Archiv

Richtfest in Berlin
Auf der Suche nach Zweck für Schloss ohne König

In Berlins historischer Mitte wird an der Rekonstruktion des barocken Stadtschlosses gebaut. Der Neubau ist im Zeit- und auch im Kostenplan: Am 12. Juni ist Richtfest und für den Herbst 2019 ist die Eröffnung geplant. Vorausgegangen ist eine lange Debatte: über Abriss, Rekonstruktion und über den Zweck des Gebäudes.

Von Christiane Habermalz und Claudia van Laak |
    Der Rohbau des Berliner Stadtschlosses ist am 03.06.2015 in Berlin bei einem Rundgang auf der Baustelle im Vorfeld des Richtfests zu sehen.
    Das Richtfest des Berliner Stadtschlosses soll am 12. Juni stattfinden. (picture alliance / dpa - Stephanie Pilick)
    Seit zwei Jahren wächst in Berlins historischer Mitte ein Betonmonster aus dem Boden. Am Anfang der Prachtstraße Unter den Linden, zwischen Alexanderplatz, Dom, Museumsinsel und Staatsoper entsteht ein Gebäude, in dem 400 Einfamilienhäuser Platz hätten: die Rekonstruktion des barocken Berliner Stadtschlosses.
    "Dieses Gebäude ist ein kompletter Neubau mit einer historischen Fassade."
    Manfred Rettig hat kurz vor dem Richtfest zu einer Baustellenbesichtigung geladen. Der Vorstand der Stiftung Berliner Schloss/Humboldt-Forum ist der derzeitige Schlossherr.
    Dunkelblauer Bauhelm, neongelbe Warnweste, Sicherheitsschuhe - diese Ausrüstung liegt immer bereit für den Architekten, der schon den Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin managte.
    Nach einem Gang durch Pfützen, über schwankende Holzplanken, vorbei an den Maurern auf den Gerüsten, die in den nächsten Monaten 3,15 Millionen Ziegel verbauen werden, fällt der Blick auf die Kuppel.
    "Wenn wir viel Glück haben, und da sind wir massiv dabei, wird der Richtkranz nachher oben schon auf der Stahlkonstruktion der Kuppel drauf sein. Ich freue mich sehr darüber, dass wir so weit gekommen sind."
    Es ist ein Berliner Wunder: Der Neubau des Schlosses ist sowohl im Zeit- als auch im Kostenplan. Richtfest wird am Freitag gefeiert, für den Herbst 2019 ist die Eröffnung geplant.
    Debatte um Abriss und Rekonstruktion
    Vorausgegangen ist eine lange Debatte - über den Abriss des Palastes der Republik, das Pro und Contra einer Schlossrekonstruktion und natürlich über Sinn und Zweck des Gebäudes. Entstehen soll das Humboldt-Forum - ein Ort, an dem sich die Weltkulturen treffen. Die ethnologischen Sammlungen vor allem mit asiatischer und afrikanischer Kunst der Stiftung preußischer Kulturbesitz sollen hier in eine neue Umgebung ziehen - "in Dialog treten", wie es heißt, mit der Kultur Europas schräg gegenüber auf der Museumsinsel.
    "Die Welt wird sich hier selbst betrachten können", kündigt Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz an. Dazu etwas Wissenschaftshistorie der Humboldt-Universität und Berliner Stadtgeschichte, Cafés, Restaurants, Läden: Flaniermeile mit globaler Kulturverständigung im barocken Gewand. Zumindest an drei Seiten. Denn schon das Gebäude selbst ist ein Kompromiss: Drei Seiten historisch - eine modern. Dies wird für die Außenfassade wie für den Schlüterhof - benannt nach dem ursprünglichen Schlossarchitekten Andreas Schlüter - im Inneren gelten.
    Ein Kran hebt glatte, rechtwinklige Betonelemente in die Höhe, Bauarbeiter befestigen sie an der Fassade.
    "Wir haben also jetzt hier einen Architekturbeton, den Sie hier sehen. Das steht im Wechselspiel zur historischen Fassade. Und es ist ja so, dass dieses Gebäude auch durchaus ablesbar den Transformationsprozess darstellen soll, der hier an dieser Stelle stattfindet. Dieser Wandel zwischen einem Schloss im ursprünglichen Sinne und einem Humboldt-Forum, wie wir es heute haben."
    Für das Berliner Stadtschloss gilt: Alles was barock ist, wird durch Spender bezahlt - etwa ein Fünftel der Bausumme; alles andere - finanzieren die Steuerzahler. Insgesamt soll das Humboldt-Forum knapp 600 Millionen Euro kosten.
    "Gut. Dann gehen wir jetzt weiter."
    Bauherr Manfred Rettig führt in eines der Eckzimmer - an dieser Stelle befand sich das Schlafzimmer der Kaiserin Auguste. Eigentlich sollte die Fassade aus Kostengründen modern gestaltet werden. Doch jetzt kommt alles anders:
    "Es gab einen großen Spender, der gefragt hat, was kostet dieses Eckrondell. Wir haben es ausgerechnet, das kostet ungefähr 2,5 Millionen Euro. Er hat das Geld überwiesen, und wir bauen dieses Eckrondell."
    Jahrhundertelang das größte Bauwerk im Berliner Stadtzentrum
    Das Stadtschloss, erbaut 1443 als erste Residenz der Brandenburger Kurfürsten und der späteren Hohenzollern, ist jahrhundertelang das größte Bauwerk im Berliner Stadtzentrum - bis zu den Bombardierungen Berlins am Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Schloss brennt aus, das Feuer vernichtet fast alle Prunkräume.
    Das Gebäude ist allerdings nicht komplett zerstört, in einem der Flügel finden sogar noch Kunstausstellungen statt, anfangs gibt es Wiederaufbaupläne. Doch der Zeitgeist ist ein anderer, erinnert sich im Rückblick der mittlerweile verstorbene Verleger und Schriftsteller Wolf Jobst Siedler:
    "Ich erinnere mich, dass Scharoun, der legendäre Erbauer der Philharmonie, Präsident der Akademie der Künste, der sagte eines Tages, als ich protestierte gegen die Abrisswut im Osten wie im Westen. Er sagte: Wir bauen hier eine neue Gesellschaft auf, warum sollen wir denn in die alten Gemäuer gehen. Es war ein weitgehender Konsens: Diese alten Kästen brauchen wir nicht mehr."
    Mit der Gründung der DDR weht ein scharfer ideologischer Wind. Auf dem III. Parteitag der SED im Juli 1950 gibt Walter Ulbricht, neuer Generalsekretär des ZK der SED, den bevorstehenden Abriss des Schlosses bekannt - trotz zahlloser Proteste aus Ost und West. Im September 1950 beginnen die Sprengungen.
    Noch einmal 20 Jahre gehen ins Land, bis ein neues Gebäude entsteht: der Palast der Republik, wegen der spektakulären Ansammlung von Beleuchtungskörpern im Foyer auch Erichs Lampenladen genannt. Erich Honecker 1973:
    "Liebe Genossen und Freunde, wir legen heute den Grundstein für den Palast der Republik. Möge die Deutsche Demokratische Republik zum Wohle ihrer Bürger blühen und gedeihen!"
    Nach der Wiedervereinigung wird der Palast der Republik zum Symbol der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West. Der frühere Hausmeister des Palastes Bernd Wolfgang:
    "Also ich sag mal, von der Sache her: Dieses Haus musste weg. Weil man vermutet hat, hier wurde regiert. Aber regiert wurde hier ja gar nicht. Und hier hat auch kein Honecker drin gewohnt oder regiert. Das Haus musste einfach weg, es war ein politischer Hintergrund. Ein Symbol."
    Das Haus soll Platz machen für ein neues. Für ein neues Altes. Denn in der Zwischenzeit haben die Befürworter eines Wiederaufbaus des barocken Berliner Stadtschlosses längst ihre Netze geknüpft. Initiator ist Wilhelm von Boddien - Landmaschinenhändler aus Hamburg.
    Mitstreiter für den Wiederaufbau des Schlosses
    Die Gegner des Wiederaufbaus werfen ihm und seinen Mitstreitern vor, mit dem Schloss auch die alte preußische Monarchie wiederhaben zu wollen. Das bestreitet der mittlerweile 73-Jährige vehement.
    "Nur in einer Demokratie können so verrückte Leute wie ich es wagen, in die Stadtdiskussion einzugreifen. Wir waren acht Leute, als wir '91 anfingen, ein paar Prominente und ich. Und haben uns vorgenommen, ein Wörtchen mitzureden, wie die Mitte der Hauptstadt aussieht. Im Grunde Wahnsinn."
    Wilhelm von Boddien gelingt es, einflussreiche Persönlichkeiten für den Wiederaufbau des Schlosses zu begeistern. Dazu gehören der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse oder auch der Publizist Wolf-Jobst Siedler. Eine von Bundesregierung und Berliner Senat eingesetzte Expertenkommission unter Leitung des österreichischen Stadtplaners und Politikers Hannes Swoboda spricht sich 2002 für eine Rekonstruktion des barocken Gebäudes aus.
    "Die knappe Mehrheit, die sich dafür ausgesprochen hat, hat sich nicht aus einer Nostalgie, aus der Ansicht, das Alte ist immer besser als das Neue, gegen die moderne Architektur ausgesprochen. Unsere Aussage betrifft einen ganz bestimmten Standort: in der Mitte Berlins."
    Zweck für Schloss ohne König
    In Dresden wird die Frauenkirche wiederaufgebaut - ein Gotteshaus. In Potsdam wird das zu DDR-Zeiten gesprengte Schloss neu errichtet - der Landtag braucht einen neuen Sitz. Doch welchen Zweck erfüllt eigentlich ein Berliner Schloss ohne König?
    Bund und Land Berlin spielen zunächst mit der Idee eines Kongresszentrums mit Hotel. Dann erinnert Klaus-Dieter Lehmann, damals Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, an das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst in Dahlem im Südwesten Berlins, die dort, abseits vom Schuss, ein wenig beachtetes Dasein führten. Wenn man diese Sammlungen nach Mitte holte, böte sich die einzigartige Möglichkeit eines "Dialogs auf Augenhöhe" zwischen europäischen und außereuropäischen Kulturen - ganz im Sinne der Brüder Humboldt. Die Idee des Humboldt-Forums ist geboren.
    Der Name ist gefunden, doch was er bedeuten könnte, bleibt lange unklar. Drei Nutzer planen munter vor sich hin - und aneinander vorbei. Die "größte Mehrzweckhalle der Republik" nennt es, spöttisch, die "FAZ". Trotz vieler Vermittlungsversuche in eigens eingerichteter "Info-Box" und "Humboldt-Lab" hält sich der Enthusiasmus der Berliner für ihr neues Schloss in Grenzen. Und auch im Bundestag finden sich nur noch halbherzige Lippenbekenntnisse für das teure Prestigeprojekt. Der mit der Erarbeitung eines inhaltlichen Gesamtkonzeptes beauftragte Schweizer Kulturunternehmer Martin Heller beklagt, resigniert, die mangelnde Unterstützung durch die Politik:
    "Mir geht es um die Inhalte. Es ist nicht bloß ein schönes Kulturprojekt. Sondern: Es war ein politischer Entscheid, hier das Schloss zu bauen, und dieser politische Entscheid hat impliziert, dass dieses Humboldt-Forum nicht nur ein Museum Plus sein soll, sondern etwas anderes. Aber dieses Bekenntnis dafür, das spüre ich im Moment nirgendwo."
    Aufwind erhält das Humboldt-Forum erst wieder, als sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters das Projekt zu eigen macht und ihr im April ein spektakulärer Coup gelingt. Mit Neil MacGregor, dem Direktor des British Museum in London, holt sie einen der weltweit renommiertesten Museumsleute ans Humboldt-Forum. Als einem von drei "Gründungsintendanten" überträgt sie ihm die "kuratorische Gesamtverantwortung" - zusammen mit Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp. MacGregor startet sein Berliner Engagement mit einer Charmeoffensive:
    "Es gibt ja in der ganzen Welt vielleicht nur fünf Sammlungen, wo man die ganze Geschichte der Menschheit erforschen und erzählen kann: Petersburg, New York, Paris, London und Berlin. Aber: Nur in Berlin, und nur im Schloss, im Humboldt-Forum gibt es jetzt die Gelegenheit, diese Geschichte neu zu erzählen. Und neu zu erforschen. Hier sollen die Objekte, die aus aller Welt kommen, einer Besuchergruppe, die aus aller Welt stammt, ausgestellt werden. Und das mithilfe internationaler Kollegen."
    MacGregor wird von den Feuilletons landesweit wie ein Retter gefeiert. Wer, wenn nicht dieser hochgebildete, kommunikationsbegabte und auch noch deutschfreundliche Schotte sollte in der Lage sein, all die blumigen Konzeptpapiere in eine handfeste Präsentation zu gießen?
    Da macht es auch nichts mehr, dass das Land Berlin kurz zuvor seine Pläne für das Humboldt-Forum wieder einmal über den Haufen geworfen hat. Der neue Regierende Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller wünscht sich eine Art Stadtmuseum im Schloss. Arbeitstitel: "Welt.Stadt.Berlin." Doch womit das Land seine immerhin 4.000 Quadratmeter Fläche in der Beletage füllen will, ist noch völlig offen.
    Humboldt-Forum und die Sammlung des Ethnologischen Museums
    Und noch andere Fragen tun sich auf. Im Humboldt-Forum sollen die Sammlungen des Ethnologischen Museum in Dahlem neu und modern präsentiert werden, und das heißt auch: Nach Möglichkeit befreit vom Nimbus des Kolonialismus, der ihnen anhaftet wie Blei. Doch geht das überhaupt mit einer Sammlung, die ihre Entstehung vor allem imperialer Raffgier verdankt?
    Im Humboldt-Lab proben Ethnologen, wie sakrale Objekte respektvoll gezeigt werden können - Gegenstände, die ihren Völkern so heilig sind, dass sie nur von Priestern angesehen werden dürfen. Hinter einem Vorhang, der nur einen Spalt offenlässt, hinter Milchglas, oder als leere Vitrine? Fremde Kulturen sollen nicht mehr wie Artefakte im Zoo gezeigt werden. Für Direktorin Viola König eine große Chance, mit den Objekten auch die oft zweifelhafte Erwerbungsgeschichte in die Öffentlichkeit zu bringen.
    "Für jedermann hier ist die deutsche Kolonialzeit im Alltag eigentlich nicht sichtbar. Und das wird sich im Humboldt-Form ändern, weil wir von Anfang an die Sammlungen, die aus diesem Kontext stammen, und die deutsche Kolonialzeit aus der Geschichte heraus darstellen können, die werden wir auch unter diesem Kontext zeigen."
    Beispiel: Adrian Jacobsen, ein Kapitän und Abenteurer, der 1881 bei zwei Expeditionen nach Südalaska dem Eskimovolk der Yup'ik Tausende von kostbaren Masken, Schnitzereien, Werkzeugen und Pelzen abluchste. Er raubte, erpresste und betrog. Die Sammlung ist heute einzigartig.
    "Wir werfen da zwei unterschiedliche Blicke drauf. Der erste Teil der Reise war an der Nordwestküste bei verschiedenen indianischen Gruppen, da stellen wir ihn aus dem Blick der Zeit des 19. Jahrhunderts: Warum sind die losgezogen, was hat so einer wie Jacobsen sich dabei gedacht, was waren die Methoden, mit denen er da in einem unglaublich kurzen Zeitraum diese Mengen an Objekten zusammengerafft hat, und dann ist er ein zweites Mal losgezogen zu den Alaska-Eskimo, und da drehen wir die Perspektive um, da lassen wir die Sammlung von den heute lebenden Nachkommen der beiden Betroffenen-Gruppen erzählen."
    Multiperspektivität ist das Stichwort, man bemüht sich um Zusammenarbeit mit den Herkunftsvölkern. Rückgabeforderungen habe es bisher noch keine gegeben, vielmehr seien viele Ethnien froh, dass ihre Kultur an so prominenter Stelle präsentiert werde, erzählt Stiftungspräsident Hermann Parzinger.
    "Die sind regelmäßig zu Gast auch in Dahlem, und es ist für uns auch ganz ganz wichtig, wir arbeiten auch zusammen mit einer indigenen Universität am Orinoco in Venezuela, das ist ein sehr schönes Projekt eigentlich, was wir dauerhaft aufsetzen wollen, wo wir das Wissen der Herkunftskulturen einbeziehen wollen in die Präsentation, bis hin zu einer Internetplattform, die es im Humboldt-Forum geben soll, wo die Besucher später auch mit diesen Menschen in diesen Gegenden in Kontakt treten können."
    Gegenwind und Rückgabeforderungen aus Herkunftsländern
    Doch für manche bleiben die honorigen Bemühungen nur der Versuch, das Richtige im Falschen zu tun. Der in Berlin lebende Documenta-Künstler Jimmie Durham, Angehöriger des Stammes der Cherokee in Amerika, war langjähriger Vorsitzender der Organisation Indigener Völker bei den Vereinten Nationen.
    "Einige brasilianische Indios waren vor ein paar Jahren in Dahlem. Und sie waren sehr glücklich, in Berlin zu sein, glücklich in Europa zu sein - und in einer verzweifelten Situation zuhause. Das taugt nicht zur Unterhaltung! Das ist kein Stoff für Museen", kritisiert Durham.
    "Solange nicht anerkannt wird, dass der Völkermord bis heute andauert, ist das Ganze falsch. Wenn Sie mit heute lebenden Indianern reden, dann werden die alles Mögliche sagen. Aber wenn Sie mit mir reden, dann werde ich sagen: Macht es zu! Es ist falsch! Der Völkermord geht immer noch weiter, in jedem einzelnen Land Amerikas."
    Gegenwind kommt auch von No Humboldt 21, einem Bündnis von Aktionsgruppen und Vereinen mit Afrikabezug. Die Initiative fordert die Rückgabe zahlloser Prunkstücke vor allem aus den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika.
    Dass afrikanische Regierungen keine Rückgabeforderung stellten, sei bei den wirtschaftlichen Abhängigkeiten wenig verwunderlich, kritisiert das Bündnis. Die Herkunftsvölker sähen das aber unter Umständen durchaus anders. Allerdings seien die wenigsten in der Lage, ihre Ansprüche auch zu formulieren.
    "Es ist natürlich äußerst schwierig, für eine afrikanische Herkunftsgesellschaft, jetzt selbst herauszufinden, in welchem europäischen Museum liegen welche Objekte. Dazu müssten sie hierher kommen können, was ja für die meisten, Stichwort Mittelmehr, wo die Leute ertrinken, überhaupt nicht möglich ist. Das kommt jetzt noch zu diesem Ausstellungskonzept hinzu, das ja argumentiert wird, wir präsentieren der Welt diese Objekte, wir geben sie der Welt wir sind ja gar nicht die, die es nur für uns beanspruchen und haben wollen, aber die Welt kann eben nicht hierherkommen", mängelt Christian Kopp, Vorstandsmitglied von No Humboldt 21.
    Die Museen verweisen auf ihre Verantwortung gegenüber den Objekten und der Weltkultur.
    "Es sind wirklich in den 80er- und 90er-Jahren gerade afrikanische Objekte zurückgegeben worden, die kurze Zeit später im Kunsthandel wieder auftauchten. Und damit muss man einfach umgehen. Ist das das Ziel? Ist es das, was man möchte?" sagt Viola König, Direktorin des Ethnologischen Museums in Dahlem.
    Doch nicht immer gibt es Konflikte. Zwei der Hauptausstellungsstücke des Humboldt-Forums werden großartige bemalte buddhistische Höhlen von der Seidenstraße sein, sie wurden von den preußischen Turfanexpeditionen Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Stein gebrochen. Trotz des aus heutiger Sicht barbarischen Aktes verzichtet China auf die Rückgabe - unter der Bedingung, dass chinesische Wissenschaftler jederzeit Zugang zu den Objekten hätten.
    Solche Lösungen sind sehr im Sinne der Museen, die sich gerne als Kuratoren des Weltkulturerbes sehen. Neil MacGregor steht für diese Idee ebenso wie Hermann Parzinger: Herausragende historische Kulturobjekte gehörten nicht einzelnen Ländern, sondern der ganzen Menschheit.
    "Dann kann man sagen, müssen wir unsere wunderbaren Renaissancegemälde aus Italien restituieren, oder was ist mit den Bildern von Dürer, die im Prado hängen, da würde man ja sagen, was für ein absurder Gedanke. Letztlich ist es Weltkultur, die der Menschheit gehört, und die Einrichtungen, die sie jetzt haben, die sollen sie verwahren, die sollen sie zugänglich machen, die sollen sie vermitteln, die sollen sie gut bewahren und schützen, und sollen vor allem sich davor hüten, in Zukunft unrechtmäßige Dinge zu erwerben."
    Laut Neil MacGregor bewundere man in London Deutschland dafür, dass es seine historische Mitte den Weltkulturen widme und nicht der eigenen Historie. Doch am Ende steht die Frage, inwieweit es gelingt, den eigenen Anspruch auch zu erfüllen.
    Ein Unbehagen bleibt - angesichts der Geschichte der Exponate, die immer auch von Verlust, Tod und dem Verschwinden vieler Völker spricht. Gelingt es, diese Geschichte ehrlich zu erzählen, nicht nur den Dialog, sondern auch den Ausgleich mit fremden Kulturen zu suchen, könnte am Ende vielleicht doch etwas entstehen - mehr als eine multikulturelle Erlebniswelt mit angeklebter Barockfassade im Herzen Berlins.