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Rechtsaußen
Die Burschenschaften innerhalb der FPÖ

"Stille Machtergreifung" - so nennt Hans-Henning Scharsach die Umtriebe der österreichischen Burschenschaften innerhalb der FPÖ. Aus der Verbundenheit zur NS-Zeit machten die Corps kaum ein Geheimnis, Dennoch werde die Gefahr im Land unterschätzt oder gar nicht erst thematisiert.

Von Norbert Mappes-Niediek | 09.10.2017
    Die Spitzenkandidaten für den österreichischen Nationalrat, Heinz Christian Strache (FPÖ), Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) (v.l.)
    Die Spitzenkandidaten für den österreichischen Nationalrat, Heinz Christian Strache (FPÖ), Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) (v.l.) (imago / photonews.at)
    Unter den Möglichkeiten, sich mit dem neuen europäischen Rechtstrend auseinanderzusetzen, gilt die sogenannte Nazi-Keule als die primitivste. Was aber, wenn in Parteien, die wir heute populistisch nennen, tatsächlich noch oder wieder ein ausgesprochen nationalsozialistisches Denken gepflegt wird?
    Es gibt solche Kreise offenbar, und wenn Österreich diese Woche ein neues Parlament wählt, haben sie nach langer Zeit wieder Aussicht auf Zugang zur Regierungsgewalt. In Wien, in Rundfunk und Fernsehen ist das kein Thema, auch nicht seit das hier besprochene Buch auf der österreichischen Bestsellerliste steht. Die einen schweigen zu der braunen Subkultur, um ihre Wahl- oder ihre Koalitionschancen nicht zu gefährden, die anderen erwähnen sie nicht, weil ihre Existenz angeblich ohnehin sattsam bekannt ist.
    "Ein rechtsextremer, demokratie- und verfassungsfeindlich agierender Akademikerklüngel hat die Freiheitliche Partei Österreichs unterwandert, danach dominiert und zuletzt in Besitz genommen. Österreichs Burschenschaften, aus denen die schlimmsten Nazi-Verbrecher, die brutalsten politischen Gewaltverbrecher der Nachkriegszeit und zahlreiche rechtskräftig verurteilte Neonazis hervorgegangen sind, greifen nach der Macht."
    Die Aufgabe, die bekannte Wahrheit einfach auszusprechen, kommt bekanntlich Kindern und alten Leuten zu, und so hat sie mit dem Journalisten Hans-Henning Scharsach wohl nicht zufällig ein 74-Jähriger übernommen. Sein Buch besticht weniger durch differenzierte Analyse, nicht einmal durch besonders aufwendige Recherche. Die Leistung liegt vor allem in der Unbeirrtheit, mit der Scharsach einfach niederschreibt, wovon im politischen Tagesbetrieb schon lange nicht mehr die Rede ist.
    Unverhohlene Nazi-Verehrung
    Wer Burschenschaften, wenigstens die österreichischen, statt dem Radikalismus eher dem Alkoholismus zuordnet, könnte sich irren. Auch mit der ideologischen Vielfalt, die sich eigentlich immer einstellt, wenn Politik nur zweitrangig ist und alle aus den verschiedensten Elternhäusern kommen, scheint es vorbei zu sein.
    "Informanten aus dem Burschenschafter-Milieu sprechen von einer 'weitgehenden ideologischen Homogenität', die durch verbindliche Statuten der Dachverbände vorgegeben und durch Konformitätsdruck aufrechterhalten wird, der nur in Ausnahmefällen auf echten Widerstand stößt."
    Aus der ungebrochenen Tradition zum "Dritten Reich" macht in der Szene niemand groß ein Hehl; wenigstens nicht intern.
    "Da wird beim Totengedenken das 'ehrende Andenken' an diese Burschenschafter zelebriert, das ehrende Andenken an Ernst Kaltenbrunner, als Chef des Reichssicherheitshauptamtes vielleicht die zentrale Figur der nationalsozialistischen Terror- und Vernichtungsmaschinerie," so Scharsach.
    Und das keineswegs, weil niemand mehr wüsste, wer dieser 1946 hingerichtete "Alte Herr" der Burschenschaft Arminia Graz war.
    Scharsach weiter: "Da wird der Ahnenschrein geöffnet. Da hängen die Fotos der Burschenschafter, der verstorbenen, drinnen, und da werden die Namen aufgerufen und es wird ihrer besonderen Verdienste gedacht."
    Der Verdienste Kaltenbrunners, aber zum Beispiel auch Irmfried Eberls, des Kommandanten des Vernichtungslagers Treblinka.
    Corps halten NS-Regeln aufrecht
    Sogar der sogenannte Arierparagraph, 1878 von einer Wiener Burschenschaft erstmals eingeführt, ist noch immer in Kraft, wie Scharsach darlegt.
    "Sie tarnen das nur unter dem Begriff Abstammungsprinzip. Aber im Prinzip ist das genau das gleiche: Juden und Andersrassige sind nicht Arier und sind daher ausgeschlossen von der Mitgliedschaft."
    Der Arierparagraph ist auch nicht nur totes Recht. Als die eher liberalen Corps das sogenannte Abstammungsprinzip durch ein "Bekenntnis zum Deutschtum" ersetzen wollten, vollzog ein harter Kern aus vierzehn österreichischen Burschenschaften die Trennung. Erst durch den internen Streit kam ans Licht, dass sich die NS-Praxis in dem Milieu unverändert erhalten hat. Scharsach listet die Indizien sorgsam auf. Das meiste hat irgendwann in der Zeitung gestanden, ging aber unter.
    "Also in Deutschland bedeutet Burschenschafter zu sein nicht automatisch, am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums zu stehen. In Österreich ist das anders. Wer in Österreich Burschenschafter ist, von dem kann man voraussetzen: Er ist Antisemit, er respektiert den Arierparagraphen, er ist deutschnational, er ist damit explizit verfassungsfeindlich, und er ist ein rechtsextremer Politiker."
    Burschenschafter dominieren die FPÖ-Führung
    Politisch haben Österreichs Burschenschafter ihre Heimat in der Freiheitlichen Partei, die bei Parlamentswahlen stets mit einem Viertel der Stimmen rechnen kann und nach dem 15. Oktober gute Chancen auf Ministerämter hat. Auch in der FPÖ bilden die NS-affinen Burschenschafter nur eine Minderheit. Allerdings eine dominante, so Scharsach. Sechs Mitglieder hat das engste Führungsgremium der Partei.
    Scharsach: "Von diesen sechs Männern - dass eine Frau dabei ist, kommt bei der FPÖ ohnedies nicht vor - von diesen sechs Männern sind fünf Burschenschafter, und die Burschenschafter haben in sämtlichen Parteigliederungen, im Nationalrat, die sichere Mehrheit. Es gehört ihnen praktisch diese Partei."
    Dabei stellen sie sich keiner ideologischen Feldschlacht. Sie funktionieren als stille Seilschaften, in einheitlichem Geiste aufgezogen in den sogenannten Bildungsveranstaltungen ihrer Studienjahre, bei denen europaweit bekannte Rechtsextremisten als Redner auftreten. Ausgerechnet unter dem legendären Jörg Haider ging der Einfluss der Corps zurück. Jetzt, unter seinem Nachfolger Heinz-Christian Strache, sind sie wieder da; Burschenschafter ist auch Norbert Hofer, der es bei der Präsidentenwahl im vorigen Jahr in die Stichwahl schaffte.
    Das Buch liefert mit seiner klaren Sprache nicht mehr und weniger als einen Indizienbeweis; über Motive, Hintergründe soll sich nun - in der Rolle des Gerichts - bitte die Wählerschaft Gedanken machen. Etliche Fragen bleiben nach dieser gruseligen Lektüre offen: Gibt es in der Szene ein steuerndes Zentrum? Pflegen die Rechtsextremen nur ihre braunen Traditionen, was schlimm genug wäre? Oder haben sie eine Agenda? Ebenso erschreckend wie die bloße Existenz der Szene ist, dass sich das in Österreich bis heute offenbar niemand fragt.
    Hans-Henning Scharsach: "Stille Machtergreifung. Hofer, Strache und die Burschenschaften"
    Kremayr & Scheriau, 240 Seiten, 22 Euro.