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Reparaturen an Atomkraftwerken
Droht in Belgien der Blackout?

Von den sieben Atomkraftwerksblöcken, die in Belgien Strom produzieren, werden im November sechs gleichzeitig vom Netz genommen wegen Reparaturen. Der Stromnetzbetreiber Elia warnt, die Versorgungssicherheit sei dann nicht mehr gewährleistet. Oder geht es um längere Laufzeiten für lukrative AKWs?

Von Peter Kapern |
    Wasserdampf steigt aus dem belgischen Atomkraftwerk Tihange
    Alle belgischen AKWs kämpfen mit dem Problem des Brösel-Betons (picture alliance/ dpa/ Oliver Berg)
    Seit Jahren ringt Belgien um den Atomausstieg. Gerade erst hat die Atomaufsichtsbehörde FANC den Termin, an dem sie ein Konzept für die Ausstiegsdetails präsentieren wollte, wieder einmal verschoben. Seit Anfang der Woche allerdings fragen sich die Belgier, ob er nicht längst Tatsache ist, der Atomausstieg.
    Da machte nämlich eine alarmierende Nachricht aus der Unternehmenszentrale von Elia die Runde. Elia, das das ist der belgische Netzbetreiber. Und der ließ wissen: Im November ist die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet. Anders ausgedrückt: In Belgien könnten zu Winterbeginn die Lichter ausgehen. Der Grund: Von den sieben Atomkraftwerksblöcken, die in Belgien Strom produzieren, werden im November sechs gleichzeitig vom Netz genommen. Wegen dringender Reparaturen.
    Die Ministerin kratzt Strom zusammen
    Alle belgischen AKWs kämpfen mit dem Problem des Brösel-Betons. Alles ungefährlich – wie immer wieder betont wird. Aber repariert werden muss es dennoch. Seit Tagen steht deshalb Marie-Christine Marghem in der Kritik. Die Energieministerin verteidigt sich allerdings gegen alle Vorwürfe: Sie sei für den potentiellen Blackout nicht verantwortlich:
    "Das sind externe Faktoren, die haben mit der Planung von Electrabel für die Arbeiten an ihren Atomkraftwerken zu tun. Diese Planung führt dazu, dass zwei Kraftwerksblöcke, die Ende Oktober Anfang November wieder hochgefahren werden sollten, erst Ende März beziehungsweise Ende Juni zur Verfügung stehen."
    Seit die Meldung über den drohenden Blackout die Runde macht, kratzt die Ministerin Strom zusammen. Am Mittwoch war sie zu einer Anhörung im Parlament vorgeladen. Dort überraschte sie mit der Nachricht, dass die für November prognostizierte Stromlücke nicht wie ursprünglich berichtet 1,700 Megawatt, sondern nur 1.000 Megawatt betrage. Das ist immer noch die Leistung eines extrem großen AKWs.
    Ein altes Gaskraftwerk in einem Brüsseler Vorort solle wieder in Betrieb genommen werden, sagte sie. Außerdem habe die Industrie zugesagt, weniger Strom zu verbrauchen. Und auch der Stromkonzern Electrabel habe zugesichert, aus seinen konventionellen Kraftwerken für ein paar Wochen einige zusätzliche Megawatt herauszupressen. Die Restlücke von 1.000 Megawatt, so Ministerin Marghem, wolle sie bei den Nachbarn besorgen:
    "Ich habe an die europäische Solidarität appelliert. Und ich habe meine Amtskollegen in Holland, Deutschland und Frankreich angerufen, die mir alle drei ihre Solidarität zugesichert haben."
    Information über existierende Notfallpläne
    Eine Zusage, mit der die Ministerin nicht einmal alle Abgeordneten ihrer Koalition überzeugen konnte. Bert Wollants von der NV-A zum Beispiel blieb skeptisch. Als flämischer Nationalist mag er sich nicht auf internationale Hilfszusagen verlassen:
    "Von den Winterimpfungen wissen wir, dass, wenn es hier kalt ist, die Chance recht groß ist, dass es auch in Frankreich und Deutschland so ist. Also würde ich mit dem Ausland lieber vorsichtig sein und besser bei uns vermehrte Anstrengungen machen, um die Kapazitäten zu suchen."
    Also wird die Ministerin wohl weiter Strom zusammenkratzen müssen. Die Menschen im Land informieren sich indessen über einen existierenden Notfallplan. Darin ist vor Jahren mal festgelegt worden, in welcher Gemeinde wann und für wie lange im Notfall der Strom abgeschaltet wird. Man will ja schließlich wissen, wann man gegebenenfalls im Dunkeln sitzt.
    Und in den Medien wird diskutiert, wie es zu so einer verheerenden Planung bei den Reparaturen an den Atomkraftwerken von Electrabel kommen konnte. Guido Cramps, der frühere Chef der belgischen Energie-Regulierungsbehörde, hat da einen Verdacht:
    "Da gibt es sichere Hinweise auf Machtspiele, die da im Gang sind. Die drehen sich um die Vorkehrungen und Verpflichtungen des Nuklearausstiegs."
    Womit wir zum Anfang des Beitrags zurückkehren. Electrabel ist nämlich ein Tochterunternehmen des französischen Engie-Konzerns. Und der, so heißt es, habe wenig Lust, sich an den Kosten des Atomausstiegs in Belgien zu beteiligen. Die Verhandlungen zwischen dem französischen Unternehmen und der belgischen Regierung laufen derzeit auf Hochtouren. Mit dem gleichzeitigen Abschalten von sechs AKW-Blöcken, vermutet Guido Cramps, wolle Engie längere Laufzeiten für seine abgeschriebenen und deshalb besonders lukrativen belgischen Atomkraftwerke durchsetzen. Gleichzeitig befürchten Experten, dass auch im Januar und Februar nächsten Jahres Belgien im Dunkeln sitzen könnte.