Montag, 29. April 2024

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Rechtspolitische Sprecherin der Grünen
Oppermanns Rechtsverständnis ist "sehr irritierend"

Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Katja Keul, kritisiert die Äußerungen Thomas Oppermanns (SPD) in der Edathy-Affäre. Dass er keinerlei Unrechtsbewusstsein über den Anruf beim BKA zeige, sei sehr irritierend, sagte sie im Deutschlandfunk.

Katja Keul im Gespräch mit Friedbert Meurer | 17.02.2014
    Friedbert Meurer: Die Große Koalition erlebt wohl ihre erste ganz große Belastungsprobe. Nach nur zwei Monaten musste ein Minister zurücktreten: Hans-Peter Friedrich von der CSU. Viele in seiner Partei scheinen stink sauer zu sein. Alle anderen handelnden Personen in der Affäre seien doch von der SPD, aber bisher hat sie nur den Kopf eines CSU-Politikers gekostet. In der CDU scheint, die Stimmung ein wenig maßvoller zu sein. Jedenfalls hört man hier weniger oder nichts von Rachegelüsten gegenüber dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann. Morgen früh werden die drei Parteichefs, Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer, unter sechs Augen darüber beraten. Der Koalitionsausschuss, in dem ein größerer Personenkreis vertreten ist, ist dafür eigens abgeblasen worden.
    Wer Bundeskanzlerin Angela Merkel kennt, der dürfte ahnen, dass sie vermutlich wenig Interesse daran hat, dass sich CSU oder auch CDU und SPD wegen des Rücktritts von Hans-Peter Friedrich tagelang in den Haaren liegen. Sie selbst, die Bundeskanzlerin, will von der ganzen Angelegenheit ja nichts gewusst haben. Sie soll anders als Sigmar Gabriel nicht im Oktober vorab vom damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich informiert worden sein.
    Bei all den Auseinandersetzungen bleibt noch eine wichtige Frage: Was ist eigentlich mit Sebastian Edathy selbst? Der Mann hat keine Straftat begangen. Jedenfalls konnte ihm bisher keine nachgewiesen werden. Trotzdem redet die ganze Welt und auch wir über ihn. Die Karriere ist beendet, sein Ansehen zerstört. Edathy selbst beschwert sich im "Spiegel" heftig über die Art und Weise, wie die Staatsanwaltschaft Hannover gegen ihn vorgegangen sei. Katja Keul ist rechtspolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen im Bundestag, hat übrigens den gleichen Wahlkreis wie Sebastian Edathy, nämlich in Nienburg in Niedersachsen. Guten Tag, Frau Keul!
    Katja Keul: Schönen guten Tag, Herr Meurer.
    Meurer: Ist das Verhalten der Staatsanwaltschaft Hannover gegen Edathy ungeheuerlich? So nennt er das.
    Keul: Ich würde sagen, da muss man erst mal trennen. Es stellen sich natürlich noch jede Menge unbeantwortete Fragen, auch was den Bereich Staatsanwaltschaft Hannover betrifft. Die werden sich jetzt auch fragen, haben sie möglicherweise einen Verräter in den eigenen Reihen und Ähnliches. Das müssen sie selber aufklären. Aber eins muss man mal klarstellen: Dass überhaupt in so einem Fall aufgrund eines Anfangsverdachts Ermittlungen eingeleitet werden, ob sich jemand strafbar gemacht hat oder nicht, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Insofern kann ich da die Aufregung nicht nachvollziehen. Es wäre umgekehrt ein Skandal, wenn ausgerechnet bei einem Bundestagsabgeordneten dann nicht ermittelt würde. Denn ob sich jemand strafbar gemacht hat oder nicht, darüber will ich jetzt auch hier gar nicht spekulieren, steht am Ende der Ermittlungen und naturgemäß nicht am Anfang.
    Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft "ungewöhnlich"
    Meurer: Eine andere Frage wäre dann: Musste die Staatsanwaltschaft eine Pressekonferenz geben und alles sozusagen brühwarm an die Öffentlichkeit mitteilen?
    Keul: Ich sage ja: Das ist eine andere Frage, die sich stellt. Das müssen die wissen. In der Tat war diese Pressekonferenz durchaus ungewöhnlich.
    Meurer: Warum glauben Sie ist die Staatsanwaltschaft so in die Offensive gegangen?
    Keul: Die Staatsanwaltschaft, da kann man sich vorstellen, dass das für die auch erschütternd ist, festzustellen, dass sie eigentlich die Letzten sind, die Akten auf dem Tisch haben, während die ganze Politikszene über den Fall schon informiert wird und informiert ist. Von daher befanden die sich jetzt auch in einer außergewöhnlichen Situation. Ich will das jetzt nicht bewerten, ob diese Pressekonferenz so oder anders hätte stattfinden müssen. Das muss letztlich die Staatsanwaltschaft beantworten.
    Meurer: Es gibt da einige Ungereimtheiten. Zum Beispiel sagt die Staatsanwaltschaft in Hannover: Wir haben beim Bundestag beantragt, die IT-Daten von Sebastian Edathy zu sichern und sein Büro zu versiegeln, und dann sagt die Bundestagsverwaltung, das hören wir jetzt zum ersten Mal. Welchen Reim machen Sie sich darauf?
    Keul: Da kann ich im Augenblick noch gar nichts zu sagen. Ich kenne diesen Vorfall jetzt auch nur so, wie Sie ihn schildern, aus der Presse und will mich da nicht in Spekulationen ergehen.
    Meurer: Da Sie gerade in den Raum gestellt haben, da könnte ein Leck in der Staatsanwaltschaft in Hannover gewesen sein - wenn man sich überlegt: 6. Februar geht ein Brief von der Staatsanwaltschaft Hannover Richtung Bundestag nach Berlin, mit dem Antrag, wir wollen durchsuchen, 7. Februar, ein Tag später, erklärt Edathy seinen Rücktritt und dass er sein Mandat aufgibt. Ist das ein Hinweis, dass die undichte Stelle in Hannover ist?
    Keul: Auch das sind im Moment Spekulationen. Der Zeitablauf macht es jedenfalls durchaus wahrscheinlich, dass es einen solchen Hinweis gegeben hat. Aber wer, aus welcher Szene und aus welcher Richtung der gekommen ist, das müssen letztendlich die Justizbehörden, die ja jetzt auch offiziell deswegen ermitteln, selber herausfinden. Das ist nicht das, was wir hier im Parlament in Berlin zu klären haben, sondern das haben die Justizbehörden zu klären.
    Meurer: Frau Keul, wie gut kennen Sie Sebastian Edathy?
    Keul: Ich kenne Sebastian Edathy, weil wir vier Jahre zusammen den gleichen Wahlkreis betreut haben.
    Meurer: Wie haben Sie ihn erlebt in der Zeit?
    Keul: Zu mir persönlich war Herr Edathy immer einwandfrei und fair. Mehr möchte ich da jetzt auch an der Stelle nicht sagen.
    "Sehr irritierend, was sein Rechtsverständnis betrifft"
    Meurer: Dann vielleicht den Blick nach Berlin. Vor allen Dingen im Fokus steht ja jetzt der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann. Fordern Sie seinen Rücktritt?
    Keul: Wir fordern derzeit keinen Rücktritt, zumal es sich ja um den Fraktionsvorsitzenden der SPD handelt und die SPD selber wissen muss, wen sie zum Fraktionsvorsitzenden macht. Das ist nicht unsere Aufgabe. Aber in der Tat sind die Äußerungen, die er gemacht hat, sehr irritierend, was sein Rechtsstaatsverständnis betrifft, und wir erwarten von ihm, dass er sich am Mittwoch unseren Fragen im Innenausschuss stellt, und davon wird natürlich viel abhängen. Aber diese Gelegenheit soll er auf jeden Fall haben. Bislang habe ich noch keine plausible Erklärung für sein Verhalten gehört.
    Meurer: Mit welchen Äußerungen Oppermanns haben Sie vor allen Dingen Probleme?
    Keul: Mit der Tatsache, dass er überhaupt kein Unrechtsbewusstsein zeigt, was diesen Anruf beim BKA betrifft, als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre, dass man als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer mal eben Gerüchte über Kollegen bei den Kriminalbehörden sich bestätigen lässt. Das ist schon sehr irritierend und er hält ja daran fest, dass das mit seiner Fürsorgepflicht zusammenhinge. Da muss ich sagen, ich bin auch selbst Parlamentarische Geschäftsführerin: Von so was habe ich noch nicht gehört, dass das zum Aufgabenbereich eines Parlamentarischen Geschäftsführers gehören würde.
    Informationen aus Ermittlungen weitergeben: "Das geht nicht"
    Meurer: Und seine Verteidigung oder sein weiteres Argument, dass er sagt, ich bin ja im Oktober davon ausgegangen, wir reden hier nicht über staatsanwaltschaftliche Ermittlungen?
    Keul: Ich sagte ja bereits: Ob etwas am Ende strafbar ist oder nicht, das steht nicht am Anfang fest, sondern am Ende. Und egal ob es da Zweifel dran gibt oder nicht, ist das kein Argument, dass Informationen aus einer laufenden Ermittlungsakte - und darum handelt es sich ja - hier an die interessierte Öffentlichkeit weitergegeben werden können, mit der Begründung, na ja, wahrscheinlich ist das ja sowieso alles nicht irgendwie strafbar. Das geht nicht.
    Meurer: Katja Keul, die rechtspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, zur Affäre rund um Sebastian Edathy und Hans-Peter Friedrich und Thomas Oppermann. Schönen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören!
    Keul: Ich danke Ihnen, Herr Meurer. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.