganze Länder zu Fall zu bringen.

    Auf die Beschimpfung folgt regelmäßig die Beschwörung, wir haben es auch gerade gehört, doch bitte möglichst rasch eine eigene, eine europäische, will heißen unabhängige Ratingagentur ins Leben zu rufen. Eben diesen Plan verfolgt seit einiger Zeit die Unternehmensberatung Roland Berger. Treibende Kraft im Unternehmen ist dabei Senior Partner Markus Krall, und er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!

    Markus Krall: Guten Morgen.

    Barenberg: Herr Krall, Politiker in Deutschland und nicht nur dort, sie erträumen sich eine europäische Ratingagentur ja ausdrücklich als Gegengewicht zu den drei Großen, die das Geschäft unter sich aufteilen bisher und bestimmen. Ist das auch Ihre Stoßrichtung?

    Krall: Nun, was wir vorhaben ist eigentlich kein Gegengewicht im Sinne, wir brauchen etwas, was gegen Amerika oder gegen die amerikanischen Agenturen gerichtet ist. Was uns vorschwebt ist vielmehr eine neue europäische Agentur, die dazu beiträgt, die Disfunktionalitäten, also die Fehler, die in diesem Markt zurzeit passieren, auszugleichen, und das bezieht sich weniger auf die Frage, ob jetzt ein einzelnes Rating eines einzelnen Landes jetzt richtig oder falsch ist, als vielmehr auf die Frage, ob hier genug Wettbewerb herrscht, ob genug Transparenz herrscht und ob der Interessenkonflikt, dem die Ratingagenturen durch ihr Bezahlsystem ausgesetzt sind, nicht abgeschafft gehört.

    Barenberg: Es gibt Fehler also im System. Das aber ist schon die Grundlage für Ihre Überlegungen?

    Krall: Das ist richtig, ja.

    Barenberg: Und das ist vor allem?

    Krall: Das ist vor allem der Interessenkonflikt, der im Bezahlsystem liegt. Heutzutage ist es so, dass die Ratingagenturen ja von den Emittenten bezahlt werden. Und dieser Interessenkonflikt, den sehen wir als eine der Wurzeln der Krise an, die in Amerika bei den Hypothekenkrediten zur Blase geführt hat.

    Das zweite ist, dass wir sehen, dass die Ratingagenturen zu wenig Wettbewerb ausgesetzt sind, denn Sie haben selbst aufgezählt, es sind nur drei große Ratingagenturen. Zwei davon, nämlich S & P und Moody’s, beherrschen 80 Prozent des Weltmarktes und haben eine sehr große Überlappung in ihren Aktionärsstrukturen. Das heißt, hier kann man davon ausgehen, dass es durchaus Strukturen geben sollte, die möglicherweise den Wettbewerb behindern, und hier sehen wir, dass ein zusätzlicher, auch europäischer Player den Wettbewerb verstärken könnte.

    Barenberg: Sind die drei Unternehmen, die Sie erwähnt haben, sind die drei Großen voreingenommen?

    Krall: Voreingenommen kann man, glaube ich, nicht sagen. Ich glaube, dass speziell mit Bezug auf die Länderratings der Euro-Länder ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen wird. Natürlich ist es so, dass es zum Teil auch berechtigte Kritik gibt. Insbesondere bei der jüngsten Ratingaktion in Richtung Portugal durch Moody’s ist es sehr schwer nachvollziehbar, warum Portugal jetzt plötzlich bei Kennzahlen, die eigentlich gar nicht so schlecht sind, und bei einem Programm, das erfolgreich aufgelegt wurde, so viel schlechter sein soll als vorher, zumal ja der europäische Rettungsschirm über dem Land aufgespannt ist, was vor wenigen Jahren bei schlechteren Zahlen noch nicht der Fall war.

    Allerdings ist es auch so, dass man sehen muss, dass wenn wir schlechte Fiskalzahlen haben, dass teilweise die Ratingagenturen gar keine andere Wahl haben, als dann auch schlechte Noten zu geben. Man sollte nicht die schlechte Nachricht mit dem Überbringer verwechseln, und wir sehen das durchaus sehr differenziert.

    Barenberg: In der politischen Diskussion wird ja oft inzwischen der Vorwurf erhoben, die USA wollten geradezu mit Hilfe dieser Ratingagenturen den Euro kaputt machen. Wir haben das gerade noch mal in der Wortwahl auch von dem Parteichef der Linken, von Klaus Ernst gehört. Ist da irgendetwas dran aus Ihrer Sicht?

    Krall: Wir glauben an solche Verschwörungstheorien auf keinen Fall, denn wenn Sie die Interessen der USA und auch die Interessen der Finanzindustrie der USA sich ansehen, dann muss man sehen, dass an einem stabilen Euro alle Interesse haben. Wenn der Euro tatsächlich - In Anführungszeichen - an die Wand gefahren werden würde, dann würde dieses resultierende Chaos nicht nur Europa beschädigen, sondern auch die USA und insgesamt das gesamte westliche und internationale Wirtschaftsgefüge. Daran hat sicher niemand Interesse, zu allerwenigst in den USA.

    Barenberg: Sie haben von einem anderen, von einem neuen Geschäftsmodell gesprochen, das Sie anstreben, mit dem Verweis auf diesen Interessenkonflikt, der darin besteht, dass die Auftraggeber meistens die Ratings bezahlen, die ihnen dann selber gleichsam zugute kommen. Wie kann ein alternatives Geschäftsmodell denn aussehen?

    Krall: Nun, was wir vorschlagen, ist ein investorenbasiertes Geschäftsmodell, bei dem in Zukunft die Anleger, also die Käufer der Wertpapiere, das Rating bezahlen, und das sind auch diejenigen, die die Information des Ratings für ihre Entscheidungen eigentlich nutzen, so dass dann zwischen den Ratingagenturen und den Nutzern des Ratings eine Interessenkongruenz hergestellt wird und dadurch wird dieser Konflikt überwunden.

    Es ist nicht ganz einfach, so ein System herzustellen, weil es das Problem des sogenannten Freeride gibt, also wenn ein Investor bezahlt hat, dann haben alle anderen kein Interesse mehr, das Rating auch zu bezahlen, weil es dann ja frei verfügbar ist. Aber wir haben uns sehr intensiv Gedanken gemacht, wie man dies umgehen kann, und haben mit den Börsen und auch mit den Aufsichtsbehörden und der europäischen Kommission Vorschläge entwickelt, wie man durch sehr geringfügige regulatorische Änderungen dieses Ziel erreichen kann.

    Barenberg: Wie weit sind Sie damit gekommen?

    Krall: Damit sind wir schon so weit gekommen, dass wir jetzt konkret Vorschläge unterbreitet haben, welche Regularien und auch europaweit anwendbaren Gesetze angepasst werden müssen, um so eine Plattform zu schaffen. Und da geht es in erster Linie um das Prospektrecht. Hier geht es also darum, dass man den Emittenten auferlegt, ihre Informationen für Ratings frei zugänglich zu machen, so dass alle Ratingagenturen, die lizenziert sind, in der Lage sind, ein Rating zu erstellen, und gleichzeitig den Investoren aufzuerlegen, entweder in der Lage zu sein, selbst zu raten, also zum Beispiel eine Infrastruktur zu haben, wie sie die Banken bei Basel II entwickelt haben, oder, wenn sie das nicht können, eben ein entsprechend lizenziertes Rating einzukaufen, aber dann von einer unabhängigen Ratingagentur, die nicht in Geschäftsbeziehungen mit den Emittenten steht.

    Barenberg: Die Politiker machen uns ja Hoffnung darauf, dass die Urteile anders ausfallen könnten als durch die drei Großen, von denen wir jetzt schon ein paar Mal gesprochen haben. Würden Sie denn Griechenland derzeit bessere Noten geben als Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch?

    Krall: Nun, wenn wir die griechische Situation uns ansehen, dann muss man, glaube ich, sehr differenziert darüber nachdenken. Ich glaube nicht, dass es die berechtigte Hoffnung gibt, ein Land, über dessen aktuelle Zahlungsverzug-Situation schon in der Politik diskutiert und die von der Politik quasi schon halb akzeptiert ist, von einer europäischen unabhängigen Agentur viel andere Noten bekommen könnte als von den jetzigen.

    Das ist auch gar nicht das Ziel, sondern das Ziel ist, hier eine unabhängige und auch, ich sage mal, in der Breite der Meinungsvielfalt der Ratingagenturen besser aufgestellte Ratingagentur zu schaffen, die nicht dann erst warnt, wenn es zu spät ist, und Griechenland ist ein Beispiel dafür, nicht dafür, dass Ratings jetzt falsch wären bei Griechenland, sondern dafür, dass viel zu spät eigentlich reagiert wurde.

    Hätten die Ratingagenturen die tatsächlichen Fiskalzahlen Griechenlands vor drei oder vier Jahren sich angesehen, dann wären damals schon Warnsignale erforderlich gewesen, die möglicherweise eine Motivation für die Griechen und für die Europäer gewesen wären, das Problem gar nicht erst dahin eskalieren zu lassen. Also man muss hier die Sache so sehen, dass man nicht ein Land, das selbst in Schwierigkeiten ist, mit einer europäischen Agentur besser bewertet, sondern man muss es so sehen, dass man früher hätte reagieren müssen.

    Barenberg: Markus Krall, Seniorpartner in der Unternehmensberatung Roland Berger, über die Pläne, eine eigene unabhängige europäische Ratingagentur zu gründen. Herr Krall, danke für das Gespräch.

    Krall: Vielen Dank auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews
    und Diskussionen nicht zu eigen.


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