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Long Covid
Mit Reha-Sport zurück ins Leben

Dass eine Corona-Infektion oftmals Langzeitfolgen mit sich bringt, ist inzwischen bekannt. Viele Patientinnen und Patienten sind damit überfordert, sich Hilfe zu suchen. Reha-Sportverbände erarbeiten nun Konzepte, wie sie Betroffenen helfen können. Eine ganz neue Herausforderung für alle Beteiligten.

Von Sabine Lerche | 11.06.2022
Physiotherapie-Rehasport
Reha-Sport soll nun auch Long-Covid-Patienten helfen. (picture-alliance / Klaus Rose)
In der Bernart-Halle in Bad Oeynhausen am Donnerstagnachmittag knarzt der Boden. 15 Frauen und Männer, die meisten über 60 Jahre alt, gehen auf bunten Matten auf der Stelle. Und atmen. Sitzhocker und Trinkflaschen stehen bereit. Manche haben Handtücher dabei. Falls es anstrengend wird. Die Reha-Gruppe Lungensport des Vereins „Manere Sanus“ beginnt. Aber erstmal ganz entspannt. Kursleitung Tatjana Kaiser hat heute keine fordernden Übungen im Programm. Eher meditativ und achtsam, auch das muss mal sein:
„Wenn ich jetzt merke, dass zum Beispiel die Erkältungswelle da ist, und die Menschen, die Teilnehmer sind ein bisschen schlechter motiviert, dann kann es schon mal sein, dass ich sage: 'So, jetzt machen wir einfach mal so eine Kuschelstunde.' Jetzt machen wir mal ausnahmsweise viel Sitzen oder viel wirklich jeder für sich selber, dass man auch so ein bisschen zur Ruhe kommt und so. Aber dann wird nächstes Mal einer draufgepackt.“

Täglich Anrufe von Interessenten

Der Verein „Manere Sanus“ ist mit seinen 166 aktiven Teilnehmenden noch recht klein, wächst aber. Zwei bis drei Anrufe bekommt der Verein täglich von Interessenten an den insgesamt 30 Angeboten. Die Atmungstherapie in der Bernart-Halle haben sich Teilnehmende gewünscht, die sich nach einer Corona-Erkrankung erschöpft fühlen und vor allem mit der Atmung Probleme haben. So wie Ilka. Sie ist wahrscheinlich die Jüngste in der Gruppe. Das stört sie aber nicht. Schwierig ist eher, sich trotz Müdigkeit zu motivieren.
„Das macht natürlich auch das Long Covid, weil ich ganz oft so müde bin und kaputt. Aber ich bin so ein ganz ehrgeiziger Typ. Man muss es wirklich machen, sonst kommt man nicht wieder klar im Leben, glaube ich, wenn man so richtig Long Covid erwischt hat.“

Viele kommen nicht auf die Idee, Reha-Angebote wahrzunehmen

Long oder Post Covid äußert sich in vielen Symptomen. Oft ist Betroffenen nicht bewusst, dass ihr Unwohlsein noch eine Nachwirkung der Infektion ist. Da die vielfältigen Symptome denen von Reha-Patient*innen unterschiedlicher Erkrankungen ähneln, könnten Reha-Angebote potenziell auch Long Covid-Erkrankten helfen. Auf die Idee, in ein Reha-Angebot zu gehen, kommen viele nicht. Vielleicht auch, weil Reha oft mit krank sein, einer Behinderung oder dem Alter verbunden wird, vermutet Vereinsleiter Alexander Hische:
„Reha ist eigentlich nicht nur für Patienten oder Teilnehmer, die bereits schon erkrankt sind. Reha müsste eigentlich schon im Präventivstadium gestartet werden. Denn wenn man jetzt schon merkt, man ist an Corona erkrankt, dann ist man wieder gesund, und man merkt okay, ich habe immer noch diese Erscheinung von Müdigkeit. Dann macht es auf jeden Fall Sinn, sich nicht einfach zurückzuziehen, sondern sich wirklich mal aktiv sportlich zu betätigen. Denn dann kann man weitaus schneller die Symptome bekämpfen.“
Wichtig ist dabei aber, seinen Körper nicht zu überlasten. Denn wer nach einer Corona-Infektion zu schnell zu viel Sport treibt, riskiert, dass sich die Symptome von Long-Covid verschlimmern und womöglich chronisch werden. Um dies zu verhindern, empfehlen Experten das sogenannte „Pacing“: Also nicht verbissen weiterzutrainieren, sondern sich Zeit zu nehmen und schonend mit seinen Ressourcen umzugehen.
Auch in Krefeld bietet der Verein „Fit auf Dauer“ Kurse für Long-Covid-Erkrankte an. 25 Long-Covid-Patient*innen betreut er gerade.
„Wobei wir natürlich nicht wissen, wie viele Long-Covid-Patienten noch zu Hause in ihrem Kämmerchen sitzen – Tausende bestimmt. Mit Symptomen, die sie vielleicht gar nicht auf die Infektion zuordnen, sondern denen geht es einfach schlechter und die tun aber nichts für sich“, erzählt Britta Lohr, Vereinsvorstand und Trainerin.
Aber nicht nur die Aufklärung fehlt, sondern auch die Angebote, sagt ihre Kollegin Heike Grigoleit-Bahr: „Wir haben ja jetzt gerade Patienten, die kommen aus Duisburg und Düsseldorf, das teilweise in der Hauptverkehrszeit nach der Arbeit, weil es vor Ort überhaupt gar keine Angebote gibt. Die waren auch so ein bisschen hilflos, weil die gesagt haben: Ich habe hier in Düsseldorf nichts gefunden. Ich habe hier in Duisburg nichts gefunden. Da muss es doch irgendetwas jetzt für die Gruppen geben, weil wir alle wussten ja, dass jetzt irgendwas auf uns zukommt.“

Nachfrage wird steigen

Auch der Deutsche Behindertensportverband ist sich bewusst, dass durch die Folgen von Corona-Infektionen mehr Menschen Reha-Sportangebote nachfragen werden. Eine Herausforderung für den Verband, unter dessen Dach der Reha-Sport in den Vereinen organisiert ist. Der Verband arbeitet gerade daran, entsprechende Strukturen aufzubauen und Übungsleiter auszubilden. Auch Tatjana Kaiser in Bad Oeynhausen hat extra eine Fortbildung gemacht, um Long-Covid-Erkrankten besser helfen zu können:
„Im Endeffekt macht man nur dann was verkehrt, wenn man nichts macht. Bei allem anderen kann man nichts verkehrt machen. Und was hat man zu verlieren? Dann geht man einmal hin und guckt, ist es was für mich oder ist es nichts für mich.“
Kaiser versucht, die Übungen individuell anzupassen. Wer kann was? Wer braucht was? Und sie beschreibt immer, wie die Übungen dem Körper helfen. Gerade das schätzt Teilnehmer Horst:
„Also was mir so gefällt an diesen Kursen, sind die Erklärungen dazu: Warum machen wir dieses und jenes? Zu Hause Übungen machen, ohne Aufsicht? Da gewöhnt man sich sehr schnell etwas Falsches an. Und dann hat man auch keine Lust, wenn man merkt, dass das nicht geht. Und dann fehlt solch eine Auffrischung.“
Horst hat die Lungenkrankheit COPD, seine Atemwege sind chronisch verengt. Während der Atemübungen schaut der 80-jährige konzentriert durch seine dunklen Brillengläser. Er hat schon eine längere Krankheitsgeschichte hinter sich:
„Aber dann kam Corona und selber macht man ja nichts. Ich kannte zwar noch ein paar Übungen, aber das war auch nichts. Und jetzt ging das langsam bergab. Sie kennen ja die Gleichung: viel Sport, also Hochleistungssport, viel Sauerstoff. Das kehrt sich aber auch um: wenig Sauerstoff, wenig Leistung.“

"Licht am Horizont"

Doch jetzt kommt die Leistung so langsam zurück, erzählt er strahlend. Ganz gerade sitzt er auf seinem Stuhl. Manche Übungen darf er sogar vormachen. Zuhause im Garten überprüft er immer, wie viele Meter er mittlerweile schafft. Gestartet hat er bei 200, jetzt sind es schon 600 Meter:
„Sie merken es schon: Irgendwie bin ich in der Beziehung gut drauf. Das ist, weil ich das Licht am Horizont sehe.“
Wir haben diesen Beitrag nachträglich um einen Absatz ergänzt, um das Risiko einer Überlastung durch Sport für Long-Covid-Patienten hervorzuheben.