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Reformstau auch bei der Justiz

Heute kommt die Troika zur nächsten Evaluierungsphase nach Portugal. Zu tun gibt es noch viel, zum Beispiel in der Justiz. Viele Analysten glauben, dass die nötigen Auslandsinvestitionen erst wieder ins Land sprudeln, wenn das ineffiziente Rechtssystem grundlegend reformiert wird.

Von Tilo Wagner |
    Florinda Beja sitzt auf einem Klappstuhl vor dem Gebäude der Oberstaatsanwaltschaft in Lissabon. Passanten und Anwohner grüßen höflich oder halten ein kurzes Schwätzchen. Die Rentnerin ist im Viertel allseits bekannt.

    Seit fast 17 Jahren protestiert Florinda jeden Tag zwischen 8 und 16 Uhr vor dem Justizgebäude gegen einen Fehler der portugiesischen Rechtsprechung: Ihr Mann soll in den 1960er-Jahren für tot erklärt und daraufhin in Erbschaftsangelegenheiten benachteiligt worden sein:

    "Der Protest ist das Einzige, was uns bleibt. Wir wollen der Öffentlichkeit zeigen, was die Justiz mit uns gemacht hat. Und vielleicht wird unser Fall ja doch noch irgendwann gelöst."

    Florindas kuriose Protestgeschichte ist in Portugal ein Einzelfall. Doch die überwältigende Mehrheit der Portugiesen geben ihr in einem Punkt recht: Die Justiz arbeitet ineffizient und das hat schwerwiegende Folgen für die Bürger, aber auch für die Wirtschaft. Denn ausländische Investoren schrecken vor einem Engagement zurück, wenn man jahrelang auf ein Prozessende wartet und Straftäter nicht geahndet werden.

    Das hat auch die Troika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank erkannt, die dem hoch verschuldeten Portugal nicht nur ein ambitioniertes Spar- sondern auch ein Reformprogramm aufgelegt hat. Die Regierung soll neue Richter einsetzen, damit bis zum nächsten Jahr Hundertausende Prozesse gelöst werden, die seit Jahren nicht vorankommen. Das sei der falsche Schritt, sagt der Jurist und ehemalige Minister António Pinto Ribeiro:

    "Die Regierung will nun mit aller Kraft die alten Prozesse lösen lassen. Sie stellt neue Richter ein, holte pensionierte Richter zurück in den Dienst und verordnet Extraschichten. Mit einem riesigen Kraftakt sollen die Altlasten behoben werden. Das könnte sogar machbar sein. Doch sobald Portugal keinen Reformplan mehr umsetzen muss, beginnen die Probleme von Neuem. Denn das System wird nicht grundlegend reformiert."

    Rechtsexperten wie Pinto Ribeiro sind sich einig: Die Hauptprobleme sind das portugiesische Prozessrecht und die mangelhafte Umsetzung durch die staatlichen Behörden:

    "Wir haben keine glaubwürdige Methode der Beweisaufnahme. Und wir haben keine Möglichkeit die Methoden der staatlichen Behörden infrage zu stellen, weil fast nichts öffentlich zugänglich ist. Zudem gibt es keine richtige Gewaltenteilung, weil die Lebenswelten der Richter und der Staatsanwälte sehr eng miteinander verbunden sind. Und ohne richtige Gewaltenteilung fällt es den Verteidigern schwer, die Rechte ihrer Mandanten einzuklagen."

    Internationale Beobachter wie die Ratingagentur Moody’s haben jüngst Zweifel erhoben, ob der Reformstau in den hoch verschuldeten Staaten in Südeuropa wirklich aufgebrochen werden kann. Dass sich Portugal vor allem auf die finanziellen und wirtschaftlichen Probleme konzentriere, sei auch die Schuld der Troika, sagt António Ribeiro Pinto. Er warnt davor, jetzt nur Teilbereiche der Justiz zu reformieren:

    "Die Troika interessiert sich nicht wirklich für eine grundlegende Justizreform. Das Einzige, was die Troika interessiert, ist das Wirtschaftsrecht. Nur Bereiche, die mit Wirtschaft und Finanzen zu tun haben, also etwa Insolvenzen und Gebühren sollen reformiert werden. Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Das wäre so, wie wenn man einem Körper sagen würde, er solle nur einen Teilbereich pro Tag fünf Minuten lang richtig bewegen."

    Der Rechtsexperte ist sich sicher, dass eine grundlegende Justizreform zurzeit auf eine sehr breite politische und gesellschaftliche Zustimmung stoßen würde. Diese Unterstützung sei auch nötig, denn innerhalb des Justizsystems erwartet Pinto Ribeiro große Widerstände.

    "Warum schaffen wir es nicht, die Justizreform durchzusetzen? Ganz einfach: Weil viele Interessengruppen dagegen sind. Die Richter wollen nicht, die Staatsanwälte wollen nicht und viele Anwälte wollen auch nicht. Schließlich sind diejenigen, die im Chaos den Überblick behalten, so etwas wie Könige."