Archiv

Registrierung von Flüchtlingen
"Griechenland wird schneller an den Pranger gestellt als andere"

Die Einrichtung sogenannter Hotspots zur Registrierung von Flüchtlingen in Griechenland läuft nur schleppend. Der Leiter des Athener Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung, Christos Katsioulis, macht dafür unter anderem die ineffektive Arbeit der griechischen Verwaltung verantwortlich. Aber auch die Rhetorik aus anderen EU-Ländern sei nicht hilfreich, sagte er im DLF.

Christos Katsioulis im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Flüchtlinge gehen im Registrierungszentrum auf der Insel Lesbos an einem Zaun entlang
    Flüchtlinge im Registrierungszentrum auf der Insel Lesbos. Dieser Hotspot ist der einzige, der bisher fertiggestellt wurde. (picture alliance / dpa / Orestis Panagiotou)
    Dass die Hotspots in Griechenland noch nicht eingerichtet seien, habe aber nicht nur mit einer ineffektiven Arbeit der Verwaltung zu tun, sondern auch mit europäischen Verwicklungen, so Katsioulis. Griechenland befürchte, dass viele Flüchtlinge, wenn sie einmal registriert worden seien, nicht in andere europäische Länder weitergeleitet würden. Das Land habe sich immer mehr als "Drehtür" für Flüchtlinge gesehen, nicht als neue Heimat für die Menschen.
    Dennoch geht Katsioulis davon aus, dass vier der fünf geplanten Hotspots, die eigentlich schon Ende vergangenen Jahres fertiggestellt worden sein sollten, in den nächsten Tagen fertig gebaut werden. Das werde dann allerdings "schnell und hektisch" geschehen.
    "Man hat das Gefühl, man ist das schwarze Schaf Europas"
    Grundsätzlich habe Griechenland das Gefühl, schneller an den Pranger gestellt zu werden als andere EU-Länder. "Man hat das Gefühl, man ist das schwarze Schaf Europas", so Katsioulis. Dabei verhielten sich andere Mitgliedsstaaten in der Flüchtlingspolitik nicht besser als Griechenland. Auch die Drohung mit einem Rauswurf der Griechen aus dem Schengen-Raum bringe Europa nicht weiter.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Die Formulierungen, die sind uns ja noch bestens bekannt, teilweise sind sie so wortgleich in der griechischen Eurokrise gefallen. Jetzt heißt es wieder: Griechenland müsse seine Hausaufgaben machen. Die Europäische Union, die drängt in der Flüchtlingsfrage auf einen effektiven Schutz der EU-Außengrenzen, das Drohszenario dieses Mal, der Grexit nicht aus dem Euro-, sondern aus dem Schengen-Raum. Von einer Verschiebung der Schengen-Grenzen nach Westen ist in Österreich die Rede, und der österreichische Außenminister Kurz, der bereist in dieser Woche den Balkan. Da geht es genau um dieses Thema.
    Über den erheblichen Druck auf Griechenland wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich Christos Katsioulis, den Leiter des Athener Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung. Guten Morgen!
    Christos Katsioulis: Guten Morgen, Frau Schulz!
    Schulz: Warum ist Griechenland jetzt schon wieder in der Rolle des Buhmanns in Europa?
    Katsioulis: Das ist eine gute Frage, aber es zeichnen sich ein paar Pfadabhängigkeiten ab, ähnliche Argumentationsmuster wie auch im letzten Jahr in der Eurokrise. Manfred Weber hat sich im letzten Jahr auch schon gegenüber Griechenland relativ weit aus dem Fenster gelehnt, insofern sehen wir die gleichen Akteure, wir sehen teilweise die gleiche Wortwahl wie im letzten Jahr im Rahmen der Eurokrise, und wir sehen leider auch auf griechischer Seite ähnliche Muster. Manfred Weber hat nämlich insofern schon recht, als dass die griechische Regierung das, was vereinbart wurde, vor allem die Installation der Hotspots auf den Inseln, eben noch nicht so vorangetrieben hat, wie man sich das vorgestellt hat.
    Schulz: Warum hat Griechenland das nicht so vorangetrieben?
    Katsioulis: Ich glaube, da gibt es mehrere Gründe für. Ein Grund ist sicherlich die Ineffektivität der griechischen Administration, die öffentliche Verwaltung - eines der durchgehenden Probleme auch in der vorherigen Krise. Das zweite hängt enger mit den europäischen Verwicklungen zusammen. Man fürchtet, dass wenn man diese Hotspots termingerecht einrichtet, wenn man die Menschen, die dort ankommen, auch alle registriert und dann unterbringt, dass der Weitertransport nach Europa genauso stockend verläuft wie bisher auch und dass diese Menschen alle in Griechenland stranden. Diese Sorge ist extrem groß in dem Land, was kaum Mittel hat, mit den jetzigen Flüchtlingen umzugehen.
    "Die griechische Rolle war im Grunde genommen die einer Drehtür"
    Schulz: Also Griechenland hat seine Rolle bisher, verstehe ich das richtig, in aller erster Linie darin gesehen, quasi für einen reibungslosen Weitertransport der Flüchtlinge zu sorgen?
    Katsioulis: Ganz genau. Die griechische Rolle war im Grunde genommen die einer Drehtür. Die Leute kommen bei uns hinein, die Flüchtlinge kommen bei uns rein, und wir sorgen dafür, dass sie möglichst schnell weiterhin dorthin kommen, wo sie eigentlich hinwollen – nach Deutschland, Schweden, Niederlande und Großbritannien. Wir haben überhaupt keine Diskussion hier im Land beispielsweise über das, was wir in Deutschland diskutieren, über Integration von Flüchtlingen, über die Beschulung von Flüchtlingskindern. All das ist in Griechenland überhaupt noch kein Thema, weil man sich als Drehtür sieht.
    Schulz: Wäre das denn zu leisten?
    Katsioulis: Es wäre in dem Rahmen, der vereinbart wurde, mit 50.000 Flüchtlingen, die Alexis Tsipras zugesagt hat, wäre es sicherlich zu leisten, wenn auch unter Schwierigkeiten, aber es ist ja auch nicht so, dass wir das bislang noch nicht hatten. In den 90er-Jahren wurde auch eine große Zahl von albanischen Migrantinnen und Migranten beispielsweise in Griechenland integriert. Das war zwar meistens deren Eigenleistung und die der lokalen Gemeinschaften, aber es hat funktioniert.
    Schulz: Ist denn überhaupt klar geworden bisher, was die griechische Regierung überhaupt will? Es gibt ja Diskussionen über den wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen, der immer wieder gefordert wird von der EU, und da gibt es mal das Signal, dass eine Zusammenarbeit mit Frontex abgelehnt wird. Jetzt hat uns im Interview hier im Deutschlandfunk aber der Syriza-Mann Paraskevopoulos gesagt, es gäbe durchaus die Anforderung von Hilfe, es sei nur noch keiner gekommen. Was will die griechische Regierung da denn?
    Katsioulis: Diese unterschiedlichen Informationen kennen wir hier auch aus Athen. Es gibt eine Zusammenarbeit mit Frontex, aber man muss auch sagen, dass nicht alle Anforderungen der griechischen Regierung erfüllt wurden. Was die griechische Regierung genau möchte, ist ihr, glaube ich, selbst nicht klar. Wir haben auch eine Mischung aus Linkspopulisten und Rechtspopulisten. Während der aus dem linkspopulistischen Raum stammende Migrationsminister deutlich macht, wir wollen unseren menschlichen Pflichten hier gerecht werden, wir wollen die Menschen, die kommen, humanitär behandeln und retten, halten sich die Rechtspopulisten eher zurück und sagen, eigentlich ist uns das gar nicht so recht, dass so viele kommen. Im Grunde genommen hat man aus diesem Zwiespalt heraus gar keine wirkliche eigene Politik entwickelt und hat auch das, was man auf europäischer Bühne vereinbart hat, immer wieder verschleppt. Die Einrichtung der Hotspots hängt natürlich auch an der Administration, hängt aber auch am fehlenden Willen der griechischen Regierung und am Widerstand der lokalen Bevölkerung.
    Schulz: Und jetzt gibt es natürlich diese Drohung aus Brüssel, da war eben schon die Rede von, ein Rauswurf aus dem Schengen-Raum oder wie es in Österreich immer ein bisschen freundlicher heißt, sozusagen eine Verschiebung des Schengen-Raums nach Westen. Was hieße das für Griechenland?
    Katsioulis: Für Griechenland würde das erst mal bedeuten, dass die wichtigste Einnahmequelle, der Tourismus, möglicherweise Schaden nimmt, weil Griechenland hat keine Landgrenze mit einem anderen Schengen-Land, das heißt, das betrifft im Grunde genommen nur die Menschen, die mit dem Schiff oder mit dem Flugzeug reisen. Wenn man sich mal anschaut, wie viele der Flüchtlinge mit dem Flugzeug nach Deutschland reisen, dann ist das eine verschwindend geringe Zahl. Das würde also vor allem Touristinnen und Touristen betreffen, die aus Europa nach Griechenland reisen und mithin eine größere, eine längere Kontrolle über sich ergehen lassen müssen. Das ist etwas, was dem Land wirtschaftlich schadet, was aus meiner Perspektive aber Europa nicht wirklich weiterbringt in Hinsicht auf die Flüchtlingsproblematik.
    "Man hat auch das Gefühl, man ist hier das schwarze Schaf in Europa"
    Schulz: Wird es denn in Griechenland als realistische Drohung gesehen?
    Katsioulis: Absolut. Griechenland hat, glaube ich, im letzten Jahr gelernt, dass man mit all diesen Drohungen über Exit aus der Eurozone oder jetzt dem Exit aus der Schengen-Zone durchaus realistisch umgehen muss. Man hat auch das Gefühl, man ist hier das schwarze Schaf in Europa. Aus meiner Sicht nicht ganz falsch, wenn wir uns anschauen, was die anderen europäischen Staaten bisher gemacht haben, was beispielsweise die Weiterverteilung der 160.000 Flüchtlinge anbelangt, aber Griechenland wird eben auch aufgrund des mangelnden Vertrauens – und das hat Manfred Weber auch noch mal sehr deutlich gemacht – sehr viel schneller an den Pranger gestellt als andere Länder.
    "Die griechische Regierung wird es wie immer mit viel Improvisation und Hektik schaffen"
    Schulz: Und was wird die Regierung Tsipras jetzt unternehmen, um diese Gefahr abzuwenden, wenn man die auch für realistisch hält?
    Katsioulis: Wir werden das erleben, was wir in den letzten Jahren mit all diesen Vereinbarungen erlebt haben: Ein Verschleppen bis kurz vor der Deadline, und wenn die Deadline dann wieder in Erinnerung gerufen wird, dann stellen wir eine wahnsinnig schnelle und hektische Implementation der griechischen Regierung fest. Ich bin überzeugt davon, vier der fünf Hotspots werden in den nächsten Tagen oder Wochen fertiggestellt werden, der auf Kos wird am Widerstand der lokalen Bevölkerung möglicherweise scheitern, aber die griechische Regierung wird es wie immer mit viel Improvisation und Hektik schaffen, diese Deadline gerade zu erreichen und dann eben hoffen, dass die Europäer die letzten Mängel, sagen wir, mit einem Auge zugedrückt noch ertragen werden.
    Schulz: Aber ist es dann nicht die etwas deprimierende Schlussfolgerung, dass Griechenland dann so viel aus der Eurokrise und den Diskussionen doch nicht gelernt hat, wenn es jetzt dieses Déjà-vu gibt?
    Katsioulis: Diese Lernerfahrung, die Sie ansprechen, sind relativ schwierig in so eine Regierung reinzusickern, wenn man das mal als Bild verwenden möchte, weil die Regierung und Administration auch ständig durchwechseln. Wir haben ein extrem schlechtes Wissensmanagement in der griechischen öffentlichen Verwaltung, und aufgrund der ständig wechselnden Minister, die wir hatten - wir hatten in den letzten fünf Jahren mindestens vier Regierungen -, ist es schwierig, dass diese Lernerfahrung sich dann auch wirklich in Lessons learned umsetzen, sprich, dass man danach auch das Verhalten verändert. Das ist etwas, was wir im Zuge der Eurokrise festgestellt haben und jetzt leider eben auch im Zuge dieser Flüchtlingsproblematik feststellen, dass die griechischen Regierungen die gleichen Fehler immer wieder machen, im Prinzip seit 2010. Wobei, das muss man vielleicht auch dazu sagen, die europäischen Politikerinnen und Politiker verhalten sich nicht unähnlich aus meiner Perspektive.
    Schulz: Der Leiter des Athener Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung, Christos Katsioulis, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen!
    Katsioulis: Danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.