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Regionalwahl in Katalonien
"Der große Gewinner ist Puigdemont"

Die Separatisten haben ihre Mehrheit bei der Regionalwahl in Katalonien verteidigt. Der abgesetzte Regionalpräsident Carles Puigdemont habe mit der Wahl deutlich an Gewicht gewonnen, sagte der Politikwissenschaftler Günther Maihold im Dlf. Er könne nun mit einem gestärkten politischen Profil zurückkehren.

Günther Maihold im Gespräch mit Jasper Barenberg | 21.12.2017
    Der ehemalige Regionalpräsident Kataloniens, Carles Puigdemont hält während einer Wahlkampfveranstaltung den Daumen hoch.
    Der abgesetzte Regionalpräsident Kataloniens, Carles Puigdemont: Er habe deutlich gemacht, dass "seine Linie stärker ist als die der Linken", sagte der Politikwissenschaftler Günther Maihold im Dlf. (BELGA/Thierry Roge)
    Jasper Barenberg: Für erste Einschätzungen zur Wahl können wir jetzt mit Professor Günther Maihold sprechen, dem stellvertretenden Direktor für Internationalisierung bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Schönen guten Abend, Herr Maihold.
    Günther Maihold: Guten Abend.
    Barenberg: Ist das für Sie ein unerwartet klarer Sieg für die Separatisten?
    Maihold: Ich glaube schon, weil mehrere Hypothesen sich als falsch erwiesen haben. Die erste Hypothese, dass es so etwas wie eine schweigende Mehrheit gibt. Offensichtlich ist die nicht vorhanden. Und die zweite Hypothese, dass diese Umsetzung des Artikel 155 von der Bevölkerung irgendwie hingenommen würde. Aber wir haben gesehen, der Stolz der Katalanen ist dadurch schwer verwundet worden, und sie haben sich mehrheitlich dann doch auf die Positionen eingelassen, die auf dem Unabhängigkeitsvotum bestehen.
    Barenberg: Das heißt umgekehrt natürlich auch, dass es ein schwerer Rückschlag für Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy ist?
    Maihold: Das ist sicherlich eine klare Abfuhr für ihn und für seine bisherige Strategie und er muss sich jetzt überlegen, ob er weiter mit seinem Verfahren der juristischen und rein legislativen Verfolgung der Politik fortfährt, oder ob er sich nun auf eine politische Lösung einlässt und versucht, die einseitige Unabhängigkeitserklärung rückgängig zu machen und zu einem verhandelten Verfahren der Autonomie oder Unabhängigkeit zu kommen.
    Maihold: CUP hat quasi Halbierung ihrer Wählerschaft erfahren
    Barenberg: Jetzt haben wir im Vorfeld ja auch gelernt, Herr Maihold, dass es im separatistischen Lager selbst unter den drei Parteien, von denen wir gerade gehört haben, dass es auch da Meinungsverschiedenheiten gibt. Es gibt da jetzt Verschiebungen in den Anteilen der Wählergunst. Vielleicht reicht es für eine absolute Mehrheit, aber es wird eine knappe sein. Was bedeutet das für das Lager der Separatisten jetzt zunächst einmal für die nächste Zeit?
    Maihold: Der große Gewinner ist Puigdemont. Puigdemont hat deutlich gemacht, dass seine Linie stärker ist als die der Linken. Er hat deutlich gewonnen an Gewicht und kann dadurch auch mit einem gestärkten politischen Profil zurückkehren oder zumindest seine Rückkehr vorbereiten. Demgegenüber sind die linken Kräfte geschwächt worden. Das gilt für die große Partei ERC, aber vor allem auch für die kleinere CUP, die sich mit ihren anarchistischen Positionen nicht hat durchsetzen können. Sie hat quasi eine Halbierung ihrer Wählerschaft erfahren.
    Barenberg: Puigdemont war ja auch immer ein wenig ein Getriebener gerade der radikaleren Kräfte, die es noch unter den Separatisten gibt. Heißt das, er wird jetzt eine eher, wenn man das so sagen kann, gemäßigte Herangehensweise an den Tag legen können?
    Maihold: Wenn er eine kluge Politik macht, dann wird er nicht auf eine Koalition mit der CUP setzen, sondern mit anderen politischen Kräften, die einen Weg in die Öffnung hin zur Mitte ermöglichen, um einen neuen Stil der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens im Lande herzustellen. Wir sehen ja, wie tief gespalten das bis in die Familien hinein sich durch das Unabhängigkeitsvotum darstellt, und er muss in jedem Fall versuchen, hier eine Versöhnung und ein verträgliches Zusammenleben herzustellen.
    Barenberg: Kehren wir noch mal zurück zu Mariano Rajoy, dem spanischen Ministerpräsidenten, der von Madrid aus die Entwicklung in Barcelona verfolgt. Wir haben schon ein wenig darüber gesprochen, welche Optionen er hat. Er hat ja eigentlich gehofft und gesagt, es müsste eine Rückkehr zur demokratischen Normalität geben. Was sollte er jetzt tun? Sollte er die Hand ausstrecken und einen anderen Kurs fahren in Zukunft?
    Maihold: Wenn er politisch eine Zukunft für sich selber und auch für seine Partei in einem spanischen Nationalstaat sieht, unter Beteiligung von Katalonien, muss er jetzt die politische Hand ausstrecken und sagen, wir müssen eine neue Art des Zusammenlebens und des Verständigungswillens an den Tag legen. Aber dafür muss er seine bisherigen legalistischen und juristischen Positionen räumen, und das wird ihm sehr schwer fallen, weil in seiner Partei der Antikatalanismus eine große Tradition hat und nun das Vorurteil in Restspanien verstärkt wird, mit Katalonien lässt sich einfach nichts anfangen.
    Barenberg: Verpflichtet ihn dieses Ergebnis jetzt auch zu neuen und in ganz anderer Weise ernsthaften Gesprächen über mehr Unabhängigkeit für Katalonien?
    Maihold: So wäre das zu erwarten. Er hat aber natürlich genau das Gegenteil erklärt, indem er gesagt hat, solange eine Unabhängigkeitserklärung auf dem Tisch liegt, wird er den 155 fortführen. Das heißt, es hängt sehr davon ab, ob politische Klugheit auf beiden Seiten jetzt an Platz gewinnt und sich die beiden Kräfte in einen Weg begeben, der eine Verständigung möglich macht.
    Barenberg: Sie haben gesagt, Carles Puigdemont könnte jetzt seine Rückkehr aus Brüssel nach Barcelona vorbereiten. Wie können wir uns das für die nächsten Tage, die nächsten Wochen vorstellen? Kann er nach Barcelona zurückkehren, ohne Gefahr zu laufen – das war ja der Grund für seine Abreise, für seine Reise nach Brüssel -, dass ihm dort die Verhaftung droht?
    Maihold: Zum jetzigen Stand wäre das der Fall. Er müsste jetzt von sich aus eine Initiative ergreifen und versuchen, hier auch mit Madrid zu einer Lösung zu kommen. Da kommen natürlich dann auch andere Unabhängigkeitsakteure wie etwa die Basken wieder ins Spiel, die schon im Vorfeld versucht hatten, hier Verständigungspositionen einzunehmen und zur Deeskalation beizutragen. Und die spanische Justiz muss sich natürlich überlegen, ob sie den bisherigen Weg einfach stur fortfahren will, oder ob sie dieses demokratische Votum in Rechnung stellen möchte.
    "Gehe davon aus, dass das Parlament sehr schnell zusammentreten wird"
    Barenberg: Erwarten Sie denn jetzt eigentlich rasche Schritte in der nächsten Zeit, oder wird sich das alles doch jetzt über Wochen hinziehen, so kompliziert, wie die Lage ja nach wie vor ist?
    Maihold: Ich gehe davon aus, dass das Parlament sehr schnell zusammentreten wird und versuchen wird, eine entsprechende Wahl des neuen Präsidenten Kataloniens vorzunehmen, und sich erst dann die Frage stellen wird, wie man mit der rechtlichen Position umgeht, ob man eine Strafverfolgung weiterverfolgt, oder ob man sich dazu entschließt, über Begnadigungsakte hier ein Zeichen zu setzen, das eine gemeinsame Zukunft ermöglicht.
    Barenberg: Wir haben ja auch erfahren, dass inzwischen, sagen wir, 3000 Unternehmen Katalonien verlassen haben, der Region den Rücken gekehrt haben, wichtige Unternehmen teils für Katalonien. Das heißt, die boomende Wirtschaft, der geht es im Moment gar nicht gut. Wird das eine teure Sache, wenn diese Hängepartie noch über Monate möglicherweise weitergeht?
    Maihold: Das ist schon erkennbar. Insbesondere auch kleine und mittlere Unternehmen jenseits der großen, die wir kennen, sind davon betroffen. Deswegen muss natürlich hier bald ein Signal entwickelt werden, das Berechenbarkeit schafft und keine Hängepartie weiter inszeniert. Und man darf nicht vergessen: Die Wirtschaft ist für Katalonien eigentlich das Aushängeschild als erfolgreichste Autonomieregierung innerhalb des Landes. Wenn dieses Image Schaden leidet, gilt das natürlich auch insgesamt für die politischen Interessen, die hinter der Unabhängigkeitsbewegung stehen.
    Barenberg: Ein Wähler in Barcelona hat heute gesagt, das Verhältnis zwischen Katalonien und Madrid wird so oder so nie wieder etwas werden. Wie viel Anlass zu Pessimismus haben Sie?
    Maihold: Ich glaube, wir haben ein Signal, was doch ein ganz wichtiges ist. Die Partei, die nun am stärksten gewonnen hat, ist Ciutadans. Die haben elf Sitze hinzugewonnen. Und das ist gleichzeitig eine Partei, die in Madrid die Minderheitsregierung von Rajoy stützt. Diese werden sicherlich ihr Profil sehr viel stärker versuchen auszubauen und sich als veritable Konkurrenz zur Volkspartei zu positionieren. Das heißt, aus Katalonien heraus kann durchaus auch ein Anstoß für einen Wandel im spanischen Parteiensystem erfolgen und dass dort die Gewichte neu verteilt werden. Da könnte auch noch mal ein Impuls kommen, den wir bisher noch nicht so in der Perspektive hatten.
    Barenberg: Und Sie trauen beiden Seiten, jetzt wieder nach Barcelona geschaut, durchaus zu, jetzt die Kurve zu kriegen?
    Maihold: Ich kann es nur hoffen, weil die Kosten des Verfahrens sehr hoch sind, die Eskalation kaum mehr zusätzliche Schritte erlaubt und ja letztlich die Verfeindung zwischen den politischen Lagern nur ins Abseits führt. Hier muss ein Zeichen in eine andere Richtung gesetzt werden.
    Barenberg: Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik hier live im Deutschlandfunk. Danke für Ihre Einschätzungen.
    Maihold: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.