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Referendum könnte den Sudan spalten

Am 9. Januar stimmen die Sudanesen über die Abspaltung des christlichen Südens vom arabischen Norden ab. Ekkehard Forberg erwartet zwar nicht einen erneuten Bürgerkrieg - warnt aber davor, den ölreichen Sudan alleine zu lassen.

Ekkehard Forberg im Gespräch mit Gerwald Herter | 30.12.2010
    Gerwald Herter: Nachrichten aus dem Sudan, dem größten afrikanischen Staat, flächenmäßig zumindest – sie sind in den letzten Jahren spärlicher geworden, und das war gut so, denn durch viele Konflikte sind dort Hunderttausende Menschen ums Leben gekommen. Die Regierung hatte sich vor fünf Jahren auf einen Friedensvertrag mit der südsudanesischen Befreiungsbewegung geeinigt, in wenigen Tagen, am 9. Januar, soll ein Referendum über die Unabhängigkeit mehrerer südlicher Provinzen stattfinden. Dort, an der Grenze zu Ländern wie Äthiopien, Kenia oder Kongo, könnte ein Staat aus dem afrikanischen Nichts entstehen. Aber wird das zu einem Frieden führen, der wirklich von Dauer ist? Ekkehard Forberg kann das beurteilen. Er arbeitet für World Vision Deutschland und kennt den Sudan ganz genau. Mit ihm habe ich vor der Sendung gesprochen. Guten Morgen, Herr Forberg!

    Ekkehard Forberg: Schönen guten Morgen!

    Herter: Gehen Sie davon aus, dass sich der Süden tatsächlich vom Norden des Sudan abspalten wird?

    Forberg: Zunächst einmal gehen wir jetzt davon aus, dass dieses Referendum tatsächlich am 9. Januar stattfindet. Es hat längere Zeit nicht danach ausgesehen, weil verschiedene technische Vorbereitungen wie zum Beispiel die Wählerregistrierung lange Zeit nicht stattgefunden haben oder verzögert stattgefunden haben, und jetzt gehen wir aber davon aus, dass dieses Referendum stattfindet.

    Herter: Was sind denn die wichtigsten Gründe für den Willen vieler Menschen im Süden nach Unabhängigkeit?

    Forberg: Nun, der Sudan hat zwei Bürgerkriege hinter sich mit insgesamt mindestens zwei Millionen Toten und vielen Millionen Vertriebenen. Die Gründe für diesen Krieg waren kulturell, religiös, ethnisch, das heißt, der Südsudan orientiert sich eher an Schwarzafrika, religiös, mehr christlich orientiert, der Norden ist eher arabisch geprägt und orientiert sich eher an den Ölstaaten, und durch diese Unterschiede, darüber ist viele Jahre gekämpft worden. Daraus hat sich dann auch dieser Wunsch des Südsudan etabliert, dass sie eben einen eigenen Staat haben möchten, denn ein Grund für den zweiten Bürgerkrieg war, dass der Norden die Scharia etablieren wollte, und das konnte der Süden damals nicht akzeptieren.

    Herter: Also das islamische Recht?

    Forberg: Das islamische Recht. Und darum ging es jetzt auch nicht mehr, seitdem es einen Friedensvertrag seit 2005 gibt, aber dieser Friedensvertrag sieht eben dieses Referendum vor, und der Wunsch der Südsudanesen nach einem eigenen Staat ist noch immer sehr groß.

    Herter: Was könnte denn nun den Norden daran hindern, diese Unabhängigkeit zuzulassen?

    Forberg: Der Norden hat natürlich ein sehr großes Interesse, eigentlich den Staat zusammenzuhalten, wir sehen aber schon, dass es auch inzwischen so aussieht, dass der Norden sich damit abfinden könnte, dass der Südsudan ein eigener unabhängiger Staat wird. Es hat da viel internationalen Druck gegeben. Für den Norden sind aber einige Bedingungen sozusagen gesetzt, die für diese Anerkennung des Resultates, was wir jetzt nicht sagen können, wie dieses Referendum ausgeht, aber wenn es zugunsten einer Unabhängigkeit ausginge, dann denke ich, könnte der Norden das akzeptieren, sofern in den anderen Regionen wie Darfur zum Beispiel oder auch im Osten Ruhe einkehrt und es dort nicht ähnliche Unabhängigkeitsbestrebungen gibt oder die von außen dann auch gefördert würden. Und es ist, glaube ich, für beide, für den Norden und den Süden, ganz wichtig, dass es eine Übereinkunft über das Öl gibt.

    Herter: Weil sich damit viel Geld verdienen lässt?

    Forberg: Eigentlich ist der Norden und der Süden von diesen Öleinkünften abhängig. Der Süden hat gar keine anderen Einkünfte, der Rest ist alles internationales Geld, also von internationalen Gebern, sprich den Vereinten Nationen, aber auch von Gebernationen wie Deutschland, England, Norwegen, USA. Deswegen ist für den Süden das Öl ganz wichtig, die meisten Ölquellen sind auch im Süden, aber das Öl kann nur über den Norden abtransportiert werden. Und der Norden ist eben auch auf diese Einnahmen aus dem Öl angewiesen, er bezieht seinen Reichtum daraus, und das ist zugleich ein Vorteil, dass beide davon abhängig sind, weil dadurch steigen aus meiner Sicht die Chancen für einen Frieden und für ein friedliches Miteinander in den nächsten Jahren, sofern es darüber eine Übereinkunft gibt.

    Herter: Der Staatschef des Sudan, Präsident Baschir, wird mit einem internationalen Haftbefehl gesucht – welche Rolle kann das im Zusammenhang mit dem Referendum spielen?

    Forberg: Das kann ich nicht so genau sagen. Es ist so, dass der Druck sich natürlich dann eher auf den Präsidenten Baschir verschärfen wird, weil er auch keinen Verhandlungsgegenstand mehr hat. Der Südsudan ist dann möglicherweise weg, wenn das Referendum so ausginge, dass eben für eine Unabhängigkeit die Bevölkerung stimmt. Deswegen führt das eher zu größerer Unsicherheit, wie der Norden dann auf diesen Haftbefehl wohl reagieren wird.

    Herter: Fürchten Sie aus genannten Gründen und vielleicht noch anderen, dass die Kriegsgefahr im Sudan jetzt steigt?

    Forberg: Wir gehen davon aus, dass der humanitäre Bedarf in jedem Fall nach dem Ende des Referendums steigen wird. Zurzeit denke ich nicht, dass es zu dem ganz großen Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südsudan wieder kommt. Es sind vielversprechende Verhandlungen auf dem Weg geführt von dem südafrikanischen Präsidenten Mbeki, eben um solche Dinge zu klären, wie die Öleinkünfte in Zukunft aufgeteilt werden, aber wir gehen davon aus, dass an der Grenze es schon zu Scharmützeln kommen kann zwischen dem Nord- und Südsudan. Und es gibt da Gebiete, wo die Grenze bisher nicht definiert worden ist – 80 Prozent der Grenze ist noch nicht markiert worden –, und es gibt Gebiete, die sehr umstritten sind.

    Herter: Sie hören den Deutschlandfunk, die "Informationen am Morgen". Ekkehard Forberg von World Vision Deutschland über die mögliche Spaltung des Sudan und mögliche Konflikte. Herr Forberg, Sie verlangen von der Europäischen Union und der Bundesregierung ein stärkeres Engagement, unter anderem die Hilfe bei der Erstellung von Notfallplänen. Nun findet das Referendum aller Wahrscheinlichkeit nach am 9. Januar statt, sind Sie da nicht etwas spät dran?

    Forberg: Wir haben schon länger gefordert, dass es Notfallpläne gibt. Die Vereinten Nationen haben solche Pläne auch erstellt und einen Topf aufgemacht, in den hineingespendet werden soll, damit Gelder bereitstehen. Die Bundesregierung kann das selber leider nicht tun aus haushaltsrechtlichen Gründen, aber wir denken, dass in jedem Fall nach dem 9. Januar Geld bereitstehen muss eben für humanitäre Notfälle. Etwa wenn es zu solchen kleinen Scharmützeln an der Grenze kommt, aber es gibt auch jede Menge von Flüchtlingen, die jetzt im Zusammenhang mit dem Referendum aus dem Nordsudan in den Südsudan zurückgekehrt sind. Diese sind weitgehend unversorgt, sie werden zurzeit untergebracht in Zentren, wo es aber ganz wenig Nahrungsmittel, Zelte, Decken et cetera gibt. Das heißt, da ist ein großer Bedarf auch jetzt schon, und wir gehen davon aus, dass dieser humanitäre Bedarf in den nächsten Monaten extrem ansteigen wird.

    Herter: Sie haben die deutsche Entwicklungspolitik schon angesprochen im Sudan, offenbar gibt es Gelder, die dorthin fließen, aber ist es eine Entwicklungspolitik, die diesen Namen auch wirklich verdient?

    Forberg: Nun, zunächst einmal muss man anerkennen, dass die deutsche Regierung auch Gelder bereitstellt. Gerade im humanitären Bereich sind diese Gelder normalerweise da, wenn sie gebraucht werden – wir gehen davon aus, dass es auch im kommenden Jahr der Fall sein wird. Die Entwicklungshilfe gegenüber dem Südsudan ist natürlich auch sehr erfreulich, auf der anderen Seite muss man sagen, dass die Administration im Südsudan und insbesondere auch die Polizei zum Beispiel noch sehr schlecht ausgebildet sind, funktionsuntüchtig sind, das heißt, da wäre ein viel größerer Bedarf für Entwicklungshilfe, und deswegen rufen wir auch die deutsche Regierung auf, gerade im Südsudan die Entwicklungshilfe aufzustocken und viel stärker Ausbildung et cetera anzubieten, eben für die lokale Administration, denn viele dieser kleinen Konflikte, die ich schon angesprochen habe, zwischen Hirtenvölkern, zwischen unterschiedlichen Ethnien, die müssen gemanagt werden vor Ort, und dafür bedarf es eben Gerichte, dafür bedarf es Polizei, dafür bedarf es eine funktionierende Administration, und da ist noch ein sehr, sehr großer Bedarf. Der Südsudan war sehr unterentwickelt und ist noch immer sehr unterentwickelt, das heißt, wenn da nicht in den nächsten Jahren sehr viel investiert wird, dann droht ein erneuter gescheiterter Staat.

    Herter: Das war Ekkehard Forberg von World Vision Deutschland über die mögliche Unabhängigkeit des Südsudan. Vielen Dank für das Gespräch!

    Forberg: Bitte schön!