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Reform gegen Kurzzeitverträge
"Im Zweifelsfall vor das Arbeitsgericht ziehen"

Nachwuchswissenschaftler in Deutschland haben jetzt - zumindest auf dem Papier - mehr Planungssicherheit. Der stellvertretende Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Andreas Keller, forderte im Deutschlandfunk die Arbeitgeberseite auf, das neue Befristungsrecht aktiv umzusetzen und kündete den GEW-Mitgliedern Unterstützung bei der Durchsetzung an.

Andreas Keller im Gespräch mit Michael Böddeker |
    Eine Mitarbeiterin hängt eine Stellenausschreibung an der Info-Wand des "Career-Service" in der SRH Hochschule Berlin aus.
    Die Karrierewege für Mitarbeiter an Hochschulen werden mit einer Gesetzesreform etwas verlässlicher. (dpa / picture alliance / Jens Kalaene)
    Michael Böddeker: Sicherheit, die haben die wenigsten jungen Wissenschaftler an deutschen Hochschulen. Die allermeisten hangeln sich ja bislang oft von einem befristeten Arbeitsvertrag zum nächsten. Das soll sich jetzt ändern, denn heute ist sie in Kraft getreten, die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka ist zufrieden und sagt, damit seien Fehlentwicklungen an den Hochschulen korrigiert. Aber es gibt auch Kritik, die Neuregelung sei nicht konkret genug. Zum Beispiel heißt es im Gesetz, Arbeitsverträge für die Zeit nach dem Studium sollen künftig dem Qualifizierungsziel angemessen sein. Aber was genau heißt denn angemessen? Und lässt die Neuregelung vielleicht Schlupflöcher offen? Darüber habe ich mit Andreas Keller von der Bildungsgewerkschaft GEW gesprochen und gefragt: Besteht denn aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass Hochschulen die neue Regelung umlaufen und dass sich am Ende gar nicht so viel ändert?
    Andreas Keller: Die Gefahr besteht in der Tat. Zunächst mal sind wir als GEW froh, dass das Gesetz novelliert wurde. Einige unserer Anregungen wurden aufgegriffen, wenngleich wir uns in vielen Punkten nicht durchsetzen konnten. Aber die Rechtslage hat sich nun für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und auch für andere Beschäftigte deutlich verbessert, wenn das Gesetz auch tatsächlich umgesetzt wird. Etwa das Thema Angemessenheit der Vertragslaufzeit, das Gesetz sieht vor, dass ein Vertrag der Qualifizierung angemessen sein muss. Und aus meiner Sicht ist nun völlig klar, wenn eine Doktorandin oder ein Doktorand eingestellt wird von einer Hochschule auf einen Zeitvertrag, dass dann ein Arbeitsvertrag, der nur ein halbes oder nur ein Jahr dauert, nicht angemessen ist. Und es gibt aber nun vielleicht andere Qualifizierungen, die sich Hochschulen ausdenken, die auch einen kürzeren Zeitraum haben. Und das Entscheidende wird dann sein zu klären, was ist eine Qualifizierung im Sinne des Gesetzgebers und ist dann der Zeitraum angemessen?
    "Die Kontrollmechanismen werden wohl auch genutzt werden müssen"
    Böddeker: Die Angemessenheit ist ein großes Thema. Sehen Sie denn Möglichkeiten, dass man irgendwie allgemeingültig festlegen könnte, welche Befristungen denn für welche Aufgaben angemessen sind? Und wer soll das dann machen?
    Keller: In der Tat stelle ich mir zum einen vor, dass vor Ort an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen sich nun die Leitungen mit den Vertretungen der Beschäftigten zusammensetzen und überlegen, welche Qualifizierungen kommen bei uns typischerweise vor und welche Zeiträume gelten dafür. Und wir haben ja als GEW schon vor einiger Zeit den Vorschlag gemacht, dass sich jede Hochschule einen Kodex Gute Arbeit gibt, wo genau so was geregelt werden könnte. Auf der anderen Seite kann ein solcher Kodex natürlich nicht das ersetzen, was im Gesetz abschließend geregelt ist. Im Zweifelsfall würde also auch ein Arbeitsgericht hergehen und sagen: Moment mal, aus dem Gesetz leitet sich ab, dass nun eine bestimmte Länge beispielsweise für eine Promotion oder Habilitation vorgesehen ist. Also, der Gang zum Arbeitsgericht oder auch die Möglichkeit eines Personalrats, auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu bestehen, die haben wir daneben auch immer noch als Kontrollmechanismus. Und diese Kontrollmechanismen werden wohl auch genutzt werden müssen.
    Böddeker: Das heißt, genau das würden Sie auch Nachwuchswissenschaftlern vorschlagen, falls sie merken sollten, für mich ändert sich fast gar nichts, es bleibt weiterhin prekär?
    Keller: Wir empfehlen unseren Mitgliedern, die einen Zeitvertrag an einer Hochschule haben, jetzt zu ihrem Landesverband zu gehen, sich den Vertrag genau analysieren zu lassen und dann im Zweifelsfall auf Grundlage dieser Rechtsberatung auch durchaus Rechtsschutz, das heißt den Gang zum Arbeitsgericht in Betracht zu ziehen. Jedenfalls dann, wenn ein Arbeitgeber auch stur ist und systematisch das Gesetz umgeht. Dafür gibt es ein Gesetz, dass auch dann alle Beteiligten gezwungen werden können, das Gesetz umzusetzen.
    Böddeker: Gerichte wären also eine Möglichkeit. Aber was könnte man denn noch tun, wenn sich Hochschulen tatsächlich einfach nicht an diese Neuregelung halten und so weiter machen wie bisher? Die Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hat hier bei uns in der Sendung auch schon gesagt, dass sich so ein Fehlverhalten kaum sanktionieren lasse. Also, falls sich die Hochschulen schwertun mit der Umsetzung, was könnte man noch dagegen tun, wenn man nicht gleich zum Gericht gehen möchte?
    Zuckerbrot und Peitsche
    Keller: Zum einen setzen wir darauf, dass die Hochschulen, weil sie auch jetzt unsicher sind von sich aus, das Gespräch mit den gewerkschaftlichen Hochschulgruppen, mit den Personal- und Betriebsräten, den Mittelbauvertretungen suchen und sich auf Standards einigen. Das andere ist aber, dass auch Bund und Länder jetzt gefordert sind, die Hochschulen zu unterstützen, das Gesetz auch wirklich in Geist und Buchstaben umzusetzen, indem sie für eine verlässliche Grundfinanzierung sorgen und zum anderen aber auch gezielte Anreize etwa über den gerade diskutierten Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs setzen, also Hochschulen belohnen, die eine verlässliche Personalentwicklungsplanung betreiben, die für verlässliche Karrierewege sorgen. Alle Hochschulen, die so ein Programm vorlegen, sollten dann auch eine gezielte Förderung etwa für die Einrichtung von Tenure-Track-Stellen bekommen. Das wären Begleitmaßnahmen, die dann deutlich machen, es gibt neben der Peitsche auch noch ein Zuckerbrot für alle Hochschulen, die für anständige Beschäftigungsbedingungen sorgen.
    Böddeker: Zuckerbrot und Peitsche, das empfiehlt Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, damit sich die Hochschulen an die Neuregelungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes halten, und falls nötig auch den Gang zum Arbeitsgericht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.