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Regierung Ortega attackiert Katholiken in Nicaragua
Die Kirche als Staatsfeind?

Lange galt die sandinistische Regierung Ortega in Nicaragua als Hoffnungsträgerin. Auch über den Kreis befreiungstheologisch engagierter Katholiken hinaus. Heute geht das sozialistische Regime mit Waffengewalt gegen Demonstranten vor. Katholische Priester geraten in ihr Visier.

Von Burkhard Birke | 29.11.2018
    Pater Raul zeigt die Einschüsse im Tabernakel der Kirche Kirche La Divina Misericordia, Nicaragua
    In Nicaragua ist die katholische Kirche zwischen die Fronten geraten (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    In Scharen strömen die Menschen sonntags nach San Miguel Arcángel im Zentrum von Masaya. Die 140.000-Einwohnerstadt am Osthang des aktiven Vulkans Masaya war Epizentrum der Proteste vor 40 Jahren gegen den Diktator Anastasio Somoza, und erneut - jetzt im April - gegen Daniel Ortega, gegen den Mann, der seinerzeit als Guerillaführer die Somoza-Diktatur gewaltsam beendet hatte.
    "Ich erfahre am eigenen Leib, was Verfolgung ist"
    200 Barrikaden hatten Demonstranten im Frühjahr in Masaya aufgebaut, wochenlang die Stadt kontrolliert, bis die Proteste blutig niedergeschlagen wurden. 36 Tote gab es allein in Masaya, berichtet der katholische Seelsorger Edwin Ramón, dessen Kirche in diesen turbulenten Tagen zu einem der wenigen Zufluchtsorte geworden ist. Zeiten der Verfolgung seien das und in Zeiten der Verfolgung würde die Kirche stärker, stünde geschlossener denn je da - Gemeindepfarrer Edwin Ramón nimmt in seiner Predigt kein Blatt vor den Mund.
    "Ich erfahre am eigenen Leib, was Verfolgung ist. Ich bin auch nur ein Mensch und gebe zu, dass ich Angst bekommen habe - ein Gefühl, das ich nur als kleiner Junge verspürt habe, wenn ich durch dunkle Straßen ging, da verspürte ich sogar Panik. Jetzt, mit 58, habe ich zwei, drei Mal regelrechte Panik verspürt. Ich vertraue natürlich auf Gott und es gehört zu meiner Berufung als Pfarrer, mein Leben zu riskieren."
    Pfarrer Edwin Ramón im Kreis seiner Gemeinde in Masaya
    Nur mit seiner Gemeinde fühlt sich Edwin Ramón noch sicher (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    Erzählt der Seelsorger im Interview zwischen zwei Sonntagsmessen. Das für den Tag zuvor verabredete Treffen musste er kurzfristig absagen - aus Sicherheitsgründen. Denn Edwin Ramón wird ständig verfolgt und bedroht. Sein Vergehen: Während der Proteste öffnete er seine Kirche und das Pfarrhaus, um vor allem Jugendlichen Schutz vor mordenden Polizisten und Paramilitärs zu geben. Verletzte wurden behandelt. Sechs Leichen, darunter die eines erst 15-jährigen Jungen, wurden geborgen und im Pfarrhaus aufgebahrt, bis die Angehörigen sie abholten. Auch Angehörigen der Sandinisten bot der Pfarrer ein paar Mal Zuflucht.
    "Zu keinem Zeitpunkt sind wir parteiisch. Dennoch werde ich beschuldigt, Teil eines Staatsstreiches und ein Terrorist zu sein und Waffen in der Kirche und im Pfarrhaus zu verstecken. Das stimmt aber nicht. Wir hatten hier zu keinem Zeitpunkt Waffen. Angeblich hätten die Jugendlichen mit diesen Waffen von hier aus die Polizei attackiert. Dinge, die nicht zutreffen, aber deshalb werden wir bis auf den heutigen Tag verfolgt."
    Die Kirche wurde von Kugeln durchsiebt
    Sechs Wochen musste Edwin Ramón im Sommer untertauchen. Und auch jetzt muss er immer wieder für ein paar Tage die Stadt verlassen, kann seiner täglichen Arbeit als Seelsorger nicht mehr geordnet nachgehen. Nur sonntags während der drei Messen fühlt er sich einigermaßen sicher im Kreis seiner Gemeinde, die seit den Unruhen ständig wächst, obwohl in der Messe Agenten der Sandinisten sitzen und aufmerksam lauschen, aufschreiben und fotografieren. Pfarrer Edwin Ramón ist längst kein Einzelfall. Auch Raul Zamorra, Seelsorger der Misericordia Divina in Managua, lebt gefährlich.
    "Ich werde immer wieder gewarnt, ich stünde auf einer Liste, es würde etwas gegen uns geplant. Dozenten der Universität UNAN behaupten, es gebe eine Verschwörung gegen mich. Es sollen Schüsse aus der Kirche gefeuert werden und dann soll ich dafür verantwortlich gemacht werden."
    Raul Zamorra hatte am 13. Juli, dem Tag, als die nahegelegene Universität UNAN erstürmt wurde, 150 Studenten in Kirche und Pfarrhaus Zuflucht gewährt. 16 Stunden lang wurden sie belagert und beschossen. Die Mauer der Kapelle ist von Kugeln durchsiebt worden, sogar im Tabernakel sind noch Einschläge sichtbar. Nur durch Vermittlung der Bischofskonferenz konnte Raul Zamorra ein Massaker verhindern. Lediglich drei Personen wurden verletzt. Neun dieser Studenten sitzen mittlerweile im Gefängnis. Sie wurden des Terrorismus für schuldig befunden. Wegen angeblichen Waffenbesitzes und weil sie einen Kindergarten auf dem Campus der Universität angezündet haben sollen, fordert der Staatsanwalt 21 Jahre Haft.
    "Die Botschaft der Bischöfe war die des Staatsstreiches"
    Radikal geht der Staat gegen die Menschen vor, die aus Protest über Sozialreformen und Untätigkeit bei einem Großbrand in einem Nationalpark wochenlang Barrikaden errichtet und demonstriert haben. Zwischen 300 und mehr als 500 Tote soll es gegeben haben - und mehr als 500 politische Gefangene, beklagen Menschenrechtsorganisationen. Die Regierung indes bezeichnet die Proteste als Staatsstreich.
    Nicaraguas Präsident Daniel Ortega
    Nicaraguas Präsident Daniel Ortega sieht die Kirche nicht mehr als Vermittler (Rolando Pujol)
    Auch die katholische Kirche, die im Juli noch zwischen Regierung und Opposition vermittelt hat, ist dabei ins Visier der Sicherheitskräfte und sandinistischen Banden gerückt. Den Ton dafür gab Präsident Daniel Ortega höchstpersönlich vor, als das Revolutionsjubiläum am 19. Juli gefeiert wurde:
    "Die Vertreter der Kirche sind in den Verhandlungen mit einem Ultimatum für vorgezogene Neuwahlen aufgetaucht. Es hat mich erstaunt und hat mir wehgetan, dass die Herren Bischöfe diese Haltung von Putschisten an den Tag legten. Dadurch haben sie sich als Vermittler und Zeugen disqualifiziert, denn ihre klare Botschaft war die des Staatsstreiches."
    Eine umstrittene Aufnahme
    Für Ortega war es ein Vorwand, die Verhandlungen mit der Opposition abzubrechen, glaubt José Idiáquez, Jesuit und Rektor der Universidad Centroamericana, UCA.
    "Man war gewohnt, dass alle aus Angst schwiegen. Und jetzt kann sich die Regierung nur an der Macht halten, indem sie Menschen umbringt."
    José Idiaquez war einer der kirchlichen Vermittler und ist besorgt über die Aggression des Staates, die auch vor der Kirche nicht mehr Halt macht. Mit systematischer Einschüchterung und Kampagnen wie der Veröffentlichung eines fragwürdigen Mitschnitts von regierungskritischen Äußerungen von Silvio Báez, dem Weihbischof von Managua, attackieren die Sandinisten die immer noch sehr einflussreiche katholische Kirche in Nicaragua. In der Aufnahme, deren Authentizität umstritten ist, spricht Weihbischof Báez unter anderem angeblich davon, man könne Ortega nicht an die Wand stellen und wegen Kriegsverbrechen erschießen, auch wenn viele Lust dazu hätten.
    "Die Kirche darf nicht zu einem Ort des Protestes werden"
    Auf Initiative einer - sandinistisch geprägten - Kirchengemeinde namens San Pablo Apostol wurden eine halbe Million Unterschriften zur Abberufung von Silvio Báez gesammelt. Bislang mit wenig Erfolg: Die Bischofskonferenz steht hinter Silvio Báez, der auch in weiten Teilen der Bevölkerung viel Sympathie genießt. Und auch der Vatikan hat bislang eher beschwichtigt und die Kirche ermahnt, sich aus der Politik herauszuhalten. Dieser Appell hatte eine direkte Konsequenz. Kardinal Leopoldo Brenes:
    "Unabhängig von der politischen Überzeugung kann jeder zum Gottesdienst kommen, aber die Kirche darf nicht zu einem Ort des Protestes werden. Das führt zu Spannungen. Die Kirche ist doch ein Ort der Besinnung, des Gebetes und der Brüderlichkeit."
    Der Erzbischof von Managua, Kardinal Leopoldo Brenes (m.links) und der Nuntius in Nicaragua, Erzbischof Waldemar Stanislaw Sommertag (m.rechts), versuchen in eine Kirche zu gelangen, in der mindestens neuen Menschen Zuflucht gesucht haben. 
    Kardinal Leopoldo Brenes (m.links) will, dass die Kirche wieder eine Vermittlerrolle einnimmt (dpa)
    Nach dem Demonstrationsverbot im öffentlichen Raum waren Kirchen wie die Kathedrale in Managua zu Orten des Protestes geworden. Banderolen des blau-weißen Oppositionsbündnisses, Forderungen nach der Freilassung der politischen Gefangenen waren anlässlich von Gottesdiensten zu sehen. Damit ist es nun vorbei. Die Botschaft war klar, auch weil die Kirche sich nach wie vor als potenzieller Vermittler sieht. Kardinal Brenes:
    "Man kann unserer Meinung sein oder nicht. Wir sind aber da, um zu dienen."
    Auch wenn die Regierung den Dialog mit der Opposition abgebrochen hat und die Vermittlung der Kirche bis heute nicht erwünscht ist, scheint er der einzige friedliche Ausweg aus der Sackgasse.