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Reformpläne der Bundesregierung
Studentenwerk: Neuer BAföG-Grundbedarf reicht nicht aus

Die BAföG-Erhöhung sei überfällig, aber es seien noch weitere Reformschritte erforderlich, sagte Achim Meyer auf der Heide vom Deutschen Studentenwerk im Dlf. Vor allem Studierende aus der unteren Mittelschicht müssten auch weiterhin viel jobben. Dies gehe zu Lasten des Studiums.

Achim Meyer auf der Heide im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Gasthörer und Studenten der Uni Köln bei einem Vortrag in der Anatomie der Universität zu Köln. | Verwendung weltweit | Geisler-Fotopress / picture alliance
Studierende an der Universität Köln: Note drei für die BAföG-Reform (Geisler-Fotopress / picture alliance)
Stefan Heinlein: Es war 1971 eine der großen Reformen der Regierung Willy Brandt: Die Einführung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, kurz BAföG. Das Gesetz sollte allen begabten Kindern, egal ob aus reichem oder aus armem Elternhaus, die Möglichkeit zum Hochschulstudium bieten. Tatsächlich stieg die Zahl der Arbeiterkinder an den Unis in den Folgejahren deutlich an. Mittlerweile jedoch sinkt die Zahl der Anspruchsberechtigten von Jahr zu Jahr. Die soziale Herkunft droht wieder, über die Chancen für eine akademische Ausbildung zu entscheiden. Deshalb sollen nun die Rahmenbedingungen für die Bundesausbildungsförderung reformiert werden, heute die erste Lesung einer Novelle im Bundestag. Am Telefon ist nun der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerkes, Achim Meyer auf der Heide. Guten Tag!
Achim Meyer auf der Heide: Guten Tag, Herr Heinlein.
Heinlein: Wenn Sie eine Schulnote vergeben könnten für die BAföG-Novelle, welche Note bekommt Anja Karliczek von Ihnen, ein Mangelhaft, ein Befriedigend oder vielleicht sogar ein sehr gut?
Meyer auf der Heide: Nein, Befriedigend.
Heinlein: Was fehlt Ihnen denn für ein sehr gut?
Meyer auf der Heide: Ich würde einen Dreiklang nehmen. Es geht in die richtige Richtung. Es reicht aber nicht und es sind weitere Reformschritte erforderlich. Richtige Richtung heißt, die Erhöhung ist natürlich überfällig. Reicht nicht: Wir haben seit langer Zeit doch zu wenig erhöht, und das führt zum Beispiel gerade bei den Elternfreibeträgen dazu, die ja richtig dick erhöht werden, um 16 Prozent, dass die Ausgangsbasis so schlecht ist. Ich erinnere nur daran, dass 2016 sieben Prozent keine Erhöhung, sondern nur eine Abschwächung des Rückgangs der Geförderten, aber einen weiteren Rückgang mit sich gebracht haben. Das heißt, hier ist die Diskrepanz nicht so groß, als dass wir erwarten, dass sich sehr viel bewegt. Beim Grundbedarf ist intendiert 427 Euro. Wir haben aufgrund unserer empirischen Berechnungen herausgefunden, dass der Grundbedarf eigentlich 500 bis 550 betragen müsste. Und bei der Wohnpauschale wird ja der statistische Durchschnittswert von 2016 in Höhe von 325 Euro erreicht. Inzwischen hat sich am Wohnungsmarkt einiges Negatives getan - und das gilt es auch auszugleichen.
Studentenwerk: BAföG-Grundbedarf reicht nicht
Heinlein: Vielleicht noch eine andere Zahl. Der BAföG-Höchstsatz steigt künftig ja auf satte 861 Euro. Das ist doppelt so hoch wie der Hartz-IV-Regelsatz. Warum reicht das unseren Studenten nicht zum Leben?
Meyer auf der Heide: Moment mal! Sie bringen zwei Sachen zusammen, den Hartz-IV-Regelsatz und das BAföG. Beim Hartz-IV-Regelsatz kommt aber die Miete noch dazu. Insofern kommt da auch mehr drauf und andere Leistungen. Insofern gehe ich eher vom BAföG-Grundbedarf aus. Der BAföG-Grundbedarf, der beträgt 399 derzeit, der geht auf 427 hoch, und das reicht nicht. Und die Miete mit 325 Euro - ob die überall abgedeckt werden kann, das bezweifeln wir, insbesondere weil wir wissen, dass jüngere Studierende oder Studierende in den jüngeren Semestern und Studienanfänger inzwischen eigentlich mehr bezahlen müssen - und das ist das Dilemma.
Heinlein: Nun fragen sich aber gerade vielleicht viele Geringverdiener oder Hartz-IV-Empfänger, warum Studenten eine Art Vollkasko-Versorgung vom Staat bekommen sollen, denn sie sind ja die künftige gut verdienende Akademikerelite.
Meyer auf der Heide: Nun gehören ja nicht alle Hochschulabsolventen zu den Gutverdienenden. Natürlich verdienen sie wahrscheinlich mehr, aber sie tragen dann natürlich auch mit ihrer Steuerlast wesentlich mehr zu den staatlichen Einnahmen bei. Ich will nur sagen, dass immerhin 80 Prozent der Steuereinnahmen von maximal 20 Prozent aufgewendet werden. Das ist immer das Beispiel: die arme Zahnarzthelferin oder Verkäuferin - die zahlt ja erheblich weniger Steuern dann als der Arbeitgeber, bei dem sie beschäftigt sind.
Studenten aus unterer Mittelschicht jobben mehr
Heinlein: Nach Ihren Erhebungen, nach den Zahlen des Deutschen Studentenwerkes, wie sehr ist denn mittlerweile aus Ihrer Sicht ein Studium eine Frage der sozialen Herkunft?
Meyer auf der Heide: Wir haben feststellen müssen, dass zwischen 2012 und 2016 der Anteil an der BAföG-Finanzierung nach der Sozialerhebung massiv gesunken ist, insbesondere in der Wirkungsgruppe niedrig. Das heißt, das sind die, die aus bildungsferneren Elternhäusern kommen, meistens auch 'First-Generation-Students' sind. Da betrug 2012 der Anteil der Einnahmen noch 35 Prozent aus BAföG, in 2016 nur noch 21 Prozent. Das wurde zum Teil substituiert durch Eltern, aber im Wesentlichen durch wesentlich höhere Erwerbstätigkeit - und die geht wiederum zu Lasten des Studiums und führt dann auch zur Studienzeitverlängerung, und dann fällt möglicherweise das BAföG weg, weil die Förderungshöchstdauer überschritten ist. Und da, glaube ich, gibt es Handlungsbedarf.
Heinlein: Aber Kinder aus Arbeiterfamilien, von Familien, wo die Eltern nur sehr wenig verdienen, die bekommen ja BAföG. Welche Studenten fallen denn aus der Förderung aktuell? Sind das nicht die Kinder aus der Mittelschicht? Ist für die ein Studium mittlerweile nur noch schwer finanzierbar?
Meyer auf der Heide: Sie haben den Finger richtig in die Wunde gelegt. Ich würde aber die niedrige Herkunft, Arbeiterkinder auch nicht davon ausnehmen, denn gerade da hat sich gezeigt, dass die Erwerbstätigkeit auch kräftig gestiegen ist und der höchste Anteil an Studierenden bis zu vier Tage in der Woche arbeitet. Und dann, völlig richtig: Die untere Mittelschicht, da gibt es ein richtiges Mittelschichtsloch, weil die Eltern oft über den Einkommensgrenzen liegen, aber zu wenig verdienen, um den Kindern das Studium zu finanzieren, so dass dort wesentlich mehr noch gejobbt wird. Und das ist völlig richtig: Da muss man ansetzen, wenn man wieder im Sinne des von Ihnen zitierten, 1971 initiierten BAföGs tatsächlich die Mittelschicht erreichen will, wenn diese erreicht werden soll.
Heinlein: Die SPD trägt ja die BAföG-Novelle mit. Verraten die Sozialdemokraten gerade das Erbe von Willy Brandt?
Meyer auf der Heide: Nein, ich würde nicht von einem Verrat sprechen. Wir haben das Problem, dass natürlich das BAföG seit Jahrzehnten nach Kassenlage gestaltet wird. Das gilt für alle Parteien. Und ich habe ja auch gesagt, es geht in die richtige Richtung. Es reicht aber nicht - und insofern erhoffen wir uns natürlich im parlamentarischen Verfahren auch Nachbesserungen.
Höhere Pauschalen gegen die Wohnungsnot
Heinlein: Das Hauptproblem der meisten Studenten, Herr Meyer auf der Heide, sind ja die gewaltigen Mieten in den Uni-Städten. Wäre es da nicht sinnvoller, in den Bau von Studentenwohnheimen das Geld zu stecken, anstatt mit dem Füllhorn jetzt das BAföG zu verteilen?
Meyer auf der Heide: Das ist völlig richtig. Sie sprechen natürlich eine von uns lang artikulierte Forderung an. Ich teile Ihre Auffassung: Wir müssen viel stärker in die Objektförderung, und die Subjektförderung kann nur bestimmte Spitzen ausgleichen. Insofern ist der Wohnheimbau notwendig und hier hat ja die Bundesbildungsministerin auch an die Länder appelliert, die Bundesmittel zu nutzen. Ein interessantes Schmankerl ist nur, dass die bayerische Staatsregierung, die vorbildlich ist in der Förderung von Wohnheimbau, geantwortet hat auf ein Schreiben, was ich geschickt habe: sie möchte doch, dass auch die Bundesbildungsministerin mal was macht.
Heinlein: Nun gibt es ja aktuell viel zu wenig Wohnheime. Was ist vor diesem Hintergrund dann falsch an der umstrittenen Aussage der Bundesbildungsministerin, Studenten mit wenig Geld, die bräuchten ja nicht in den teuersten Städten studieren, in München oder in Frankfurt, sondern vielleicht in Greifswald im Osten, wo es billiger ist?
Meyer auf der Heide: Zum einen wird der Grundsatz der Berufswahlfreiheit in der Verfassung verletzt. Studierende möchten natürlich den Studiengang sich auswählen, den sie studieren wollen. Bei 18.000 Studiengängen ist das etwas schwierig. Und beim Master wird es dann noch komplexer, wo Sie zugelassen werden. Wenn sie nur an bestimmten Hochschulen zugelassen werden, dann müssen sie da studieren, und wenn das die TU München ist oder die LMU oder meinetwegen die Goethe-Universität in Frankfurt oder andere, dann müssen sie auch die Mieten aufbringen. Hier gibt es natürlich einen entsprechenden Handlungsbedarf, entweder durch den Wohnheimbau zur Entlastung der Wohnungsmärkte, oder durch eine entsprechende Förderung.
Heinlein: Es gibt ja noch einen weiteren Vorschlag von Gewerkschaftsseite. Man will den BAföG-Wohnzuschlag regional staffeln. Also viel Geld dorthin, wo Wohnungen teuer sind, und weniger Geld dort, wo es billig ist. Wie bewerten Sie diesen Gedanken?
Meyer auf der Heide: Wir haben damit ein paar Schwierigkeiten, sage ich ganz ehrlich, weil die Frage ist: welches Signal wird ausgesendet. Wird das Signal ausgesendet, dass Studierende mehr bekommen und dann können die Vermieter zuschlagen im Schreckensszenario. Man muss natürlich wissen: Wenn aber nur maximal 20 Prozent der Studierenden über Bafög gefördert werden, trifft das ja auch die anderen 80 Prozent. Insofern schlagen wir eher vor, dass man auf die Wohnpauschale von 325 auf Grundlage des Mietvertrages eine zusätzliche Pauschale gewährt - aber nur anteilig bis zu 50 Prozent, bis zu einer Höchstgrenze, um dort Spitzen auszugleichen.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag Achim Meyer auf der Heide, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerkes. Ich danke für das Gespräch und ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Meyer auf der Heide: Wünsche ich Ihnen auch, Herr Heinlein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.