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Religionssoziologe Detlef Pollack
Deutsch-Türken fühlen sich hier wohl, aber...

Fast alle Deutschen mit türkischen Wurzeln hätten einen positiven Bezug zu Deutschland, sagte der Religionssoziologe Detlef Pollack von der Uni Münster im DLF. Zugleich sei aber der islamische Fundamentalismus unter ihnen weit verbreitet. Das gehe aus einer Emnid-Umfrage hervor.

Detlef Pollack im Gespräch mit Michael Roehl | 16.06.2016
    Eine rote, türkische Fahne mit dem Halbmond und dem Stern hängt während der Fußball-EM 2016 in Berlin an einem Haus neben der deutschen Flagge in Schwarz-Rot-Gold.
    90 Prozent der befragten Deutschtürken sagen, sie fühlen sich sehr wohl in Deutschland. (dpa/ picture-alliance/ Wolfram Steinberg)
    Kinder und Enkel türkischer Zuwanderer leben oft im Spagat zwischen Integration und dem Druck der Eltern, Traditionen zu pflegen. Eine Emnid-Umfrage im Auftrag der Universität Münster zeigt: Einige von ihnen lösen das Problem, indem sie sich "demonstrativ" zum Islam bekennen. Der Religionssoziologe Detlef Pollack vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" sagte im Interview mit dem Deutschlandfunk: "Für uns überraschend ist die Einschätzung der Türkei-stämmigen, die in Deutschland leben, sehr positiv. 90 Prozent sagen, sie fühlen sich sehr wohl in Deutschland. 87 Prozent meinen, sie wären verbunden mit Deutschland, etwa genauso viele, die sich mit der Türkei verbunden fühlen." Menschen türkischer Herkunft und der Rest der Republik werden einander immer ähnlicher, so die Studien-Ergebnisse. Auch nähern sie sich in der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau stetig an. Die Unterschiede in puncto Bildung und Arbeit werden allmählich kleiner.
    Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollak.
    Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollak. (dpa/Uni Münster/brigitte Heeke)
    Probleme gibt es beim Thema Religion: Viele Muslime mit türkischen Wurzeln haben das Gefühl, sie selbst und ihre Religion würden von der Mehrheit der Deutschen nicht anerkannt. Und zumindest, was die Religion angeht, liegen sie auch nicht ganz falsch. Denn 82 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung verbinden den Islam vor allem mit der "Benachteiligung der Frau". 72 Prozent denken, wenn sie "Islam" hören, gleich an "Fanatismus", 64 Prozent an "Gewaltbereitschaft". Was auch immer die Ursachen sein mögen: Das Islam-Bild der Gesamtgesellschaft steht auf jeden Fall dem Bild, das die aus der Türkei stammenden Muslime von ihrer eigenen Religion haben, diametral entgegen. Nur 18 Prozent von ihnen verbinden den Islam mit Fanatismus. 65 Prozent der von Emnid im Auftrag der Universität befragten Deutsch-Türken nennen die Friedfertigkeit als typisches Merkmal ihrer Religion.
    Harter Kern von 13 Prozent ist fundamentalistisch
    Es wurde auch nach fundamentalistischen Tendenzen gefragt. Aber das sei äußerst kompliziert zu erfassen, erklärte Pollack. Es hänge davon ab, wie man Fundamentalismus definiere. "Wir haben insgesamt vier Fragen gestellt. Eine Frage lautete zum Beispiel, ob man der Meinung ist, dass die eigenen religiösen Gebote über den Gesetzen des Staates stehen." Und das bejahten 47 Prozent. Immerhin ein Drittel meint, Muslime sollten zur Gesellschaftsordnung aus Mohammeds Zeiten zurückkehren. Pollack: "Wir kommen auf einen harten Kern von 13 Prozent, die wir als fundamentalistisch ansprechen würden." Pollack weiter: "Insgesamt kann man sagen, es ist eine Reaktion auf die empfunde Missachtung der Mehheitsgesellschaft oder auch Fremdenhass ist Selbstbehauptung. Es ist der Versuch, sich gegenüber der Mehrheitskultur zu verteidigen.
    Als wissenschaftliche Erkenntnis zieht der Münsteraner Religionsoziologe aus den Ergebnissen: Mehr tun für die Anerkennung, mehr öffnen für die Muslime. Sie fühlten sich missverstanden und es mangele ihnen an Respekt für die eigene Person. Hinsichtlich der fundamentalistischen Haltung müsse man auch kritisch Anfrage and die Türkei-stämmigen Muslime stellen, kritisch mit diesen Tendenz in den eigenen Reihen umzugehen. (tgs)