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Realschullehrerverband
"Digitalpakt darf nicht der Trojaner im Grundgesetz werden"

Der Vorsitzende des Deutschen Realschullehrerverbandes sieht den Digitalpakt kritisch. Schon viel früher hätte man ein Bildungspaket zur Digitalisierung auf den Weg bringen müssen, sagte Jürgen Böhm im Dlf. Stattdessen versuche man nun, mit der Grundgesetzänderung den Bildungsföderalismus auszuhebeln.

Jürgen Böhm im Gespräch mit Jörg Biesler | 03.12.2018
    Jürgen Böhm, Landesvorsitzender Bayerischer Realschullehrerverband e.V. steht vor zwei silbernen Luftballons, die eine 20 darstellen.
    Der Bundesvorsitzende des Deutschen Realschullehrerverbandes, Jürgen Böhm, hat sich im Dlf klar gegen eine Lockerung des Kooperationsverbotes in der Bildung ausgesprochen (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Jörg Biesler: Heute beginnt der Digitalgipfel der Bundesregierung in Nürnberg. Bei dem soll es auch um die Bildung gehen, und deshalb ist Jürgen Böhm dort, der Bundesvorsitzende des Deutschen Realschullehrerverbandes, ihn erreichen wir deshalb nur am Mobiltelefon. Guten Tag, Herr Böhm!
    Jürgen Böhm: Guten Tag!
    Biesler: Sie sind ziemlich sauer nach Nürnberg gefahren, weil sich am Wochenende eben abzeichnete, dass es so schnell nicht gehen wird mit dem Digitalpakt. Worüber sind Sie denn genau sauer, über die Bundesregierung und über die Strategie aus Berlin oder über die Bundesländer?
    Böhm: Ich bin sauer darüber, dass wir schon längst dieses Bildungspaket hätten schnüren müssen und es an den Schulen angekommen sein müsste. Und ich denke, ich bin sauer darüber, dass hier versucht wird, über Regelungen im Haushaltsausschuss das Grundgesetz zu ändern und mit dieser Änderung den Bildungsföderalismus auszuhebeln.
    Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, und wir hätten schon längst Regelungen, Gesetzlichkeiten finden können, um dieses Bildungspaket auf den Weg zu bringen. Darüber bin ich sauer und ich denke, wir reden nicht mehr von einer Sperrminorität der Länder, das sieht man ja gerade, wir haben jetzt eine Sperrmajorität mittlerweile.
    Biesler: Es sind immerhin acht, also die Hälfte mittlerweile, die sich gegen die Grundgesetzänderung ausgesprochen haben. Das heißt, Sie stehen aber eher auf der Seite der Bundesländer bei der Grundgesetzänderung und denken, der Bund will sich da zu viele Kompetenzen sichern?
    Böhm: Absolut. Ich glaube, dass hier einfach versucht wird, den Bildungsföderalismus auszuhebeln, und ich denke, das ist nicht fair, hier so vorzugehen. Es geht um ein wichtiges Zukunftsproblem, dieses wichtige Zukunftsproblem – und ich habe das auch letzte Woche gesagt –, erstens darf dieser Digitalisierungspakt nicht der Trojaner im Grundgesetz werden und zweitens müssen wir die Mittel an die Länder weitergeben, und die Länder wissen am besten, wie sie in der Bildung in den Ländern das umsetzen können. Das ist, denke ich, das wäre der vernünftige Weg, und letztendlich werden wir wohl auch dort ankommen.
    "Das Geld muss kommen"
    Biesler: Ich habe es vorhin schon mal gesagt, 2016 gab es die erste Ankündigung im Oktober der damaligen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka eines Digitalpakts, seitdem sind zwei Jahre vergangen, es gibt so ein paar Kommunen natürlich, die inzwischen initiativ geworden sind und erste technische Einrichtungen zum Beispiel haben installieren lassen. Aber alleine schaffen die das nicht, die brauchen die Hilfe vom Bund, das Geld muss kommen. Wie dringend schätzen Sie als Vertreter der Lehrerinnen und Lehrer die Situation ein.
    Böhm: Absolut, ich gebe Ihnen vollkommen recht, das Geld muss kommen, und es gibt Bundesländer, die können das alleine nicht schultern. Und die Regelung, die hier ins Auge gefasst wurde dann am Ende letzter Woche …
    Biesler: … dass Bundesländer und Bund sich die Kosten teilen, muss man vielleicht noch mal erklären.
    Böhm: … die Kosten teilen müssen, halte ich das für, gerade für finanzschwache Länder oder auch Kommunen, für ein Riesenproblem. Deswegen muss dieser Pakt, dieses Geld vom Bund zur Verfügung gestellt werden und in irgendeinem Schlüssel verteilt werden, und ich denke, das hätte schon seit 2016 passiert sein können.
    "Kindern klarmachen: Technik alleine löst keine Probleme"
    Biesler: Jetzt sind Sie zum Digitalgipfel nach Nürnberg gefahren. Sie interessieren sich für das Thema, das liegt nahe, aber was erwarten Sie denn, dort zu hören?
    Böhm: Ich bin hier, es geht ja hauptsächlich um das Thema Künstliche Intelligenz, KI, das ist ein Riesenthema der Zukunft und auch der Bildung. Wir dürfen Digitalisierung nicht außer Acht lassen, wir dürfen natürlich auch bei aller Digitalisierung die ethischen Komponenten nicht außer Acht lassen. Was macht das mit uns, was macht das mit unseren Kindern? Und gerade im Bildungsbereich müssen wir Kinder so fit machen, dass sie Technik verstehen, aber natürlich auch mit analogen Kompetenzen den Maschinen weit voraus sind.
    Wir müssen unseren Kindern klarmachen, Technik alleine löst keine Probleme, die menschliche Komponente – Wissen, Können, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Medienkompetenz – ist wichtig. Und in dem Sinne ist das für eine hoch spannende Veranstaltung. Ich vertrete ja nicht nur die Lehrkräfte, sondern auch die gesamte öffentliche Verwaltung in meiner Funktion als stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen Beamtenbundes.
    "Entscheidend sind die Rahmenbedingungen an den Schulen"
    Biesler: Für diese Unterrichtseinheiten aber, in denen man verstehen kann, was Digitalisierung eigentlich ist, welche Chancen, aber auch welche Risiken sie birgt, und wie wir damit umgehen können, da bräuchte man eben ganz dringend eine Ausstattung mit digitalen Geräten in den Schulen, oder?
    Böhm: Natürlich, also ich sage das auch schon seit Jahren, seit über zehn Jahren, entscheidend sind die Rahmenbedingungen an den Schulen. Wenn die Lehrkräfte nicht die entsprechenden technischen Mittel zur Verfügung haben, wenn das Netzwerk nicht funktioniert, wenn die Strukturen nicht geschaffen sind, dann passiert nichts. Und deswegen ärgert mich dieses Verzögern über irgendwelche Haushaltsausschüsse, durch rechtliche Schritte – die Kolleginnen und Kollegen vor Ort warten darauf, sie brauchen die Mittel.
    Und letztendlich ist es wichtig, dass die kompetenten Ansprechpartner, nämlich die Länder, vor Ort entscheiden müssen, wie das in die Strukturen der Bildung hineinpasst, ganz einfach.
    Biesler: Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender des Realschullehrerverbandes, zum Digitalpakt, der noch immer nicht ganz durchsetzbar ist, die Grundgesetzänderung, darüber haben wir gerade berichtet, darüber wird noch gestritten. Vielen Dank, Herr Böhm!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.