Freitag, 29. März 2024

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Rechtsextreme und Hygienedemos
"Entwicklung auf politischer Seite nicht rechtzeitig prognostiziert"

Der Kriminalist und Gründer der Neonazi-Aussteiger-Organisation Exit-Deutschland, Bernd Wagner, wirft der Politik vor, sich nicht ausreichend mit dem Protest gegen die Corona-Einschränkungen auseinanderzusetzen. Hier habe sich etwas entwickelt, was man schon vorher hätte kommen sehen können, sagte Wagner im Dlf.

Bernd Wagner im Gespräch mit Sabine Adler | 24.05.2020
Ein Mann hält auf einer Hygienedemo in München ein Plakat mit der Aufschrift "COVID-1984" hoch
Anspielung auf den Überwachungsstaat-Roman "1984" von George Orwell auf einer Hygienedemo in München - Verschwörungstheoretiker bestimmen vieleorts das Bild der Proteste (picture alliance/ ZUMA Wire/ Sachelle Babbar)
Bernd Wagner hat vor 20 Jahren die Neonazi-Aussteiger-Organisation Exit-Deutschland gegründet, zusammen mit dem ehemaligen Neonazi Ingo Hasselbach. Seit dem hat die Initiative nach eigenen Angaben mehr als 750 Menschen dabei geholfen, mit dem Rechtsextremismus zu brechen.
Sabine Adler: Exit begeht in diesen Tagen sein 20-jähriges Jubiläum. Ein großes Fest allerdings ist wegen Corona ausgefallen. Herr Wagner, hätten Sie gerne gefeiert?
Bernd Wagner: Wir hätten gerne gefeiert, sowohl die Ausgestiegenen als auch wir, die wir dort aktiv sind. Leider hat uns natürlich die Zeitgeschichte, die biologische und soziale Zeitgeschichte einen Strich durch die Rechnung gemacht. Allerdings werden wir grundsätzlich nicht unsere Feierlichkeiten komplett canceln, sondern wir werden das sozusagen virtuell begehen.
Adler: In dieser Woche hat ja zum ersten Mal der Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus getagt. Anlass waren, wir erinnern uns, der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor fast einem Jahr, der Anschlag auf die Synagoge in Halle im Herbst sowie jetzt Anfang des Jahres im Februar die Anschlagsserie in Hanau. Die Bundesregierung möchte mit diesem Ausschuss unter Beteiligung verschiedener Ministerien Maßnahmen anstoßen und begleiten, um Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus zu bekämpfen. Herr Wagner, ist so ein Kabinettsausschuss tatsächlich ein Mittel, um diesen Kampf zu führen?
Wagner: Das kann man abschließend nicht beurteilen. Ich weiß es ja noch nicht, mit welcher Agenda dieser Ausschuss ins Leben treten wird. Das sind hehre Absichtserklärungen, von denen ich also über die vielen Jahre schon sehr viele gehört habe aus unterschiedlichen Regierungen zu unterschiedlichen Anlässen. Deswegen bin ich da erst mal verhalten in meinem Urteil, bevor ich persönlich keine weitere Kenntnis über die konkreten Inhalte, Verabredungen, aber auch Tagesordnungspunkte und Maßnahmen habe.
Bernd Wagner ist Kriminalist und Gründer der Aussteiger-Organisation Exit-Deutschland
Bernd Wagner ist Kriminalist und Gründer der Aussteiger-Organisation Exit-Deutschland (picture alliance/ AP/ Michael Sohn)
Definition des Begriffs Rechtsextremismus
Adler: Den Kampf gegen Rechts, den führen viele Parteien im Munde, logischerweise nicht alle, wie wir wissen. Auf der einen Seite wird dieser Kampf gegen Rechts immer wieder erklärt als ein Ziel, als etwas, was man machen muss. Tatsächlich aber wächst die Szene immer weiter und jetzt aktuell die Verschwörungstheoretiker werden diese rechtsextremen Reihen wahrscheinlich in Zukunft noch zusätzlich verstärken. Wieso wird diese Gruppierung in der Gesellschaft eigentlich immer größer?
Wagner: Das Problem ist da natürlich, dass ich persönlich, aber auch ein großer Teil der Personen, die in der Wissenschaft aktiv sind, aber auch in der gesellschaftlichen Praxis agieren gegen Rechtsextremismus, tatsächlich sich auf einen Begriff des Extremismus stützen, das heißt nicht auf einen Begriff Rechts, sondern auf den Betriff Rechtsextremismus. Insofern muss man natürlich genau analytisch umreißen, welcher Personenkreis in der Gesellschaft tatsächlich rechtsextrem ist und welcher nicht. Hier gibt es ganz klare verfassungsrechtliche und auch durch die Gerichtsbarkeit festgelegte Kriterien. Von denen aus gemessen muss man natürlich dann also auch das Volumen der Personen, die rechtsextrem sind, bestimmen und natürlich auch die unterschiedlichen inhaltlichen Qualitäten der rechtsextremen Bedrohung spezifizieren. Das ist bisher meines Erachtens noch nicht ausreichend erfolgt, sodass die pauschale Aussage, dass es sich jetzt tatsächlich um einen rasanten Anstieg des Rechtsextremismus handelt, immer noch zu hinterfragen ist.
Adler: Das heißt, verstehe ich Sie richtig, dass mehr als rechtsextreme Kräfte bezeichnet werden, als die diese Definition eigentlich kriegen müssten?
Wagner: Das sehe ich ganz genau so, dass hier eine Ausweitung des bisher über 20, 30 Jahre bundesrepublikanischer Geschichte definierten Rechtsextremismus passiert und man muss in der Tat sehr vorsichtig sein mit der Extensivierung eines solchen Begriffs. Es geht hier immer um Verfassungsfeindlichkeit, das heißt um eine vorsätzliche freiheitsfeindliche Haltung, die sich gegen Grundrechte, gegen das Grundgesetz insgesamt richtet und eine andere Gesellschaftsordnung will. Nicht jeder, der Elemente bestimmter Ideologien aufnimmt, muss automatisch damit gleich ein Rechtsextremist sein.
Schatten von Menschen, Text: Rechtsextremismus
Rechtsextremismus - das Dossier zum Thema (dpa / Martin Schutt)
"Kalbitz' Vita außerordentlich erklärungsbedürftig"
Adler: Wenn wir jetzt einmal durchdeklinieren, wer gehört zu dieser Gruppe der Rechtsextremisten, wer nicht – fangen wir an mit der AfD, fangen wir an mit dem Fraktionsvorsitzenden der Brandenburger AfD, Andreas Kalbitz. Ist Herr Kalbitz in Ihren Augen ein Rechtsextremist?
Wagner: Die Frage muss man grundsätzlich anders stellen. Rechtsextrem ist in der Bundesrepublik Deutschland, die ja ein Rechtsstaat ist, derjenige und auch diejenige Organisation, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz, aber auch durch die anderen Landesämter für Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst aktiv beobachtet werden, das heißt ein rechtlicher Beschluss, eine verwaltungsrechtliche Entscheidung vorliegt, dies zu tun. Damit ist gegeben, dass diese Person auch als Rechtsextremist in Verfassungsschutzberichten geoutet werden kann, das heißt also auch die Organisation in einen solchen Bericht reingeschrieben werden kann. Das heißt, sie sind in der Öffentlichkeit markiert als Rechtsextremisten. Alle anderen Personen können allenfalls – ebenso wie Organisationen – Prüffälle sein. Da haben wir ja einige bisher auch in den letzten Tagen und Wochen und Monaten erlebt, die dann in diesem Kreis der Nähe zur Verfassungsfeindlichkeit geraten sind durch ihr aktives Tun, durch ihre öffentlichen Äußerungen und Taten. Und insofern ist natürlich die Causa Kalbitz in diesen Kontext einzuordnen.
Adler: Die Landtagsfraktion hat sich nicht von Kalbitz verabschieden wollen. Hat damit die Fraktion im Grunde genommen dem Verfassungsschutz ein weiteres Argument dafür geliefert, dass man die AfD unter Beobachtung stellen muss?
Wagner: Das ist ohne Zweifel richtig und ich denke einmal, dass die Vita von Herrn Kalbitz außerordentlich erklärungsbedürftig ist. Ich selber habe ja auch mit etlichen Aussteigern aus der eben als relevant vorgeworfenen "Organisation Heimattreue Deutsche Jugend" erleben dürfen und ich weiß auch, dass es eine hochmilitante neonazistische Organisation ist und wer sich dort aufgehalten hat, egal aus welchen Gründen, wenn es nicht journalistische, verdeckte journalistische Gründe waren, ist für mich hoch fragwürdig und auch politisch erklärungsbedürftig, wenn man nicht tatsächlich dort eine echte Begründung nachschieben kann. Insofern halte ich auch Herrn Kalbitz für hochrelevant in der Bewertung, ein Rechtsextremist zu sein oder gewesen zu sein. Gleichsam ist natürlich auch das Bekenntnis zu Herrn Kalbitz genau in dieser Problemlage auch dann für den Verfassungsschutz relevant. Also, wenn man sich dort Herrn Kalbitz als Prüffall, weil AfD ist Prüffall, anschaut, dann muss natürlich das entsprechende Bundesamt oder auch das Landesamt Brandenburg zur Schlussfolgerung geraten, ist Herr Kalbitz ein Extremist oder ist er keiner. Das muss jetzt entschieden werden.
imago images / Martin Müller  Andreas Kalbitz (parteilos, bisheriger AfD-Landes- und Fraktionschef) spricht nach einer Sondersitzung der AfD-Landtagsfraktion auf einer Pressekonferenz zu dessen Verbleib in der Fraktion nach Partei-Rauswurf durch den Bundesvorstand, Landtag Brandenburg, Potsdam, 18. Mai 2020. Brandenburg: Andreas Kalbitz bleibt Mitglied der AfD-Landtagsfraktion *** Andreas Kalbitz non-partisan, former AfD state and faction leader speaks after a special session of the AfD state parliament faction at a press conference on his whereabouts in the faction after party expulsion by the Federal Executive Committee, Landtag Brandenburg, Potsdam, 18 May 2020 Brandenburg Andreas Kalbitz remains member of the AfD state parliament faction
Kommentar - Rechtsextreme Netzwerke in der Ost-AfD
Der bisherige Brandenburger AfD-Chef Andreas Kalbitz bleibt trotz Rauswurf aus der Partei Mitglied der Landtagsfraktion. Dies zeigt, dass der rechtsextreme "Flügel" in der Partei lebendiger denn je ist, meint Christoph Richter.
Zweifel, ob gesamte AfD als rechtsextrem einstufbar ist
Adler: Was heißt das eigentlich für die politische Diskussion? Wird der nächste Schritt sein, dass man die gesamte Partei dann als nicht mehr demokratisch, nicht mehr auf dem Boden der Verfassung stehend einschätzen muss?
Wagner: Das Problem ist, dass eine solche Festlegung ein Rechtsakt ist und dieser Rechtsakt muss natürlich gerichtlich beweisfest sein und da hege ich meine Zweifel, dass das in toto für die gesamte AfD zutrifft. Wir haben Pleiten, Pech und Pannen erlebt im Zusammenhang mit den verschiedenen Bemühungen, die NPD zu verbieten. Sie wissen selbst, wie schwierig sich das gestaltet hat, zumal auch noch einmal vor dem Hintergrund der europäischen Gerichtsbarkeit, die ja auch bei der NPD gewisse Hürden errichtet hat, die nicht so einfach zu schleifen sind. Nun ist es hier kein Verbotsverfahren, eine Einstufung der AfD als rechtsextrem zu bewirken, aber es sind doch Prüfkriterien. Es gibt in der Geschichte der Bundesrepublik ja verschiedene Fälle, wo Verfassungsschutzmaßnahmen aufgehoben wurden wie bei den Republikanern, die sich also durch alle Gerichtsbarkeiten geklagt haben und kein einziger Landesverband der Republikaner bisher noch beobachtet werden darf.
Adler: Herr Wagner, Sie führen quasi ein Leben lang als ehemaliger Polizist, als Kriminologe den Kampf gegen Rechts. Das, was wir beobachtet haben oder was wir gerade aktuell beobachten, wenn wir jetzt diese sogenannten Hygienedemonstrationen sehen, wenn wir sehen, dass wir es mit den Reichsbürgern zu tun haben, mit den sogenannten Identitären - muss Sie das nicht entmutigen, wenn Sie sehen, dass diese Szene immer größer statt kleiner wird?
Wagner: Die Frage ist sehr interessant. Ich selber bin eher erstaunt, dass man diese Entwicklung nicht auf politischer Seite rechtzeitig prognostiziert hat. Hier ist es eher ein analytisches Problem, sich nicht ausreichend, das ist meine Kritik, nicht ausreichend am Thema bewegt zu haben. Man hat es also eher auf der Schlagwortebene verhandelt und des Entsetzens zur Kenntnis genommen, dass es Gewaltakte gab, aber ernsthafte wirkliche Analytik zum Thema ist doch recht spärlich anzutreffen und nun steht man jetzt vor der Situation, dass sich hier etwas entwickelt, was man schon vorher besser hätte kommen sehen können.
"Demokratie hat sich vom Bürger entfernt"
Adler: Jetzt fasse ich einmal zusammen: Sie beklagen nicht, dass nur geredet, aber nicht gehandelt wird, sondern dass falsch analysiert wird. Und zu welcher Analyse kommen Sie, wenn Sie den Kampf gegen Rechts führen? Was wird sozusagen versäumt in der Gesellschaft?
Wagner: Mein Grundvorwurf ist der, dass die Demokratie sich vom Bürger, von den Bürgern allgemein deutlich entfernt hat. Das heißt, dass hier ein Entfremdungszustand eingetreten ist, der übrigens nicht nur in Deutschland anhält, sondern auch in Europa, aber auch darüber hinaus in anderen Teilen der Welt sich abspielt und der politische und mediale Apparat geht immer weiter von den tatsächlich arbeitenden Menschen grundsätzlich weg. Und das ist meines Erachtens das Grundproblem. In der Lage gefällt sich Politik oft darin, als Gärtner aufzutreten, also das Gute zu pflegen und das Böse wegzuhacken. Der polnische Philosoph Zygmunt Bauman hat das ja eindrücklich auch in seinen Schriften beschrieben. Das merken natürlich auch sehr, sehr viele Menschen und reagieren damit auch zum Teil unangemessen auf diese grundsätzliche Lage.
Adler: Das Versäumnis, das die Politik da begeht, ist mir noch nicht so richtig klar. Können Sie es noch konkreter machen?
Wagner: Das Problem ist die Entfremdung zwischen Politik und den Leuten, die nicht in der Politik sind, sich von der Politik vertreten sehen sollten und sie fühlen sich nicht mehr ausreichend in ihren Angelegenheiten vertreten und merken, dass sie eigentlich zwar formell teilhaben können, aber inhaltlich nicht mitgestalten dürfen.
Adler: Herr Wagner, der Staat schränkt im Moment bürgerliche Freiheiten ein eben im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Würden Sie sagen, dass die Arbeit der Behörden insgesamt derzeit intransparenter ist?
Wagner: Ich sehe in der Arbeit der Behörden einerseits segenreiches und sehr engagiertes Tun, gleichsam gibt es allerdings auch die Probleme, dass Behörden nicht ausreichend funktional handeln. Beispielsweise sind natürlich Versagungen von Demonstrationen durchaus heikel oder auch bestimmte Limitierungen. Also, hier gibt es andere, also auch versammlungsrechtliche Gestaltungsspielräume, die ich sehe, um dem Freiraum des Grundgesetzes Genüge zu tun und nicht in einem sozusagen repressiven Hof sich aufzuhalten. Also, hier ist durchaus vieles gestaltbarer, besser zu lösen und da sehe ich große Probleme, weil das tendenziell tatsächlich Probleme verursachen wird und auch in der Stimmungslage der Zukunft sich durchaus nicht positiv auswirken wird. Also hier muss noch viel mehr getan werden, um sozusagen die Erfordernisse der Gesundheitssicherung mit denen des Freiraums und den Grundrechten insgesamt in Übereinstimmung zu bringen. Es kann nicht sein, dass ein Infektionsgeschehen sozusagen eine ganze Gesellschaft auch auf der politischen Ebene brachlegt.
Rechtsextreme auf Hygienedemos
Adler: Wenn Sie jetzt die sogenannten Hygiene-Demonstrationen anschauen, sehen Sie da Ihre zukünftigen Klienten, weil sich da ja doch ziemlich viel nicht nur Verschwörungstheoretisches mischt, sondern auch Rechtsextremes, Linksextremes?
Wagner: Diese Demos sind natürlich durchaus auch Kommunikationsräume, in denen sich Rechtsextremisten hineinbegeben und natürlich auch versuchen, Stimmung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu machen, die tatsächlich nichts Gutes im Schilde führen, die natürlich also auch unter der Formel dem Verhandeln der Freiheit laufen und eigentlich das Gegenteil von dem bewirken wollen. Und da sehe ich da schon Zuwächse. Da sehe ich auch Probleme und es reicht einfach nicht aus, sich nur jetzt hinzustellen und dies zu konstatieren, wie einige Ämter das tun, und zu lamentieren, sondern hier geht es genau, herauszufiltrieren, wer ist das, welche Organisationen sind tatsächlich dann relevant in dieser Richtung, wer kommuniziert mit diesen Menschen, in welcher Weise. Das ist natürlich auch ein Lehr-Feld, was leider da ist. Nur eine Ablehnungsfront alleine wird auf Dauer angesichts der Gesamtlage nicht reichen.
Adler: Wie verändert die Pandemie gerade auch Ihre Arbeit mit der Ausstiegsorganiation? Beobachten Sie, dass Rechtsextreme in dieser Coronakrise vielleicht auch über ihre eigene Situation gründlicher nachdenken? Also mit anderen Worten, gibt es mehr Aussteigewillige in diesen Wochen?
Wagner: Was wir feststellen, ist eigentlich, dass sich sozusagen eine größere Anzahl von Menschen jedes Jahr aus der Szene heraussondert, das heißt also, sie mitbekommen, dass sie in einem falschen Film mitspielen, politisch, gesellschaftlich, persönlich, und sich dann von dieser Szene abwenden. Das heißt, was aber auffällig ist, dass wir immer mehr Personen haben, die bei uns anrufen und ihre Problematik infrage stellen. Also, sie sind durchaus angeregt, angeturnt von bestimmten verschwörungstheoretischen Ideen, die nicht alle für sich jetzt rechtsextrem sind, die aber auch rechtsextreme Ideologieteile in sich haben, die aber teilweise auch echte Rechtsextremisten sind und bei uns nachfragen, wie sie damit umgehen sollen. Also, es gibt ein Bedürfnis, sich mit Kritikern auszutauschen und das ist mehr geworden, und natürlich auch ihr verwandtschaftliches Umfeld ist von der Zahl her deutlich mehr präsent bei uns an den Telefonen und per E-Mail als zum Beispiel noch vor einem Jahr.
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Adler: Sie haben ja in diesen 20 Jahren Ihres Bestehens über 750 Rechtsextremen beim Ausstieg geholfen. Das klingt ja nach einem Erfolgsrezept. Trotzdem haben wir das im vorherigen Jahr beobachtet, dass Sie um Ihre Weiterfinanzierung zittern mussten, dass das überhaupt nicht so klar war, dass die Politik Ihr Projekt weiter finanziert. Wer hat da was falsch gemacht?
Wagner: Wer hat da was falsch gemacht, ist eine gute Frage. Ich denke mal, wir haben seit Jahren, und das ist ja auch durchaus anerkannt worden durch sehr unterschiedliche politische Personen und Institutionen, dass wir eine gute Arbeit geleistet haben und auch einen guten Beitrag zur Extremismusbekämpfung respektive der Gewaltabwehr und auch des Opferschutzes dargeboten haben. Deswegen ist mir völlig unverständlich, dass aus dem ministeriellen Raum, vor allem auch einem SPD-geführten, auf den Antifaschismus pochenden Ministerium dann solche strategische Entscheidung gefällt wurde auf der Bundesebene, die Deradikalisierung abzuschaffen.
Adler: Nämlich welches Ministerium?
Wagner: Das ist das Bundesjugendministerium, Familien, Jugend, Senioren und Frauen. Das liegt in der Hand der SPD und das wundert mich. Angesichts der ansonsten auch sehr deutlich tönenden Sprache dieser Partei in Sachen Antifaschismus wundert es uns alle sehr. Wir können das bis heute immer noch nicht so richtig begreifen, was da eigentlich inhaltlich passiert ist.
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Adler: Zu Ihrem Konzept, zum Exit-Konzept gehört, dass Sie auf die Rechtsextremen durchaus auch selbst zugehen, sie nicht einfach in ihrer Ecke stehenlassen und mit dem Finger auf sie zeigen. Würden Sie sagen, nach 20 Jahren Arbeit, dass sich dieser Ansatz als richtig erwiesen hat?
Wagner: Ich denke, dass die generelle strategische Orientierung auf Deradikalisierung Sinn macht. Das ist nicht nur in Deutschland nachgewiesen, das ist auch in anderen europäischen Staaten, aber auch in Übersee nachgewiesen. Immer mehr Sicherheitsbehörden setzen auch auf Deradikalisierungsstrategien. Es ist vom Rechtsextremismus kopiert auch in der Auseinandersetzung mit dem Islamismus respektive dem Salafismus durchaus gang und gäbe. Deswegen ist mir völlig unverständlich, warum eigentlich ein Vorreiter wie Deutschland seine wirklich gute Installation so im Jahr 2020 preisgegeben hat und eigentlich auch nur mit Weh und Ach bis zum Jahr 2022 weiterführen will, währenddessen andere Projekte also weit darüber hinaus eine Zukunft haben. Also, mir leuchtet das insgesamt inhaltlich nicht ein, gerade weil die Deradikalisierung neben der Stärkung der Demokratie als sozusagen alternierender Raum zu Extremismus, zu Rechtsextremismus ja sehr wichtig ist. Wir sprechen ja immer von einem grundsätzlichen Zwei-Säulen-Konzept, wo Demokratiestärkung und Deradikalisierung also gleichermaßen einen Platz haben und das nicht nur ein Blinddarm, ein Wurmfortsatz eines politisch schicken Programms sein soll.
"Rechtsextremen eine Perspektive bieten"
Adler: Wer gegen Rechtsextremismus kämpft, der muss umgekehrt selbst ja auch Aussteigewilligen zu verstehen geben, dass sie wieder in der Mitte der Gesellschaft aufgenommen werden. Finden Sie, dass es genügend Signale aus der Gesellschaft gibt, dass man bereit ist dazu?
Wagner: Also, ich denke, dass die Signale verstärkbar sind, aus der Gesellschaft heraus Rechtsextremisten, die aufhören, gegen den demokratischen Verfassungsstaat zu kämpfen, eine Perspektive zu geben. Wir haben in der Tat zwei grundsätzliche unterschiedliche Haltungen. Die einen setzen darauf, dass man Ausstieg gestalten kann, auch positiv gestalten kann. Der Nachweis ist erbracht. Dann gibt es natürlich auch eine sehr große Gruppe von Personen, die in bestimmten politischen Spektren insbesondere anzutreffen sind, die auf Ausgrenzung und Gewalt setzen wollen, und das ist ein falscher Weg. Also, ein intelligenter demokratischer Verfassungsstaat setzt einiges darauf, seine Feinde wieder in seinen eigenen Bereich zurückzuholen. Das heißt also, ein positives Arrangement mit diesen Leuten zu treffen, das ist ja genau das Ziel des Ausstiegs, den Abschied von der Ideologie, den Abschied von der extremistischen Politik zu bewirken. Das schafft man mit Ausstiegsinitiativen, das schafft man mit Deradikalisierung durchaus. Da muss natürlich die Anstrengung aus meiner Sicht, aus der Sicht bei unseren Kollegen verstärkt werden.
Adler: Sie beobachten die Szene ja bundesweit. Nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten oder der Mordserie in den Shisha-Bars von Hanau ist Hessen stark in den Fokus gerückt. Würden Sie sagen, dass es Bundesländer gibt, die ein stärkeres Problem mit der rechtsextremen Szene haben als andere?
Wagner: Das Problemfeld lagert in den verschiedenen Bundesländern von der Grundqualität her gleich. Es gibt natürlich Bundesländer, die ein verstärktes Gewaltaufkommen, aber auch eine größere personelle Dichte von Rechtsextremisten aufweisen. Insofern ist das natürlich dann auch Gegenstand für die Kräfte, die dagegen aktiv an vorderster Stelle etwas tun. Das heißt, man muss sich dieser Unterschiedlichkeit der Lage jeweils gewahr sein, aber es gibt natürlich auch Verflechtungen auf der gesamten Bundesebene, aber auch ins Ausland hinein, die von hoher Militanz geprägt ist und hier muss natürlich bundeseinheitlich auch diese Szene im Blick behalten werden, dass man natürlich rechtzeitig Absichten notfalls und dann auch primär mit repressiven Mitteln bewirken kann.
Neuanfang in den USA für deutschen Neonazi-Aussteiger
Mehr rechtsextreme Gefährder, der Mord an Walter Lübcke, der Anschlag von Halle: Die Gefahr durch rechte Gewalttäter treibt die Republik um. Ein Element im Kampf gegen Rechts sind Aussteigerprogramme. In den USA lebt ein deutscher Ex-Neonazi, der aus der rechten Szene ausgestiegen ist.
Rechtsextremismus in der DDR
Adler: Wir begehen ja in diesem Jahr den 30. Jahrestag der Deutschen Einheit. Es gibt nicht wenige Stimmen, die meinen, dass das Problem des Rechtsextremismus in den östlichen Bundesländern erst nach der Deutschen Einheit aufgekommen ist. Was blenden diejenigen aus, die so etwas behaupten?
Wagner: Ich denke, dass die Menschen, die dieses so festhalten, eigentlich auf einem Holzweg sind und die Realität nicht ernsthaft aufgearbeitet haben. Also, ich selber und auch einige andere Leute in der Wissenschaft, die sich also schon langjährig mit dem Thema beschäftigen, wissen, dass es in der DDR quer durch die Geschichte dieses Staates Rechtsextremismus gab. Ich selber habe meine ersten Kontakte in der DDR mit Rechtsextremisten 1974 gehabt. Da ging es um durchaus schwere Gewalt gegen Andersdenkende, wo dann letztendlich auch der Staat repressiv eingreifen musste, und das zog sich also sozusagen durch meine Biografie, aber auch durch die Biografie vieler anderer. Das Problem war, dass eigentlich in den 80er-Jahren parallel zur Stagnation und Verfall dieses Systems sich ein durchaus starker, auch in die Bundesrepublik hineinschiebender rechtsextremer Block ergeben hat, das heißt also, vor allem Neonazionalsozialisten, die Zellen gebildet hatten, die untereinander sogar unter Repressionsbedingungen der Staatssicherheit und der Polizei vernetzt werden konnten, vom Fichtelberg bis Cap Arcona und von da aus natürlich das militante Potenzial der Bundesrepublik Deutschland, was es dort auch gab, relativ zügig vereinigte und dann schon 1990/91 eine Gewaltwelle in Deutschland inszenierten gegen Asylbewerber.
Adler: Ist das Problem des Rechtsextremismus in der DDR möglicherweise nur deshalb nicht so präsent, weil darüber ja nicht offen gesprochen wurde?
Wagner: Das hatte natürlich seine Bewandtnis darin, dass die politisch Herrschenden damals, vor allen Dingen das Politbüro und Teile des Zentralkomitees der SED ja nicht daran rütteln lassen wollten, dass die Lebenslüge, die viele Politiker damals beherrscht hat, dass die DDR ein antifaschistischer Staat sei, da nicht mehr greifen konnte. Also, wenn man den Rechtsextremismus anerkannte und das alles nicht nur alleine aus westlicher medialer Intervention heraus erklärt werden konnte, hätte man doch kritische Fragen an das eigene System stellen müssen und das wollte man nicht haben. Deswegen musste man darüber schweigen. Also, was man nicht haben will, verschweigt man einfach. Das war die beste propagandistische Schiene, damit umzugehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.