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Religion und Klang
Im Anfang war der Sound

Was hat "Ambient Music" mit Religion zu tun? Eine ganze Menge, sagt die Religionswissenschaftlerin Rosalind Hackett. Sie fordert, Religionen verstärkt anhand von Klängen zu analysieren, denn bislang habe sich die Religionsforschung weitgehend taub gestellt.

Von Christian Röther | 22.02.2019
Binärcodes formen ein Gesicht mit Kopfhörern.
"Musik kann einen religiösen und spirituellen Raum erschaffen", sagt die Religionswissenschaftlerin Rosalind Hackett. (imago/Science Photo Library)
Space music – Klänge wie aus einer anderen Welt. Hier an einem Ort, der ebenfalls auf eine andere Welt verweist, wo diese Art von Musik aber nicht unbedingt zu erwarten ist: in einer Kirche. Der Musiker Robert Rich performt in der protestantischen "Kirche von St. Anna und der Heiligen Dreifaltigkeit" im New Yorker Stadtteil Brooklyn.
"Als ich Robert Rich vor einigen Jahren interviewt habe, sagte er: Ich versuche nicht, spirituelle oder religiöse Musik zu machen. Aber wenn die Hörer meine Musik so empfinden, dann ist das okay für mich."
Rosalind Hackett hört schon seit vielen Jahren space music und ambient music. Die Religionswissenschaftlerin ist Professorin an der Universität von Tennessee im US-amerikanischen Knoxville. Vor ein paar Jahren hatte sie die Idee, beides zusammenzubringen: Religionsforschung und diese sphärischen Klänge.
"Diese Musik kann einen religiösen Raum erschaffen"
Ambient music, sagt Rosalind Hackett, bespielt den Grenzbereich zwischen dem Weltlichen und dem Sakralen.
"Diese Musik kann einen religiösen und spirituellen Raum erschaffen. Aber das haben wir Religionswissenschaftler irgendwie nicht so richtig mitbekommen."
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Die Religionswissenschaftlerin Rosalind Hackett (Privat)
Rosalind Hackett forscht nicht nur zu ambient music, sondern sie befasst sich auch allgemein mit dem Verhältnis von Religion und Klang. Darauf ist sie nicht etwa durch Kollegen gekommen – sondern durch einen Jazzmusiker. Der südafrikanische Künstler Zim Ngqawana war eine Zeitlang Gastmusiker an der Universität von Tennessee.
"Er fand sich durch Klänge in der Welt zurecht und durch das Hören. So fiel mir auf, wie sehr ich selbst auf das Visuelle beschränkt war, so wie viele Menschen im Westen."
"Schreien, Kreischen, Klatschen, Klagen"
Dabei, findet Rosalind Hackett, habe eine klangbewusste Religionswissenschaft großes Potential.
"Dadurch könnten wir zum Beispiel ein tieferes Verständnis für den Zusammenhang von Klang und Schöpfung entwickeln, etwa im Hinduismus."
Im Hinduismus heißt es, dass die Welt aus dem Urklang Om erschaffen wurde. Und es gibt viele Beispiele mehr, in denen Klang eine zentrale Rolle spielt in Religionen.
"Zum Beispiel Schreien, Kreischen, Klatschen, Klagen. Diese Klänge können sehr machtvoll sein, allerdings sind sie lange einfach überhört worden von der Forschung. Zum Glück gibt es inzwischen aber viele jüngere Religionswissenschaftler, die hoffentlich dafür sorgen werden, dass die Klangforschung einflussreicher wird."
"War die Stimme Gottes männlich oder weiblich?"
Denn Klangforschung könne ganz neue Perspektiven auf Religionen eröffnen.
"Wenn wir unserem Gehör folgen, können wir Religionswissenschaftler die offiziellen religiösen Orte verlassen und besser verstehen, wie Menschen Religion und Spiritualität tatsächlich leben."
Aber auch interreligiöse Konflikte können akustisch ausgetragen werden. Wer darf wann und wo wie laut seiner Religion Gehör verschaffen?
Eine Darstellung der Hildegard von Bingen aus dem 19. Jahrhundert
Was hat die heilige Hildegard gehört, fragt sich Rosalind Hackett. (picture alliance / dpa / Friedel Gierth)
Rosalind Hackett will Religion und Klang aber nicht nur zeitgenössisch erforschen, sondern auch historisch. Sie hat zum Beispiel versucht, der mittelalterlichen Mystikerin Hildegard von Bingen zu lauschen.
"Sie behauptete, Engel und Gott gehört zu haben. Und ich wollte wissen, wie sie das beschrieben hat. War die Stimme Gottes männlich oder weiblich? Also fragte ich eine Hildegard-Expertin, ob sie mir weiterhelfen könne. Aber sie sagte, sie habe keine Ahnung. Diese Frage sei ihr bisher noch nicht einmal in den Sinn gekommen."
Musik als Verbindung zu einer höheren Macht?
Viele Wissenschaftler, meint Rosalind Hackett, seien für Klänge und Klangforschung gewissermaßen taub – so wie sie selbst früher auch. Klang sei eben flüchtig und schwierig zu greifen, und man könne auch nur schwer darüber schreiben.
Trotzdem will die Professorin weiter das Verhältnis von Religion und Klang erkunden – demnächst vielleicht in einer Kirche, wenn dort space music performt wird.
"Ich würde gerne die Besucher interviewen, um zum Beispiel herauszufinden, ob sie regelmäßige Kirchgänger sind, die so versuchen, ihre religiösen Erfahrungen zu erweitern. Oder sind es Menschen, die nie in Gottesdienste gehen, aber sich so mit einer höheren Macht verbinden wollen? Oder hoffen sie, so mehr über sich selbst zu erfahren?"
So wie sich der Klang im Raum verliert, scheinen auch die Forschungsmöglichkeiten zu Religion und Klang ins Unendliche zu streben.