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Richtig auf Rechts reagieren

"Hinter den Kulissen" heißt das Buch, das Sachsens Lehrer über Kleidung, Codes und Verhaltensweisen der rechtsextremen Szene informiert. Auch Tipps, wie sie auf fremdenfeindliche Äußerungen antworten, finden sie darin.

Von Thomas Matsche | 10.03.2011
    Nach zwei Stunden Dienstberatung im Rathaus erhält jeder der rund 100 Leipziger Schulleiter noch ein dickes Buch in die Hand. "Hinter den Kulissen" lautet der unverfängliche Titel. Der Inhalt des 270-Seiten starken Buches hat es jedoch in sich: Seite für Seite wird detailgetreu die rechtsextreme Szene skizziert.

    Es geht unter anderem um das Erkennen von rechtsextremistischer Kleidung oder der Bedeutung von bestimmten Zahlencodes. Marion Böttger, Schulleiterin der Helmholtz-Mittelschule im Problemviertel Lindenau, kann die Informationen gut gebrauchen:

    "Das ist ein Riesen-Problem für uns Lehrer. Wir kennen die Materie so gut auch wieder nicht, und wir kennen ja auch das Privatleben unserer Schüler häufig nicht, so dass wir nicht immer wissen: Sind sie links? Sind sie rechts? Oder interessiert sie diese politische Richtung überhaupt nicht. Deshalb sind wir auch sehr froh, dass die Stadt diesem Thema sich stellt und uns jetzt ein interessantes Buch zur Verfügung gibt, dass wir uns wirklich damit beschäftigen müssen. Das wissen wir: Wir müssen uns damit beschäftigen."

    Das sei auch deswegen wichtig, so die Direktorin, weil sich die Schule in unmittelbarer Nachbarschaft eines NPD-Büros befindet und es dort immer wieder Proteste und Polizeiaufmärsche gibt. Schüler brauchen Antworten auf die Konflikte, die sie da sehen, meint Marion Böttger.

    Diese Antworten sollen die Schüler jetzt bekommen. Möglichst von geschulten Lehrern, die in Fragen von Rechtsextremismus und Diskriminierung auf dem neuesten Stand sind. Die Idee dazu stammt aus Leipzig. Die hiesige Polizeidirektion und die Stadt haben bereits 2006 die erste Ausgabe dieses Buches veröffentlicht. Die Neuauflage wird nun wieder an alle Schulen Sachsens verschickt.

    Thomas Fabian, Beigeordneter für Jugend und Schule der Stadt Leipzig, sieht die Broschüre als ein Hilfsmittel, um die demokratische Erziehung in der Schule zu unterstützen:

    "Ein wesentlicher Bestandteil dieser Broschüre 'Hinter den Kulissen' - mittlerweile ist ein dickes Buch geworden - sind auch bestimmte Argumentationsfiguren, um rechtsextremen Einstellungen und Verhaltensweisen auch entgegentreten zu können."

    Und dabei sollen vor allem jene Schüler gewonnen werden, bei denen sich das Weltbild noch nicht verfestigt hat. Ein Beispiel für eine Argumentationshilfe aus dem Buch:

    "Schüleräußerung: Asylbewerber leben auf unsere Kosten und arbeiten nicht. Reaktionsmöglichkeit: Das ist wirklich richtig, was du eben gesagt hast. Das liegt vor allem daran, das Asylbewerber frühestens ein Jahr nach ihrer Ankunft in Deutschland arbeiten dürfen und nur solche Arbeitsstellen annehmen dürfen, für die keine Deutschen oder EU-Angehörigen zur Verfügung stehen."

    Auch Carsten Völtzke kennt diese Vorurteile und stereotypen Meinungen aus seiner Arbeit. Seit zwei Jahren führt er im Auftrag des Netzwerks für Demokratie und Courage Antidiskriminierungsprojekte an sächsischen Schulen durch. Jedoch nicht nur von Schülern hört er da fragwürdige Äußerungen.

    Auch so mancher Lehrer regt sich über "die Portugiesin" auf, "die nicht arbeitet" oder "die Tschechen, die nach der Grenzöffnung, die Region heimsuchen werden". Bei den meisten Projekten aber erlebt Carsten Völtzke aber engagierte Lehrer, die konkret seine Hilfe brauchen. Wie in dieser Berufsschule:

    "Es gab genau den Fall. Es gab Schülerinnen und Schüler, die hatten Thor-Steinar-Klamotten an, also ist ja eigentlich bekannt, dass das eine Neonazi-Marke ist. Wir haben die gebeten, die Sachen zumindest abzukleben. Das hat funktioniert. Und die Lehrerin war total verblüfft: Wie hat das denn jetzt funktioniert und warum. Und das ging dann soweit, dass wir einen Satz zusätzlich mit der Lehrerin zusammen erarbeitet haben für die Hausordnung, die besagt, dass bei solchen Klamotten, die explizit menschenverachtend sind und diese Ideologie tragen, dass die nicht mehr getragen werden dürfen."

    Die vorgestellte Broschüre sei lobenswert und dass sie von offizieller Stelle kommt, sende noch einmal ein besonderes Signal aus. Gleichwohl fordert Carsten Völtzke die Fortbildung der Lehrer in Sachen Rechtsextremismus noch weiter zu verstärken. Sachsen tue da immer noch zu wenig.