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Religiöse Symbole
Terre des Femmes fordert Verbot von Kinderkopftüchern

Terre des Femmes setzt sich dafür ein, dass Mädchen in Kitas und Grundschulen kein Kopftuch tragen dürfen. Das wäre rechtlich auch machbar, wie ein Rechtsgutachten besagt, das die Frauenrechtsorganisation nun vorgestellt hat. Viele Lehrerinnen und Lehrer würden ein Verbot begrüßen.

Von Anja Nehls | 29.08.2019
Ein Mädchen mit Kopftuch und Tornister
Terre des Femmes ist dagegen, dass Schülerinnen ein Kopftuch tragen müssen (dpa / Wolfram Kastl)
Wie viele kleine Mädchen mit Kopftuch in deutschen Kitas und Grundschulen sitzen, wissen weder die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft noch die muslimischen Verbände. Sehr viele sind es nicht, aber jedes einzelne ist eins zu viel, meint Necla Kelek von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Die Kinder sollten im wörtlichen Sinne "den Kopf frei haben", um sich auf den Unterricht konzentrieren zu können, um später ein selbstbestimmtes und freies Leben zu führen:
"Wenn ein religiöses Symbol so nach außen getragen wird, habe ich persönlich die Erfahrung gemacht, dass das Kinder in ihrem Verhalten, ihrem Alltag in jeden Fall einschränkt. Denn sie richten sich ja nach einer bestimmten Norm, was dieses Kopftuch ja auch vorgibt, dass sie Mädchen sind, dass sie Frauen sind, dass sie eben ihre Haare nicht zeigen dürfen, alles was zusammenhängt."
Lehrer: Kinder mit Kopftuch werden ausgegrenzt
Und es hängt viel damit zusammen, meint auch Jürgen Dieter Böhm vom Deutschen Lehrerverband, der 13 Jahre eine Realschule in Bayern geleitet hat. Er unterstützt die Forderung von Terre des Femmes nach einen Verbot des Kopftuchs für Kinder unter 14 Jahren in öffentlichen Gebäuden, wie der Schule. Das Kopftuch grenze Kinder aus:
"Das klassische Beispiel ist natürlich die Teilnahme am Sportunterricht, die Teilnahme teilweise am Sexualkundeunterricht. Die Probleme bestehen auch darin, dass man in Gruppen nicht reinkommt, das sind oft kleine Geschichten, die da zwischen den Kindern abgehen. Auf Deutsch gesagt, das ist nicht sehr hilfreich, wenn ein äußeres Zeichen einen Menschen in irgendeiner Weise aus der Gruppe heraushebt oder nicht in die Gruppe hineinkommen lässt."
29.08.2019, Berlin: Necla Kelek, Autorin und Vorstandsfrau von Terre des Femmes, nimmt an einer Pressekonferenz von Terre des Femmes «Für ein Verbot des Kinderkopftuches in öffentlichen Bildungseinrichtungen» teil. 
Der Koran schreibt kein Kopftuch vor, sagt Necla Kelek von Terre des Femmes (picture-alliance / dpa / Christoph Soeder)
Dreiviertel von über 250 befragten Grundschullehrerinnen und -lehrern meinen, dass eine Verschleierung schon in jungen Jahren die persönliche Entwicklung von Kindern beeinträchtigt. Sie befürworten ein Verbot. Ob das verfassungsmäßig durchsetzbar wäre, hat der Jurist und Staatsrechtler Martin Nettesheim jetzt in einem Gutachten geprüft. Dabei ging es nicht darum, das Grundrecht auf Religionsfreiheit grundsätzlich infrage zu stellen, sondern der staatlichen Schule die Möglichkeit zu geben, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen. Und der beinhalte die Erziehung zur Gleichberechtigung und Freiheit. Ein Konflikt:
"Ob und in wie weit sich eigentlich Kinder auf die Religionsfreiheit berufen können. Man ist sich eigentlich einig, dass ein vierjähriges Kind sich nicht darauf berufen kann. Umgekehrt sind sich auch wiederum alle einig, dass mit 17 oder 18 jedenfalls, wie wir sagen, volle Grundrechtsreife eingetreten ist."
Gesetz müsste alle religiösen Symbole einschließen
Aber bis zum Alter von 14 Jahren sei ein Kind noch nicht reif genug, sich auf die Religionsfreiheit zu berufen, so Nettesheim, der ein Verbot des Kopftuchs unter anderem deshalb für verfassungsmäßig hält. Eine entsprechende Landesgesetzgebung wäre dazu nötig. Durchsetzen könne man dann so ein Gesetz notfalls auch gegen den Willen der Eltern. Allerdings würde es dann wohl nicht nur Muslime treffen:
"Ich weise darauf hin, dass ein Verbot nur des sogenannten Kinderkopftuchs aus Gründen der Gleichbehandlung und Gleichberechtigung problematisch wäre. Wenn man es machte, müsste man eben alle äußeren, offenen Manifestationen des Glaubens dann eben bis zu dieser Altersstufe verbieten. Das würde dann eben auch für hinreichend gewichtige christliche Symbole, jüdische Symbole usw. gelten."
In Österreich und Frankreich ist ein Kopftuch für Kinder in Kita und Schule bereits untersagt. In der Türkei weicht die eigentlich geltende Regel derzeit allerdings wieder auf, bedauert Necla Kelek:
"Jede Form von religiöser Kleidung ist in öffentlichen Räumen verboten. Das heißt auch, die Männer dürfen nicht mit einem Salafistenlook erscheinen und auch Frauen dürfen kein religiöses Symbol wie das Kopftuch oder Schleier tragen. Es ist aber leider aufgehoben worden soweit an den Universitäten zum Beispiel durch die AKP Partei. Und durch die religiöse Strömung in der Türkei können Sie leider auch die Verwässerung sehen, dass eben doch in die Schulen Mädchen mit Kopftuch kommen."
Der Koran jedenfalls schreibt das Kopftuch nicht vor, so Kelek. Vor über einem Jahr hat Terre des Femmes deshalb schon eine Petition für ein Verbot des Kinderkopftuchs gestartet. Anfang kommenden Jahres sollen die Unterschriften an das Bundesjustizministerium übergeben werden.