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Reformation quergedacht
Der Islam beflügelte die Reformation

In Siebenbürgen stießen Luthers Thesen auf großen Widerhall. Der Protestantismus konnte sich auch deshalb schnell durchsetzen, weil der osmanische Einfluss die katholische Gegenreformation schwächte. Heute sind in Rumänien nur noch Reste der evangelischen Volkskirche spürbar.

Von Thomas Wagner | 11.10.2017
    Ein Chor singt: "Gott grüße dich." Erst auf Deutsch, nur wenig später allerdings ... auf Rumänisch – in der evangelischen Kirche der rumänischen Gemeinde Axente Sever, auch bekannt unter dem alten deutschen Namen Fraundorf.
    Auch Pfarrerin Hildegard Servatius-Depner spricht mal auf Deutsch, mal auf Rumänisch – Alltag im Gemeindeleben der evangelischen Kirche in Rumänien. Die hat eine fast so lange Tradition wie die Reformation selbst.
    "Die ersten reformatorischen Zeugnisse sind schon recht früh, 1519, hier in Hermannstadt, in Siebenbürgen, aufgetreten. Es sind Schriften Luthers gewesen, die von Studenten, auch von Händlern gebracht worden sind, die man dann heimlich gelesen hat", so Kirchenrat Stefan Cosoroaba.
    "Ein historischer Treppenwitz"
    Er ist Beauftragter der Evangelischen Kirche Rumäniens für das Reformationsjubiläum. Das alleine hätte aber nicht ausgereicht, um Luthers Lehren in Siebenbürgen durchzusetzen.
    "Nun ist das historisch ja ein Treppenwitz der Geschichte. Die evangelische Kirche in Siebenbürgen existiert wegen des Islams", sagt er.
    Dieser Treppenwitz der Geschichte hängt mit der machtpolitischen Situation Anfang des 16. Jahrhunderts in Siebenbürgen zusammen, das seinerzeit zum ungarischen Königreich gehörte: Immer wieder versuchten osmanische Truppen, die dem Islam angehörten, die Region zu erobern.
    Nach der berühmten Schlacht von Mohacs vom 29. August 1526, "wo fast alle katholischen Bischöfe umgekommen sind, die auch Machthaber im ungarischen Staat gewesen sind" (Cosoroaba), kommt Siebenbürgen unter Kontrolle des islamisch geprägten osmanischen Reiches; die deutschen Siedler durften sich jedoch unter bestimmten Rahmenbedingungen selbst verwalten. Die Osmanen zwangen sie ausdrücklich nicht zum Übertritt zum Islam, forderten dafür aber außenpolitische Loyalität gegenüber den katholischen Habsburgern und Ungarn.
    "Kaum katholische Gegenreformation"
    "Und so konnte die katholische Gegenreformation nicht nach Siebenbürgen eindringen oder nur begrenzt, so dass die evangelischen Gemeinden nicht bekämpft worden sind. Und dadurch hat der Islam – siehe, siehe – zur Fortführung der reformatorischen Existenz in Siebenbürgen beigetragen", so der rumänische Kirchenrat Stefan Cosoroaba.
    Katzendorf, auf Rumänisch Cata, in Siebenbürgen in Transsilvanien.
    Katzendorf, auf Rumänisch Cata, in Siebenbürgen in Transsilvanien. (Carmen-Francesca Banciu)
    Durch diese besondere politische Konstellation war die Reformation in Siebenbürgen, dem heutigen Zentralrumänien, nicht mehr aufzuhalten: 1544 wurde der bekannte Humanist und Gelehrte Johannes Honterus in Kronstadt, dem heutigen Brasov, zum evangelischen Stadtpfarrer ernannt. 1550 beschloss die siebenbürgisch-sächsische Nationsuniversität, ein Zusammenschluss aller relevanten Stände, die flächendeckende Einführung der Reformation; 1553 kam es zur Einsetzung des ersten Bischofs der Evangelischen Kirche Rumäniens. Allerdings:
    "Lustig ist, naja lustig im historischen Sinne, dass die Siebenbürger Sachsen noch zwei Jahre, nachdem sie ihren eigenen reformatorischen Bischof in der Person des Paul Wiener hatten, an das katholische Erzbistum von Gran den Zehnten gezahlt haben. Das heißt: Die Dinge in diesem Reformationsjahrhundert waren manchmal nicht wirklich durchsichtig", sagt der Kirchenrat.
    Im Kleinbus zum Gottesdienst
    Über die Jahrhunderte gewann die evangelische Kirche in Rumänien immer mehr Zulauf. Bis zu 500. 000 Gemeindeglieder gehörten in Spitzenzeiten dazu. Und heute?
    Gut besuchte Gottesdiente und volle Kirchen gelten in Siebenbürgen, also in der Mitte Rumäniens, eher als Ausnahme denn als Regel.
    "Es gibt Gemeinden, wo wir gar keine Mitglieder mehr haben. Andere, wie hier in Fraundorf, wo drei als Gemeindemitglieder eingetragen sind. Aber im Gottesdient hier sind wir immer mehrere, weil ich in einem Kleinbus unterwegs bin. Da fahre ich und hole die Leute ab aus drei anderen Gemeinden. Aber im Nachbardorf sind die Bänke übereinandergestapelt. Und seit Jahren sind wir nicht mehr in der Kirche drin gewesen", erklärt Hildegard Servatius-Depner.
    Sie betreut als Stadtpfarrerin der siebenbürgischen Stadt Medias auch zehn Landgemeinden drum herum betreut. Seit Jahrzehnten schon hat die Evangelische Kirche Rumäniens einen beispiellosen Aderlass erlebt. Und das begann nicht erst nach der rumänischen Revolution 1989, als hunderttausende Siebenbürger Sachsen nach Deutschland ausgewandert sind.
    Die Siebenbürger Sachsen trauten den Versprechen nicht
    "Der Bruch hat sich ja schon länger angekündigt", und reicht, weiß Kirchenrat Stefan Cosoroaba, bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurück: Siebenbürgen wurde damals dem rumänischen Staatsgebiet zugeschlagen.
    "1918 haben die Siebenbürger Sachsen für den Anschluss an Rumänien gestimmt und haben dann Autonomie in Kirchen und Schulfragen zugesagt bekommen."
    Nur: Von Anfang an nahm es der Staat mit der Einhaltung dieser Zusage nicht sonderlich ernst. Nach 1945, als die Kommunisten auch in Rumänien die Macht ergriffen, konnte von ein einer "Autonomie in Kirchen- und Schulfragen" keine Rede mehr sein. Selbst nach der Revolution im Dezember 1989 mochten viele 'Siebenbürger Sachsen', fast alle Mitglied der Evangelischen Kirche, neuerlichen Versprechungen nicht trauen. Die zählte zum Jahreswechsel 1989/90 rund 100.000 Kirchenmitglieder.
    Innerhalb von zwei, drei Jahren sind die auf 20 000 zurückgesunken. Jetzt sind wir irgendwo bei 12. 000."
    Mehr als Liturgie
    Und so muss schon mal der orthodoxe Chor bei einem evangelischen Gottesdienst aushelfen, in Rumänien gehören knapp 90 Prozent der Bevölkerung der Orthodoxen Kirche an; das Verhältnis zwischen Orthodoxen und Evangelischen Gläubigen wird als weitgehend gut beschrieben. Obwohl die Evangelische Kirche Rumäniens von einst einer halben Million Mitglieder auf nunmehr gerade mal 12 000 geschrumpft ist, erfüllt sie in Rumänien eine wichtige Funktion – als Vorreiter bei karitativen und sozialen Projekten. Kirchenrat Stefan Cosoroaba spricht hier von der:
    "Vorbildfunktion in der diakonischen Arbeit. Wir haben eine Erhebung gemacht und sind darauf gekommen, dass wir innerhalb der Evangelischen Kirche in Rumänien rund 70 unterschiedliche Projekte haben. Und manche dieser Institutionen sind einzigartig in Rumänien: Wir haben das erste Kinderhospiz im Rahmen unserer Kirche. Und das liegt an unserem Selbstverständnis, dass wir nicht nur liturgische Kirche sind, sondern dass wir auch einen Auftrag innerhalb der sozialen Gemeinschaft haben."
    Und immerhin: So ganz sachte stoßen die Angebote der Evangelischen Kirche Rumäniens auf eine deutlich größere Resonanz als noch vor einigen Jahren. In vielen deutschen Schulen wird evangelischer Religionsunterricht angeboten. Und dorthin schicken immer mal wieder auch orthodoxe Familien ihre Kinder, in erster Linie, um besser Deutsch zu lernen.
    "Wir wollen keinen bekehren"
    "Wir machen keinen konfessionellen Unterricht in dem Sinne. Wir wollen keinen bekehren. Wir wollen einfach Glauben vermitteln. Wir wollen Bibelkenntnisse vermitteln. Wir singen sehr viel mit ihnen. Und dann sind dann einige, die sagen: Jetzt habe ich so viele Jahre evangelischen Religionsunterricht besucht und ich finde: Evangelische Kirche passt einfach zu mir", sagt Hildegard Servatius-Depner.
    Erstmals also wieder vereinzelt Kircheneintritte statt Austritte – für die Mediaser Stadtpfarerin Hildegard Servatius-Depner ein ermutigendes Zeichen. Und um Mut machen geht es auch bei der Aktion der Evangelischen Kirche in Rumänien zum Reformationsjubiläum: 12 Apfelbäumchen für ein klares Wort. Stefan Cosoroaba:
    "Der Name verrät es schon: Das orientiert sich an dem Luther zugeschriebenen Zitat: Wenn ich wüsste, dass die Welt morgen untergehen würde, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen."
    Apfelbäumchen insofern als Symbol für Mut und Zuversicht in allen Lebenslagen, auch als Ermutigung, die Stimme zu erheben bei Misständen, "weil wir für uns den Wert der Reformation auch herunter gebrochen haben auf die Tatsache, dass Martin Luther immer klar und deutlich zum Tagesgeschehen seine Stimme erhoben hat. Er hat immer Mut gehabt, etwas zu sagen."