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Richard von Weizsäcker
Idealtyp eines Bundespräsidenten

Richard von Weizsäcker verkörperte alles, was man von einem Bundespräsidenten erwartet, meint Margarethe Limberg. Wie kein anderer habe er in einem Amt ohne Macht die Macht der Rede zu nutzen gewusst.

Von Margarethe Limberg | 31.01.2015
    Begrüßung über den Zaun hinweg: Stundenlang haben die Aussiedler am 06.10.1987 auf die Ankunft von Richard von Weizsäcker (r) gewartet. Der Bundespräsident besucht die Institution anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Friedland-Hilfe.
    Als Bundespräsident besucht Richard von Weizsäcker am 06.10.1987 Aussiedler der Friedland-Hilfe. (picure alliance / dpa / Thomas Wattenberg)
    Keiner der bisherigen Bundespräsidenten entsprach so genau dem Idealbild, das die Bürger von einem Staatsoberhaupt haben, wie Richard von Weizsäcker. Wenn man einen idealen Bundespräsidenten synthetisch herstellen könnte, würde dabei kein anderer als Richard von Weizsäcker herauskommen, das schrieb Marion Gräfin Dönhoff in der "Zeit" nach dem Ende der zweiten und letzten Amtszeit. Richard von Weizsäcker wurde 1920 geboren, er entstammt einer bemerkenswerten Familie, die seit dem 19. Jahrhundert Mitglieder der deutschen Elite stellte. Der Großvater war zu Kaisers Zeiten Ministerpräsident in Württemberg, der Vater unter den Nationalsozialisten Staatssekretär im Auswärtigen Amt, der Bruder Carl Friedrich ist einer der bedeutendsten deutschen Philosophen. Richard von Weizsäcker studiert in Oxford und Grenoble, wird 1938 eingezogen, Mitglied des traditionsreichen Potsdamer Infanterieregiments 9, marschiert am 1. September 1939 mit in Polen ein und muss schon 24 Stunden später Totenwache für seinen geliebten Bruder Heinrich halten.
    Nach dem Krieg wird er unmittelbar mit dem Versagen der konservativen deutschen Eliten während der NS-Zeit konfrontiert. Sein Vater ist in Nürnberg als Kriegsverbrecher angeklagt, der Sohn ist als Assistent an der Verteidigung beteiligt, eine Erfahrung, die ihn unauslöschlich prägt.
    In die aktive Politik kommt Richard von Weizsäcker auf Umwegen. Zunächst macht er Karriere in der Wirtschaft, bei Unternehmen wie Mannesmann und Boehringer, engagiert sich in der evangelischen Kirche, amtiert als Kirchentagspräsident. Es war Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, der Richard von Weizsäcker entdeckte und ihm zur Kandidatur für den Bundestag riet, in den er 1969 auf den Bänken der Opposition Platz nahm. Kohl hatte ihn damals auch schon für das Amt des Bundespräsidenten ins Gespräch gebracht. Weizsäcker scheiterte indessen an unionsinternen Widerständen.
    Mit der eigenen Partei tat er sich häufiger schwer. Er bewahrte sich die Unabhängigkeit des Denkens und Handelns, auch in der Fraktion. So stritt Weizsäcker 1965, einer der Mitautoren der wegweisenden "Ostdenkschrift" der Evangelischen Kirche, später in seiner Partei für die Ostverträge. Es gelang ihm immerhin, die Fraktion zur Stimmenthaltung zu bewegen und damit die Ratifizierung zu retten.
    1974 kandidierte er das erste Mal für das Amt des Bundespräsidenten, aber gewählt wurde damals Walter Scheel. Auf von Weizsäcker wartete ein anderer Posten, der des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Damals befand sich die Stadt auf einem Tiefpunkt. Politischer Filz einerseits, eskalierende Konflikte mit Hausbesetzern andererseits. Zumindest letztere half Weizsäcker zu entschärfen, der zu einem der populärsten Politiker der Stadt wurde. 1984 wurde er – auch mit sozialdemokratischen Stimmen – zum Bundespräsidenten gewählt.
    Als Bundespräsident ein Glücksfall für die Bundesrepublik
    In den zehn Jahren seiner Amtszeit wusste er in diesem Amt ohne Macht wie kaum ein anderer die Macht der Rede zu nutzen und wurde allein dadurch zum wohl politischsten Präsidenten der Bundesrepublik. Beispielhaft für seine Amtszeit war die Rede am 8. Mai 1985 zum 40. Jahrestag des Kriegsendes. Der 8. Mai sei nicht vom 30. Januar 1933 zu trennen. "Wir alle, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung", sagte Weizsäcker damals.
    Nichts für all jene, die gerne einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit ziehen möchten.
    In seinen öffentlichen Reden nahm von Weizsäcker nie ein Blatt vor den Mund. Orientierung geben wollte er, vielen galt er gar als moralisches Gewissen der Nation. Nach der Wiedervereinigung war er es, der zur Behutsamkeit im Umgang mit den Bürgern der ehemaligen DDR und einem wirklichen Lastenausgleich mahnte.
    So sehr Weizsäcker vielen als politische Lichtgestalt erschien, er hatte vor allem im konservativen Lager nicht nur Freunde. Er war durchaus fähig, wohlgesetzte Hiebe zu verteilen. Mit seinem Plädoyer für eine liberale Ausländerpolitik, für humanen Umgang mit Außenseitern machte er sich nicht zuletzt in der eigenen Partei Feinde. Sein Verhältnis zu seinem einstigen Förderer Helmut Kohl war spannungsgeladen und während der letzten Phase seiner Amtszeit und vor allem danach schwer gestört. Denn Weizsäcker setzte sich nach seinem Auszug aus dem Präsidentenpalais keineswegs zur Ruhe, im Gegenteil. Von seinem Berliner Altenteil aus las er den politisch Handelnden und Parteien mehr als einmal die Leviten.
    Die ungewöhnliche Popularität Richard von Weizsäckers in der Bevölkerung hatte vor allem mit seiner Glaubwürdigkeit zu tun. Seine Gesprächskultur beeindruckte selbst die Bürgerbewegungen der 80er-Jahre. Im Ausland war er einer der angesehensten deutschen Politiker der Nachkriegszeit, und in dem Bild, das Richard von Weizsäcker im Ausland verbreitete, haben sich die Deutschen gerne wiedererkannt. Er war als Bundespräsident ein Glücksfall für die Bundesrepublik.